Thomas Giesen

Der diskrete Einfluss des Ministeriums

Aus dem Text:

„…. Jede gewaltenübergreifende Sorge um den Einzelfall in der Justiz muss als Übergriff erkannt werden, der ohne die gebotenen Formen rechtswidrig ist. Niemand darf den Bürgern Sand in die Augen streuen unter Berufung auf angeblich gute interne Kontakte: Es sind externe! In der Formlosigkeit und damit Haltlosigkeit des Informellen wird eine Ursache dafür erkennbar, dass in Teilen der sächsischen Bevölkerung das Vertrauen in die strikte Unabhängigkeit der Justiz gestört ist oder nie hat entstehen können  ….“

 

Dr. Thomas Giesen:

Der diskrete Einfluss des Ministeriums

 

Die Sächsische Zeitung hat über die telefonische Einmischung der Staatssekretärin im Justizministerium in ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren berichtet. Solche informellen Kontakte seines Ministeriums verteidigt der Justizminister in den Medien und im Parlament mit Formeln wie: „Die Staatssekretärin pflegt wie das Justizministerium insgesamt bewusst den Kontakt zum nachgeordneten Bereich. Dazu gehören auch Gespräche zu allen denkbaren klärungsbedürftigen Themen. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren sind davon nicht grundsätzlich ausgeschlossen.“ Damit interpretiert der Minister die Gewaltenteilung als Nebensache, er verkauft uns die Einmischung als harmlosen Normalfall. Er stellt die Justiz in eine Beziehung zum Justizministerium, die von der Rechtsordnung gerade nicht gestattet ist. Denn die Justiz wird als dritte Gewalt von keiner der beiden anderen, dem Parlament und der Verwaltung, kontrolliert; vielmehr hat sie sich in ihren Instanzen selbst zu überwachen.

Die Garantie dafür, dass die Justiz in ihrer Arbeit sachlich und organisatorisch grundsätzlich frei von fremden Einflüssen – und seien sie noch so gut gemeint – bleibt, ist eine schwer erkämpfte rechtsstaatliche Errungenschaft, eine Säule des modernen Rechtsstaats. Das Justizministerium ist kein Zwitter, hier treffen sich nicht zwei Gewalten, es ist vielmehr reine Exekutive, zweite Gewalt. Andererseits erfüllen Gerichte und Staatsanwaltschaft gemeinsam die Aufgabe der Justizgewährung; nur sie sind Justiz, dritte Gewalt. Zwischen den Gewalten ist kein Raum für einen, wie der Minister jovial meint, „dialogorientierten Führungsstil“.

Das dem Ministerium zustehende „Recht der Aufsicht und Leitung“ über die Staatsanwälte, ein Begriff des Jahres 1877, der einer Auslegung nach dem Grundgesetz bedarf, ist nur zu „justizgemäßen Einflüssen“ zulässig, so das Bundesverfassungsgericht schon vor 50 Jahren. Die rechtsprechende Gewalt entzieht sich also nicht jedweder Gewaltenverschränkung. Ein solcher Eingriff bedarf dann aber einer rechtsstaatlichen Basis: Klarheit in Rechtsgrundlage, Aufgabe, Zuständigkeit und Befugnis. Die Einhaltung des Dienstweges und eine in jedem Einzelfall lückenlose Dokumentation treten als rechtsstaatliche Mindestvoraussetzungen hinzu. Denn diskrete und heimliche Einflüsse sind viel gefährlicher für die Demokratie als ein offener Regelverstoß.

Demgegenüber will der Minister am Dienstweg vorbei den „unmittelbaren Kontakt oder ein Gespräch mit dem sachnäheren Vorgesetzten“ nicht ausschließen. Eine Dokumentation hält er nur im „förmlichen Verfahren“ für nötig, so, als sei der Anruf aus dem Ministerium für den Staatsanwalt eine Bagatelle. Gerade die Dokumentation dient der Durchsichtigkeit des Vorgangs, sie ordnet Verantwortung zu. Die konkrete und jederzeit nachvollziehbare Begründung für jede Datenbewegung von einer Gewalt in die andere ist unverzichtbar. Alles andere führt zu Regellosigkeit, zur Auflösung der Konturen des Rechtsstaats. Informelle Kommunikation lässt da Kumpanei entstehen oder zumindest vermuten, wo Distanz geboten und zu garantieren ist. Die Gerichtspräsidenten und der Generalstaatsanwalt dürften es gar nicht lustig finden, wenn der Minister sie – wörtlich – zu Gesprächspartnern des „nachgeordneten Bereichs“ zu „allen denkbaren klärungsbedürftigen Themen“ degradiert.

Man darf als Hüter der Verfassung die Errungenschaft der rechtsstaatlichen Formen und die Pflicht zur absoluten politischen Abstinenz in der Justiz und in die Justiz hinein eben nicht durch eine Beliebigkeit informeller Kontakte von einer Gewalt in die andere unterlaufen: Wir erleben in der ministeriellen Erklärung die Verfassungsdistanz eines Politikers, der sich beim Publikum um Nachsicht bemüht. So spricht der rechtsferne Praktiker.

Die Aufgabe des Ministeriums ist grundsätzlich eine dienende, es hat lediglich die allgemeine Arbeitsfähigkeit der Justiz sicherzustellen. Nur die kleinen Teile der weisungsgebundenen Justizverwaltung in Gerichten und Staatsanwaltschaften sind ihm „nachgeordnet“. Deshalb ist das Parlament, das die Verwaltung – und nur sie – überwacht, nicht über justizielle Einzelfälle kontrollbefugt; der Minister ist dem Parlament darüber keineswegs auskunftsverpflichtet oder -berechtigt. Für die konkrete Fallbearbeitung in der Justiz trägt der Justizminister keine politische Verantwortung. Die unbedingte Distanz der Regierung – sie ist lediglich die Spitze der Verwaltung – von gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren ist ein Geheimnis des Erfolgs, den die moderne rechtsstaatliche Ordnung weltweit erzielt hat. Der Respekt, den die Politiker vor der Justiz haben, stabilisiert die Staatsgewalt insgesamt und versöhnt sie mit der Gesellschaft.

Jede gewaltenübergreifende Sorge um den Einzelfall in der Justiz muss als Übergriff erkannt werden, der ohne die gebotenen Formen rechtswidrig ist. Niemand darf den Bürgern Sand in die Augen streuen unter Berufung auf angeblich gute interne Kontakte: Es sind externe! In der Formlosigkeit und damit Haltlosigkeit des Informellen wird eine Ursache dafür erkennbar, dass in Teilen der sächsischen Bevölkerung das Vertrauen in die strikte Unabhängigkeit der Justiz gestört ist oder nie hat entstehen können.

(Erschienen in der Sächsischen Zeitung am 6. Dezember 2008)

Dr. Thomas Giesen ist Rechtsanwalt in Dresden. Er war von 1991 bis 2003 Sächsischer Datenschutzbeauftragter.

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