Selbstverwaltung der Dritten Gewalt in Dänemark

Selbstverwaltung der Dritten Gewalt in Dänemark

Niels Waage

Vizepräsident des dänischen Arbeitsgerichts:

Selbstverwaltung der Dritten Gewalt in Dänemark

 

Vortrag, gehalten am 25.08.2011 an der Deutschen Richterakademie Wustrau – leicht berarbeitet und gekürzt.
Übersetzung aus dem Englischen: Andrea Kaminski
Abgedruckt in Betrifft JUSTIZ 2013, Seiten 135 ff.

 

Ich freue mich, dass ich hier auf der Richterakademie in Wustrau über die Unabhängigkeit der dänischen Gerichte sprechen darf   und das heute und nicht vor 15 Jahren. Denn ich vermute, dass es vor 15 Jahren für deutsche Kollegen nicht besonders interessant gewesen wäre, sich mit dem dänischen System zu beschäftigen. Aber 1999 gab es eine Justizreform, die uns eine Unabhängigkeit von der Verwaltung beschert hat, die im europäischen Vergleich herausragt. Später folgte Norwegen mit einem ähnlichen System, und auch andere Länder schlossen sich an. Auf diese Reform und unsere Erfahrungen damit werde ich mich konzentrieren. Es geht um drei Hauptthemen:

• Einstellung und Beförderung der Richterinnen und Richter

• Richteramtsrecht, Beschwerden, Disziplinarrecht

• Verwaltung der Gerichte und Budgetverantwortung der einzelnen Gerichte.

1. Ein paar grundlegende Informationen über Dänemark und seine Geschichte

Dänemark liegt nördlich von Deutschland, südlich von Norwegen und westlich von Schweden. Es hat ca. 5,5 Millionen Einwohner und umfasst rund 43.000 Quadratkilometer. Das entspricht am ehesten Hessen mit 6 Millionen Einwohnern und Niedersachsen mit 47.000 Quadratkilometern. Dänemark ist seit 1.000 Jahren Königreich und ist die älteste Monarchie Europas.

Der erste dokumentierte dänische König war Gorm der Alte, der 899 auf den Thron kam. Alle folgenden Dynastien stammen in direkter Linie von ihm ab. Jahrhundertelang bestanden enge Verbindungen mit Deutschland, da der dänische König gleichzeitig Herzog von Holstein war. 1460 schlossen sich Schleswig und Holstein „auf immer“ zusammen. 1815 wurde der Deutsche Bund gegründet, und der dänische König war in seiner Funktion als Herzog von Holstein auch Herrscher eines Mitglieds des Deutschen Bundes.

Die europäischen Revolutionen von 1848 hatten in zwei Punkten Einfluss auf Dänemark:

Einen bedauerlichen dreijährigen Krieg gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Schleswig Holsteins, das von Preußen unterstützt wurde, und die Einführung einer freien Verfassung, was das Ende der absoluten Macht des Königs bedeutete.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Dänemark von Deutschland besetzt, aber inzwischen ist das Verhältnis zwischen den beiden Ländern vorbildlich. 1949 wurde Dänemark Mitglied der NATO und 1973 Mitglied der EU.

Die dänische Verfassung

Die dänische Verfassung von 1849 war wie so viele europäische Verfassungen dieser Zeit von dem Grundgedanken des französischen Philosophen Montesquieu zur Gewaltenteilung geprägt. Die entsprechende Vorschrift hat sich durch alle Verfassungen gehalten und lautet in der jetzt geltenden von 1953:

§ 3. Die gesetzgebende Gewalt liegt beim König und dem Folketing gemeinsam. Die vollziehende Gewalt liegt beim König. Die rechtsprechende Gewalt liegt bei den Gerichtshöfen.

Das Gerichtsverfassungsgesetz

Um das Prinzip der Gewaltenteilung zu sichern, sah die Verfassung von 1849 vor, dass die Rechtspflege durch Gesetz von der Verwaltung abzukoppeln sei. Aber erst 1919 wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen   das dänische Gerichtsverfassungsgesetz, ,,Retsplejeloven“, in wörtlicher Übersetzung Rechtspflegegesetz. Bis dahin wurden die Funktionen Staatsanwalt und Richter jedenfalls auf der unteren Ebene in einer Person wahrgenommen. Erst 1919 wurde eine Staatsanwaltschaft unter einem Generalstaatsanwalt und dem Justizministerium etabliert. Erst jetzt konnte von einer Unabhängigkeit der Justiz von der Regierung gesprochen werden, was die Rechtsprechung angeht. Die Verwaltung der Justiz lag aber nach wie vor in der Hand der öffentlichen Verwaltung. Und auch die Einstellung der Richter lag beim Justizministerium, formal beim König.

1999 änderte sich das dramatisch, als eine unabhängige Gerichtsverwaltung unter der Leitung eines von Richtern dominierten Gremiums sowie ein ebenfalls vom Justizministerium unabhängiger Richter Berufungsrat etabliert wurden.

2007 gab es eine weitere radikale Justizreform in Dänemark. Die Zahl der erstinstanzlichen Gerichte   Amtsgerichte   wurde von 82 auf 24 reduziert. Was aber die Unabhängigkeit angeht, war die Reform von 1999 entschieden bedeutsamer.

Das dänische Gerichtssystem

Bevor ich weiter auf diese Reform eingehe, eine kurze Darstellung des Gerichtssystems in Dänemark.

Wie in Deutschland besteht das Gerichtssystem aus drei Instanzen:

Erste Instanz sind die 24 Amtsgerichte. Zweite Instanz sind die zwei Landesgerichte. (Östliches Landesgericht in Kopenhagen und Westliches Landesgericht in Viborg, eine Stadt in Jütland). Letze Instanz ist der oberste Gerichthof in Kopenhagen.

Verwaltungsgerichte gibt es bei uns nicht.

Wir haben in den Landgerichten und Amtsgerichten zwei richterliche Berufsbilder: die ernannten Richter und die Richterbevollmächtigten. Sie sind keine ernannten Richter, dürfen aber richterliche Funktionen wahrnehmen   grundsätzlich ohne irgendwelche Einschränkungen. Sie können unmittelbar nach der Universitätsausbildung eingestellt werden und können in dieser Funktion lebenslang tätig bleiben. Die meisten dänischen Richter haben ihre Karriere so begonnen.

Verfassungsrechtliche Vorgaben für Richter

Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der dänischen Verfassung gewährleistet:

§ 62. Die Rechtspflege soll von der Verwaltung getrennt werden. Das Nähere regelt ein Gesetz..

§ 64. Die Richter haben sich in ihrem Amt lediglich nach dem Gesetz zu richten. Sie können, außer durch Urteil, nicht abgesetzt und gegen ihren Wunsch auch nicht versetzt werden, außer bei einer Neuordnung der Gerichtshöfe.

2. Die Reform von 1999

Anlass für die Gerichtsreform von 1999 war in erster Linie ein Skandal, der mit den Gerichten gar nichts zu tun hatte und ausschließlich das Justizministerium betraf.

Der Tamilenskandal

Der Fall begann 1987: Die Regierung stellte Überlegungen an, wie man die Zahl der Familienzusammenführungen tamilischer Flüchtlinge reduzieren könne. Der Justizminister Erik Ninn Hansen entschied, die Bearbeitung solcher Fälle zu stoppen, zumal sich die Verhältnisse in Sri Lanka gebessert hatten. Nach dem Gesetz bestand aber ganz klar ein Recht der Flüchtlinge auf Familienzusammenführung, so dass diese Anordnung gesetzwidrig war. Die Tamilen erhoben Beschwerde zum Ombudsmann, einer Einrichtung des Parlaments, und dieser bemängelte die Anordnung. Das führte zum Sturz der Regierung 1993. Erik Ninn Hansen wurde 1995 wegen Amtsmissbrauchs in drei Fällen zu 4 Monaten Haft verurteilt, deren Vollstreckung wegen gesundheitlicher Probleme ausgesetzt wurde. Auch eine Reihe von Mitarbeitern des Ministeriums stand in der Kritik, und der Staatssekretär wurde entlassen.

Dieser Skandal schwächte das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizministerium ernstlich, und es entstand die politische Notwendigkeit, die Macht des Ministeriums massiv zu reduzieren. Eine der Maßnahmen bestand darin, dem Ministerium die Verantwortung für die Justiz zu entziehen.

Der Gerichtsausschuss

1993 wurde ein Komitee mit dem Präsidenten des Obersten Gerichts Niels Pontoppidan als Vorsitzendem eingesetzt, das ein neues System insbesondere zur Auswahl und Rekrutierung von Richterinnen und Richtern sowie zur Verwaltung und Finanzierung der Gerichte erarbeiten sollte. Der Ausschuss legte seinen Report 1996 vor.

Die am meisten akzeptierten Ergebnisse waren zum einen die Etablierung einer vom Justizministerium unabhängigen Gerichtsverwaltung, die von einem Il köpfigen Gremium geleitet werden sollte, von denen acht aus der Richterschaft kommen sollte, und zum anderen die Einführung neuer Regeln für die Einstellung von Richtern, für die ein unabhängiges Gremium, der Richterernennungsausschuss, eingesetzt wurde. Diese Reform trat am 1. Juli 1999 in Kraft.

Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs im Parlament hatte der frühere Justizminister die Reform beschrieben als „historischer Natur“, die einen „Meilenstein in der Reorganisation der Gerichte“ darstelle … Der Zweck sei „Autonomie und Unabhängigkeit zu stärken und ihre Bedeutung als Dritte Gewalt im Staat zu unterstreichen“. Der Entwurf sei, so sagte der Minister, „von zentraler Bedeutung für die Gesellschaft“.

Andererseits bestand im Parlament allgemeiner Konsens, dass die Gerichte in der Praxis bereits unabhängig gewesen seien. So spiegelt die Reform vor allem diese Unabhängigkeit auch in der Form. Man könnte sagen, sie war in erster Linie eine symbolische Änderung. Die Unabhängigkeit wurde „sichtbar“ gemacht. Die Reform sollte klar machen, dass man Gewaltenteilung 150 Jahre nach Aufnahme in die Verfassung nun ernst nahm. So unterstrich auch der Bericht der Reformkommission, dass die Reform in erster Linie Symbolcharakter habe. Es gebe keine Gründe für die Annahme, dass das alte System zu Einflussnahme des Ministeriums auf Finanzierung und Verwaltung geführt habe, die das Entscheidungsverhalten der Richter und richterliche Handlungsweisen habe beeinflussen sollen. Dennoch war die Kommission der Meinung, es sei „erstrebenswert, die besondere Rolle der Justiz als dritter Gewalt im Staat“ hervorzuheben. Die Gerichte sollten nicht nur unabhängig und unparteilich sein, sondern auch so wahrgenommen werden.

3. Einstellung und Beförderung von Richtern

Die Lage bis 1999

Natürlich ist es für die Unabhängigkeit der Justiz von großer Bedeutung, auf welche Weise Richter ausgewählt und befördert werden und wer darüber entscheidet. Nach unserer Verfassung werden Richter vom König   de facto vom Justizminister  ernannt. Aber seit 1919 war es ständige Praxis, dass die Gerichte um Empfehlungen gebeten wurden. Wenn z. B. ein Richter zum Obersten Gerichtshof ernannt werden sollte, dann machte dieses Gericht einen Vorschlag, dem in aller Regel gefolgt wurde. Der Oberste Gerichtshof hatte und hat die Möglichkeit, einer Ernennung zu widersprechen. Es gibt eine jahrhundertealte Regel, wonach ein Bewerber für das Oberste Gericht seine Eignung beweisen muss, indem er an vier Fällen des Obersten Gerichts mitarbeitet. Wenn sich die Kollegen danach nicht für seine Ernennung aussprechen, kann er das Amt nicht bekommen. Das stellt natürlich eine gute Sicherung für Unabhängigkeit des Gerichts dar.

Bei den unteren Gerichten ist es der Präsident des Landesgerichts, der gegenüber dem Justizminister eine Empfehlung für einen der vorgeschlagenen Kandidaten ausspricht. Viele Jahre lang wurde diesen Empfehlungen ausnahmslos gefolgt; in nur zwei Fällen in 50 Jahren wich der Justizminister davon ab.

Vor 1999 verlief die Auswahl der Richter normalerweise wie folgt: An den Amtsgerichten   mit Ausnahme des Kopenhagener Gerichts   wurden die Richter fast ausnahmslos aus den Reihen der Richterbevollmächtigten rekrutiert, das heißt, normalerweise waren sie seit ihrem Universitätsexamen ausschließlich am Gericht beschäftigt.

Beim Kopenhagener Amtsgericht waren mindestens zwei Drittel vorher für 10 bis 12 Jahre beim Justizministerium beschäftigt. Die übrigen waren zuvor

Richterbevollmächtigte. In Kopenhagen waren die neu ernannten Richter in der Regel ca. 35 40 Jahre alt. Nach ca. 10 Jahren wurden sie praktisch automatisch zum Östlichen Landesgericht befördert. Dort blieben sie bis zum 70. Geburtstag tätig, wenn sie es nicht zwischenzeitlich zum Obersten Gerichtshof schafften. Manche Juristen schafften den Sprung zum Obersten Gerichtshof nach 15 Dienstjahren im Ministerium unmittelbar. Da die Richter aus dem Ministerium normalerweise jünger waren als diejenigen, die als Richterbevollmächtigte angefangen hatten, waren ihre Chancen auf einen Posten am Obersten Gerichtshof größer. Tatsächlich gab es eine Phase in den 80ern, als fast alle Richter am Obersten Gerichtshof im Ministerium angefangen hatten.

Sie sehen, das Justizministerium hatte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erheblichen Einfluss auf die Gerichte. Die Gerichte wurden vom Justizministerium verwaltet, und beinahe alle hohen Richter waren dort sozialisiert.

Einstellung und Beförderung nach 1999

Der Richter Berufungsrat wollte die Einstellung von Richtern transparenter machen, die Unabhängigkeit unterstreichen und eine breitere Auswahl fördern. Das Parlament legte deshalb im Gerichtsverfassungsgesetz fest, dass Richter aus anderen Bereichen der Gesellschaft als nur dem Ministerium und den Gerichten selbst rekrutiert werden sollten und andere berufliche Erfahrungen haben sollten. Da heißt es:

„Die Ernennung von Richtern muss auf einer umfassenden Bewertung der Qualifikationen des Kandidaten für das Amt beruhen. Entscheidende Bedeutung ist den rechtlichen und persönlichen Qualifikationen beizumessen. Auch die Breite der Erfahrung der Kandidaten muss berücksichtigt werden, denn in den Gerichten sollen Richter mit verschiedenen beruflichen Hintergründen tätig sein.“

Wie gesagt, zuvor hatten die Gerichte praktisch den entscheidenden Einfluss auf die Rekrutierung der Richter   mehr als in irgendeinem anderen westlichen Land.

Da der Gerichtsausschuss keine Notwendigkeit sah, die Stellung der Justiz als unabhängige Dritte Gewalt zu konsolidieren, sprach er sich nicht für eine Formalisierung der bisherigen Praxis dahingehend aus, dass die Gerichte auch formal für die Richterauswahl zuständig wären. Der Ausschuss befürchtete vielmehr, dass eine solche Regelung der Forderung nach transparenterer und breiter gefächerter Auswahl zuwider laufen werde und zu „Inzucht“ führen werde. Die Rekrutierung von Richtern durch ein demokratisch legitimiertes Gremium entspreche den Vorgaben der Verfassung besser, sodass die Gerichte nicht „Staat im Staat“ seien. Wenn die Gerichte selbst die Zuständigkeit zur Ernennung der Richter erhielten, wäre es „unmöglich, jemanden zur Verantwortung zu ziehen, wenn die Einstellungspolitik auf Kritik von außen stoße“. Im Ergebnis schlug der Ausschuss vor, einen Richter Berufungsrat zu etablieren, der so zusammengesetzt wäre und auf eine Weise arbeite, dass die Berufung von Richtern auf einer objektiven sachlichen Basis erfolge und auch die Vorgaben der breiter gefächerten Rekrutierung möglichst effizient erfüllt würden. Aufbau  und Ablauforganisation sollten das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Richterauswahl stärken. Das Parlament folgte dieser Empfehlung.

Der Richter Berufungsrat besteht aus einem Richter des Obersten Gerichtshofs, einem Richter von einem der zwei Landesgerichte, einem Richter von einem der Amtsgerichte, zwei Vertretern der Öffentlichkeit und einem Rechtsanwalt.

Die Mitglieder des Rates werden vom Justizminister auf Vorschlag des Obersten Gerichtshofs bzw. Landesgerichts und der dänischen Richtervereinigung ernannt, der Anwalt auf Vorschlag der Anwaltsvereinigung, und die Vertreter der Öffentlichkeit auf Vorschlag des Städtetages und der Erwachsenenbildungsvereinigung. Sie sollen Personen sein, die „gesellschaftlich engagiert und breitgefächert interessiert“ sind sowie „persönliche Integrität und Effektivität“ besitzen.

Der Richter Berufungsrat gibt nur Empfehlungen. Ursprünglich ging der Vorschlag dahin, mehrere Kandidaten gleicher Eignung vorzuschlagen und Minderheitsvoten zuzulassen. Das hätte dem Justizminister eine Auswahl überlassen. Das wollte der Minister jedoch nicht, sondern bestand auf nur einem Vorschlag. So geschah es. Im unwahrscheinlichen Fall, dass der Justizminister den vorgeschlagenen Kandidaten nicht will, muss er den Rechtsausschluss des Parlaments anrufen.

Das Verfahren des Richter-Berufungsrates

Wenn eine Stelle am Amtsgericht zu besetzen ist, wird sie ausgeschrieben. Bewerbungen sind an den Berufungsrat zu richten, der bei dem entsprechenden Gericht und dem übergeordneten Gericht um einen Vorschlag bittet. Der Rat entscheidet aufgrund mündlicher Beratung auf der Basis der schriftlichen Vorschläge. Er kann auch Kandidaten anhören. Die Empfehlung wird am Tag nach der Beratung auf der Homepage des Rates veröffentlicht. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

Die Rolle des Landesgerichts bei der Berufung von Richtern

Die Stellungnahme des Landesgerichts ist essentiell, denn wer Richter am Amtsgericht werden will, muss neun Monate beim Landesgericht gearbeitet und sich dort qualifiziert haben. Dies ist die entscheidende Phase im Berufsleben eines Richter Aspiranten. Man wird in drei verschiedenen Abteilungen eingesetzt, also zusammen mit drei mal zwei ernannten Richtern des Landesgerichts, und am Ende dieser dreimonatigen Phasen gibt der Vorsitzende der Abteilung an den Präsidenten des Landgerichts eine Beurteilung ab, die sich auf alle drei Abschnitte bezieht. Hier werden die Fähigkeiten und Leistungen im Einzelnen beschrieben. Da geht es um schriftliche Ausarbeitungen, Beteiligung in Beratungen, soziale Kompetenz usw. Die Bewertung ist standardisiert, so dass Bewerber verglichen werden können: Besonders geeignet, gut geeignet, geeignet oder nicht geeignet. Damit hat das Landgericht in der Realität ein Vetorecht: Wer „nicht geeignet“ bekommt, scheidet als Richter aus; aber auch nur „geeignet“ reicht nicht.

Vor der Reform entschied de facto das Landesgericht, wer Richter wurde. Heute kann das Landesgericht eine Berufung verhindern, kann aber nicht sicher sein, dass der eigene bevorzugte Kandidat genommen wird, wenn es mehrere gut geeignete Bewerber gibt.

Der Vorschlag des Landesgerichts steht in der Verantwortung des Gerichtspräsidenten, er wird aber im Plenum diskutiert. So kann jeder Richter seine

Meinung sagen, und in der Praxis ist es undenkbar, dass der Präsident jemanden vorschlägt, der nicht von der Mehrheit der Richter des Landesgerichts unterstützt wird.

Auch das Amtsgericht, dessen Stelle zu besetzen ist, kann Stellung nehmen. Auch hier wird der Vorschlag in einer Versammlung der Richter und des Präsidenten diskutiert. Auch hier wird sich die Mehrheit durchsetzen.

Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof

In der Praxis hat die Reform hier nichts geändert. Der Richter Berufungsrat, dessen Vorsitzender ein Richter des Obersten Gerichtshofes ist, wird dem Vorschlag des Obersten Gerichtshofes folgen, wie es zuvor der Justizminister getan hat.

Veränderungen bei der Kandidatensuche seit 1999

Für das Oberste Gericht bestand schon in den 1990ern ein Trend zu breiter gestreuter Rekrutierung. Das Muster der Auswahl veränderte sich dramatisch. Inzwischen sind nur noch wenige der Richter am Obersten Gerichtshof den traditionellen Karriereweg durch das Ministerium gegangen. Viele kommen noch direkt von den Landesgerichten, waren aber nicht oder nur kurz im Ministerium. Von 14 zwischen 1990 und 1999 ernannten Richtern waren neun vorher Landesrichter und drei waren Hochschullehrer, einer davon gleichzeitig niedergelassener Rechtsanwalt, ebenso wie ein anderer der sechs Landesrichter vorher Anwalt war. Nur vier der 14 ernannten Richter am Obersten Gerichtshof hatten die klassische Ministerialkarriere durchlaufen.

Nach Arbeitsaufnahme des Richter Berufungsrates 1999 hält dieser Trend an. Andererseits hat sich an den Berufungsmustern für Landes  und Amtsgerichte außerhalb Kopenhagens extrem wenig geändert.

Anders beim Amtsgericht Kopenhagen: Vor der Reform 1999 hatten 2/3 im Ministerium angefangen, und alle Amtsrichter wurden später Richter am Landesgericht Ost. 40 von 50 Richtern dort waren vorher Amtsrichter in Kopenhagen. In den ersten vier Jahren nominierte der Berufungsrat 25 Kandidaten für das Amtsgericht Kopenhagen, von denen nur zwei aus dem Ministerium kamen, während 23 Richterbevollmächtigte Landesrichter oder Beamte der Gerichtsverwaltung waren.

Bis auf den heutigen Tag ist es uns nicht gelungen, die breiter gestreute Auswahl an die Landes  und Amtsgerichte zu bringen, auf die die Reform gezielt war. Die Gründe liegen vermutlich außerhalb des Einflusses des Berufungsrates. Anscheinend ist diese Tätigkeit für viele qualifizierte Anwälte nicht ausreichend attraktiv, die altersmäßig für die Ernennung in Frage kämen. Für Angestellte im privaten Sektor spielt zweifellos das Gehalt eine wichtige Rolle. Wer als Anwalt hinreichend qualifiziert ist, verdient normalerweise das Doppelte oder mehr des Richtergehaltes. Auch die 9 Monate Probedienst beim Landesgericht schrecken ab. Ob man danach als qualifiziert genug befunden wird, ist unsicher.

4. Richteramtsrecht, Disziplinarsystem und Disziplinarmaßnahmen bzw.

Beschwerden über Richter

Die volle Unabhängigkeit der Justiz von der Verwaltung wird u. a. durch die Disziplinarordnung gesichert. Natürlich kann man sich nicht gegen ein Urteil bei der Verwaltung beschweren, sondern man muss innerhalb des Justizsystems Rechtsmittel einlegen. Aber auch über das Verhalten eines Richters kann man sich nicht beim Ministerium beschweren. Beschwerden gegen Amts  oder Landesrichter sind an den Präsidenten des Landesgerichts zu richten. Beschwerden über den Präsidenten gehen an den Präsidenten des übergeordneten Gerichts. Dieser kann eine Ermahnung aussprechen oder seine Missbilligung eines Verhaltens ausdrücken oder eine Geldbuße verhängen.

Seit 1939 gibt es auch einen besonderen Gerichtshof für Richteranklagen  „Klagerecht“ auf Dänisch. Es ist für sehr unterschiedliche Verfahren zuständig, u. a. für Dienstaufsichtsbeschwerden oder Entlassung von Richtern aus Krankheitsgründen, und auch für Wiederaufnahmeverfahren im Strafrecht. Die fünf Mitglieder werden für 10 Jahre bestimmt, ohne Verlängerungsmöglichkeit. Es sind ein Richter des Obersten Gerichtshofs, ein Landesrichter und ein Amtsrichter, ein niedergelassener Anwalt, ein Hochschullehrer oder ein weiterer Rechtsanwalt mit wissenschaftlicher Orientierung.

Heute kann der Gerichtspräsident entweder eine Beschwerde über einen Richter selbst bearbeiten oder sie dem „Klagerecht“ vorlegen. Man kann sich auch direkt an den Klagerecht wenden, der Vorhalte machen oder Geldbußen verhängen kann. Jedes Jahr berichtet der Amtsrichter des Klagerecht der Versammlung der dänischen Richtervereinigung über die Aktivitäten des Gerichts. Meistens führen Beschwerden nicht zu Sanktionen, zumal sie häufig in Wirklichkeit auf Unzufriedenheit mit dem Verfahrensergebnis beruhen. Solche Beschwerden werden auf den Rechtsmittelzug gegen die Entscheidung verwiesen. Ich erinnere mich aber auch an einen Fall, wo die Richterin mit umgerechnet rund 3.000 Euro Geldbuße belegt wurde, weil sie Anfragen nicht beantwortete und Urteile verzögert erließ. Sie schied unmittelbar danach aus dem Dienst aus.

5. Die Gerichtsverwaltung

Ab 1849 wurden die Gerichte vom Ministerium verwaltet und hatten kein eigenes Budget. Dies wurde vom Ministerium auf die einzelnen Gerichte verteilt. Das änderte sich vor 20 Jahren. Mit der Reform 1999 wurde eine gesonderte Gerichtsverwaltung ‚,Domstolsstyrelsen“ eingerichtet, die die Verteilung der Haushaltsmittel auf die Gerichte vornimmt und für alle anderen administrativen Entscheidungen zuständig ist. Sie gehört nach wie vor zum Ministerium; der Minister hat aber keine Weisungsbefugnis, und Entscheidungen der Gerichtsverwaltung können von ihm nicht überprüft werden. Sie kann ihren Haushalt am Minister vorbei unmittelbar im Parlament anmelden, wenn der Vorstand der Meinung ist, dass die im Staatshaushalt vorgesehenen Mittel angemessen sind   eine ziemlich einmalige Konstruktion.

Das Gerichts-Verwaltungsgesetz

Die Gerichtsverwaltung beruht auf diesem Gesetz, von dem ich die wichtigsten Vorschriften hier vorstelle.

§ I Der Justizminister richtet eine Gerichtsverwaltung ein, die mit finanziellen und verwaltungsmäßigen Angelegenheiten der Gerichte befasst wird.

Die Gerichtsverwaltung ist eine unabhängige staatliche Einrichtung, der ein Vorstand und Direktor vorsitzen. Der Justizminister hat keine Weisungsbefugnis gegenüber der Gerichtsverwaltung, und gegen ihre Entscheidungen gibt es keine Beschwerde zum Minister.

§ 3 (1) Der Vorstand leitet die Gerichtsverwaltung und hat die Letztverantwortung für die Handlungen der Gerichtsverwaltung. (2) Er hat für ein zuverlässiges und problemloses Funktionieren der Gerichte zu sorgen und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dies sicher zu stellen. (3) Er trifft alle wesentlichen Entscheidungen einschließlich

I. Haushaltsanmeldungen an den Justizminister

2. Ressourcenverteilung im vom Landeshaushalt gesetzten Rahmen. (4) Er stellt Richtlinien für die Aktivitäten der Gerichtsverwaltung auf und beschließt über deren Planungen.

§ 4 Der Vorstand besteht aus einem Richter des Obersten Gerichthofs (ernannt auf Vorschlag des Obersten Gerichthofs), zwei Richtern von den Landesgerichten (ernannt auf Vorschlag des westlichen und des östlichen Landesgerichts), zwei Richtern von den Amtsgerichten (ernannt auf Vorschlag der Vereinigung der dänischen Richter) und einem Vertreter der sonstigen juristischen Mitarbeiter der Gerichte (ernannt auf Vorschlag der Vereinigung der Richterbevollmächtigten), zwei Vertretern der sonstigen Mitarbeiter (auf Vorschlag der Gewerkschaften), einem Anwalt (auf Vorschlag der Anwaltsvereinigung) und zwei Vertretern mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten in Management und Gesellschaft (auf Vorschlag des ,,Beschäftigungsrates‘ c einer Organisation, die den Arbeitsminister berät und aus 37 Vertretern von Arbeitgeber  und Arbeitnehmerinteressen, Behindertenverbänden, Religionsgemeinschaften und Vertretern von Gebietskörperschaften besteht). (1) Abgeordnete können nicht Mitglieder des Vorstandes sein.

§ 5 (1) Das Tagesgeschäft des Vorstandes wird von einem Direktor betrieben, der an Anweisungen und Richtlinien des Vorstandes gebunden ist. (2) Der Vorstand ernennt und entlässt den Direktor. (3) Der Direktor entwirft den Haushaltsplan für das nächste Fiskaljahr und einen Plan zur Ressourcenvertellung innerhalb der vom Landesbudget aufgestellten Grenzen.

Das Gerichtsbudget

Der nationale Haushaltsplan, den das Parlament verabschiedet, umfasst auch das Budget für die Gerichte. Dieses Budget wird von der Gerichtsverwaltung entsprechend den lokalen Gegebenheiten wie Anzahl der Richter und Mitarbeiter, Raummiete und Gerichtsgröße auf die verschiedenen Gerichte verteilt. Auf dieser Basis stellt jedes Gericht seinen eigenen Haushalt auf und kann das Geld mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken einsetzen. Die Gerichte haben zwei Budgets: Den Personalhaushalt und einen Haushalt für alle anderen Ausgaben. Bis zu einem bestimmten Umfang sind diese gegenseitig deckungsfähig. Die einzelnen Gerichte sind damit weitgehend autonom   ein grundlegender Unterschied zur Situation vor 15 bis 20 Jahren.

Wenn ein Gericht sein Budget nicht vollständig ausgibt, kann es jetzt den Rest z. B. für einen Betriebsausflug nutzen. Solche Extravaganzen gab es niemals zuvor. Anfangs galt diese Handlungsfreiheit nicht für die Personalkosten, den bei weitem größten Batzen der Kosten mit über 85 %. Inzwischen sind aber auch die Personalkosten gerichtsscharf aufgeteilt, so dass ein Gericht kreativ und praktisch mit Personal haushalten kann. In engen Grenzen können Mittel aus dem Personalhaushalt für andere Ausgaben eingesetzt werden. So kann z. B. ein Gerichtssaal renoviert werden, wenn eine Vakanz nicht sofort wieder gefüllt werden kann.

Der Umfang der Gerichtsverwaltung nach 1999

Aus der Sicht des einzelnen Richters hat die Einrichtung der Gerichtsverwaltung eher zu einer stärkeren Stellung der Verwaltung geführt, aber einer von der Justiz selbst ausgeübten Verwaltung. Vorher zögerte das Justizministerium eher, den Gerichten Managementinitiativen aufzudrängen, weil es sich nicht vorwerfen lassen wollte, in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen. Eine von den Gerichten selbst geführte Verwaltung unterliegt solchen Beschränkungen nicht.

Der Jahresbericht des Gerichts

Heutzutage müssen alle Gerichte Jahresberichte über ihre Aktivitäten erstellen. Sie sind standardisiert, so dass man die Effizienz eines Gerichts mit der eines anderen vergleichen kann. Der Bericht erstreckt sich auf alle Arten von Fällen.

Kontrolle der Zielerreichung

Diese Initiativen muss man in Verbindung mit der Tatsache sehen, dass das dänische Finanzministerium in den letzten Jahren neue Verfahren eingeführt hat um sicherzustellen, dass die zugewiesenen Finanzmittel in den verschiedenen Bereichen der Verwaltung so effizient wie möglich verwendet werden. So sind öffentliche Akteure mit solchen der Privatwirtschaft verglichen worden. Unter anderem mussten verschiedene Zweige der öffentlichen Verwaltung Jahresberichte vorlegen, wie sie in Privatunternehmen üblich sind.

Darin müssen einzelne Bereiche eine Reihe von Zielen für ihre Produktion benennen (z. B. Erledigungszeiten für bestimmte Verfahren), und teilweise wurden Zielvereinbarungen zwischen Verwaltung und Ministerium abgeschlossen. Teilweise wurden erfolgsabhängige Managergehälter vereinbart, also Gehälter, die von der Produktivität des Bereichs der öffentlichen Verwaltung abhängen. Das bedeutet u. a., dass die für bestimmte Falltypen und Verfahren eingesetzte Bearbeitungszeit detailliert erhoben werden muss. Es geht zum einen darum, die beste und schnellstmögliche Bearbeitung sicherzustellen und zum anderen darum, eine Basis für die Ressourcenverteilung zu finden. Wenn zum Beispiel festgestellt wird, dass eine Abteilung eine wesentlich vom Durchschnitt abweichende Besetzung hat, kann es notwendig sein, die Mittel zu erhöhen oder zu reduzieren. Dieses System hat die Gerichtsverwaltung in gewissem Umfang auch bei den dänischen Gerichten eingeführt (einschließlich der Kontrolle der Zielerreichung), weil das Finanzministerium das im Zuge der Verhandlungen über das Jahresbudget der Justiz verlangt hat. Demnach müssen die Gerichte   wie auch Verwaltungseinheiten

detailliert über ihre Produktivität und ihre Fähigkeit, die ihnen zugewiesenen Fälle korrekt und zügig zu entscheiden, Rechenschaft ablegen.

Vor ca. 10 Jahren begann die dänische Gerichtsverwaltung damit, jährlich über die Gerichte als Ganzes zu berichten (u. a. gegenüber dem Finanzminister); inzwischen schreibt die dänische Gerichtsverwaltung in Kooperation mit den einzelnen Gerichten Geschäftsberichte für alle Amtsgerichte bezogen auf die Anzahl der Richter und Mitarbeiter jeder einzelnen Abteilung und stellt auch Ziele auf, wie viele Fälle pro Mitarbeiter in jeder Fallkategorie bearbeitet werden sollen. So kann man die Produktivität der Gerichte vergleichen.

Niels Waage ist Vizepräsident des dänischen Arbeitsgerichts, ehemaliger Präsident des Amtsgericht Roskilde und war zuvor Richter am Östlichen Landesgericht Kopenhagen.

 

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