Sein Berufsethos bringt einen Richter beinahe vor Gericht

Sein Berufsethos bringt einen Richter beinahe vor Gericht

Aus dem Text:

„…. Staatsanwälte klagen einen Richter an, Richter zeigen Staatsanwälte an – „so weit haben es die Regierenden gebracht“, kommentiert der Frankfurter Rechtsprofessor Peter-Alexis Albrecht….Auch in der dritten Gewalt habe inzwischen „McKinsey Einzug gehalten“, beklagt Albrecht in der Zeitschrift für Rechtspolitik. Aber die Anklage gegen Richter S. sei der „traurige Höhepunkt“ des Strebens nach Effizienz. „Die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs“ falle auf die sparwilligen Politiker zurück: Sie seien eigentlich verpflichtet, für eine ausreichende personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen ….“

 

Stuttgarter Zeitung vom 12.11.2004:

 

Sein Berufsethos bringt einen Richter beinahe vor Gericht

Von Andreas Müller

 

Strafverfahren gegen Mannheimer Jugendrichter wird zum Politikum – Vorgehen der Staatsanwälte vom Justizministerium gedeckt

Staatsanwälte klagen einen Richter wegen Strafvereitelung an, ein anderer Richter zeigt die Ermittler wegen Verfolgung Unschuldiger an – die Personalnot in der Justiz treibt seltsame Blüten. Nun beschäftigt der ungewöhnliche Fall den Landtag.

Die Unabhängigkeit der Richter ist für Ulrich Goll, (FDP) ein hohes Gut. Sie sei in der Verfassung verankert und „einer der wichtigsten Grundsätze des Rechtsstaats überhaupt“, betonte der Justizminister dieser Tage in der Antwort auf eine Grünen-Anfrage. So weit die Theorie. Aber was ist das hehre Prinzip praktisch wert in einer Zeit, da die Arbeit zunimmt und zugleich Personal abgebaut wird? Bekommen es Richter, die das wachsende Pensum nicht mehr schnell genug bewältigen, künftig selbst mit der Justiz zu tun? Darum geht es in einem Fall, der derzeit bundesweit Wellen schlägt und nun auch die Landespolitik beschäftigt.

Die Hauptperson heißt Hans-Georg S. (66) und ist heute im Ruhestand. Mehr als zwanzig Jahre lang war S. Jugendschöffenrichter am Amtsgericht Heidelberg, und er war es mit Leib und Seele. Bei Kollegen, Anwälten und Sozialarbeitern galt er als Musterbeispiel seines Berufsstands: Er nahm die jungen Delinquenten Ernst und ließ sie ausreden, hörte zu und rang in jedem Einzelfall um ein gerechtes Urteil. Das kostete Zeit. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre schob S. immer mehr Verfahren vor sich her. Er erbat zwar Entlastung, bekam sie aber nicht.

Was er bekam, war Ärger mit der Staatsanwaltschaft. Zwei Mannheimer Chefanklägern hatte seine Arbeitsweise wohl missfallen. Sie leiteten Ermittlungen wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ein, die sie bald darauf an die Kollegen in Heidelberg abgaben. Dort sammelte ein junger Staatsanwalt 21 Fälle – von Einbruchsdiebstahl über gefährliche Körperverletzung bis zu sexuellem Missbrauch -, die teilweise über Jahre liegen geblieben waren; kein Verfahren war freilich verjährt.

Das Ergebnis war Ende 2001 eine Anklage, die hart mit S. ins Gericht ging: Schuld an den Verzögerungen sei „schlicht die mangelnde Einsatzbereitschaft“ des Richters. In Zeiten besonderen Arbeitanfalls dürfe auch besonderer Einsatz erwartet werden und nicht „Dienst nach Vorschrift“. Man wolle einmal wissen, lautete der letzte Satz, „welche Privilegien sich ein Richter herausnehmen kann, bevor die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten wird“. „Untauglich und töricht“ nannte S. selbst den Versuch, ihm die personellen Engpässe anzulasten. Mindestens genauso empört war sein Verteidiger Peter Slanja: Wenn sich der Richter ein Privileg herausgenommen habe, dann das, „mit jungen Menschen so umzugehen, wie es das Gesetz erwartet“. Die Anklage sei abwegig und rechtlich unhaltbar.

Zwei Jahre später – S war inzwischen zermürbt aus dem Dienst geschieden – gab ihm das Landgericht Mannheim Recht: Es konnte keine Straftat erkennen und lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. „Kein Richter ist verpflichtet, über seine Leistungsfähigkeit hinaus zu arbeiten“, stand in der Begründung. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde Ende 2003 ebenso klar vom Oberlandesgericht Karlsruhe verworfen. Damit war der Fall erledigt.

Wurde ein Exempel statuiert?

Öffentlich wurde das Ende des Verfahrens, das am Anfang einiges Aufsehen erregt hatte, kaum noch zur Kenntnis genommen. Doch in Fachkreisen wird es inzwischen zunehmend kritisch diskutiert. Es gehe um nichts weniger als „die Qualität der Rechtsprechung“, sagt der Anwalt Slania. War die Anklage ein Alleingang der Staatsanwaltschaft? Oder sollte an S. ein Exempel statuiert werden? Steckt dahinter der Versuch, die Richter zur schnelleren Erledigung ihrer Fälle zu drängen? Das jedenfalls fürchtet die Neue Richtervereinigung, deren Bundessprecher sich in „erheblicher Sorge“ ans Stuttgarter Justizministerium wandte. Ob man die Anklage dort gekannt und gebilligt habe?

Das Vorgehen der Staatsanwälte, beschied Ulrich Goll jetzt die Grünen, „beruhte nicht auf einer Weisung“ seines Hauses oder der Generalstaatsanwaltschaft. Aber natürlich sei das Ministerium „fortlaufend unterrichtet“ worden. Eingegriffen hätte es wie stets nur bei „rechtlich unvertretbareri“ Entscheidungen, doch die lägen angesichts der „unklaren Rechtslage“ nicht vor.

Wirklich nicht? Das wollte ein Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, der über den vermutlich beispiellosen Fall wie viele Kollegen „entsetzt und fassungslos“ war, jetzt von der Justiz prüfen lassen: Er erstattete gegen die beiden zuständigen Heidelberger Staatsanwälte Strafanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger und versuchter Nötigung. Von Anfang an, so seine Begründung, habe es „nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein strafbares Verhalten von Herrn S. gegeben“.

Erfolg hatte der plakative Protest bisher nicht: Die Heidelberger Staatsanwaltschaft weigerte sich, Ermittlungen gegen die eigenen Kollegen aufzunehmen; es gehe nur um „unterschiedliche rechtliche Wertungen“. Und die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wies den Vorhalt zurück, die Heidelberger bearbeiteten „eine gegen sich selbst gerichtete Strafanzeige“ und seien mithin befangen. Nun hat der Richter Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt.

Staatsanwälte klagen einen Richter an, Richter zeigen Staatsanwälte an – „so weit haben es die Regierenden gebracht“, kommentiert der Frankfurter Rechtsprofessor Peter-Alexis Albrecht. Für ihn ist es ein Alarmsignal, dass Justizangehörige „vor der Widersprüchlichkeit der beruflichen Anforderungen in die Knie gehen“ und sich nun sogar „gegenseitig malträtieren“. Auch in der dritten Gewalt habe inzwischen „McKinsey Einzug gehalten“, beklagt Albrecht in der Zeitschrift für Rechtspolitik. Aber die Anklage gegen Richter S. sei der „traurige Höhepunkt“ des Strebens nach Effizienz. „Die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs“ falle auf die sparwilligen Politiker zurück: Sie seien eigentlich verpflichtet, für eine ausreichende personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen.

Goll empfiehlt Kurse gegen Stress

Dass es dort zunehmend Engpässe gibt, leugnet auch Ulrich Goll nicht. Dem Problem begegne man mit mehreren Mitteln, schrieb der Justizminister dem Grünen-Abgeordneten Thomas Oelmayer: zum Beispiel mit Kursen zu Stressbewältigung und Arbeitsorganisation, mit einer modernen EDV-Ausstattung oder mit zeitgemäßer Personalführung. Oelmayers provokante Frage, ob er auch in der Strafverfolgung von Richtern ein „rechtspolitisch zu billigendes Mittel“ sehe, wies Goll entrüstet zurück: Dass Richter in Baden-Württemberg dadurch unter Druck gesetzt und „zum schnelleren Arbeiten angehalten“ würden, sei eine unzutreffende „Unterstellung“. Einziger Zweck von Ermittlungen sei „die Verfolgung von Straftaten“.

Mit freundlicher Genehmigung der Stuttgarter Zeitung

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