Eberhardt Schmidt

Untergang der Unabhängigkeit der Justiz

Aus dem Text:

„…. Eine Justiz, der die Unabhängigkeit in entwürdigenden Formen genommen, die ständig unter politischem Druck gehalten worden ist, in deren Personalbestand durch eine parteipolitisch orientierte Personalpolitik eingegriffen worden ist und deren Richter nicht einmal im Justizministerium Schutz gefunden haben, sondern gerade auch von hier aus schwerwiegende Eingriffe haben hinnehmen müssen….kann man nicht an den Maßstäben messen, die gegenüber einer wahrhaft unabhängigen Justiz, die von den von ihr anzuwendenden Gesetzen grundsätzlich die Weisung zu gerechten Entscheidungen erwarten darf, durchaus berechtigt und angebracht sind. Die geschichtliche Erfahrung hat mit Deutlichkeit gelehrt, wie sehr, wenn eine mit Intention auf Wahrheit und Gerechtigkeit geübte Rechtspflege überhaupt möglich sein soll, durch eine von allen anderen staatlichen Gewalten streng zu respektierende gerichtsverfassungsrechtliche Institutionalisierung die völlige äußere und innere Freiheit der Richter bei Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung gewährleistet sein muß ….“

Auszug (Kurzzitat) aus:

Prof. Dr. Eberhardt Schmidt (Heidelberg)

EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE DER DEUTSCHEN STRAFRECHTSPFLEGE

Dritte Auflage

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen

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Il. Veränderungen der Gerichtsverfassung. Sondergerichte. Personalpolitik.

Untergang der Unabhängigkeit der Justiz

§ 356. Hitlers „Reichsjustizkommissar“ Hans Franck hat nach dem Zusammenbruch es als „das Entsetzliche an Adolf Hitler“ bezeichnet, „daß er, der in seinen Kampfjahren selbst den Schutz des Gesetzes genoß, später als Staatsmann nur Verachtung für das Recht und das Richtertum hatte“. In was für Unflätigkeiten sich Hitlers Haß gegen Juristen und Justiz zu entladen vermocht hat, zeigen seine (1951 veröffentlichten) Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941 bis 1942. In seiner Haßrede, die er in der Reichstagssitzung vom 26. April 1942 gegen die Justiz und das Richtertum hielt, fielen die Worte: „Ich werde nicht eher ruhen, bis jeder Deutsche einsieht, daß es eine Schande ist, Jurist zu sein.“ Kein Wunder, daß die Parteipresse („Stürmer“, „Schwarzes Korps“ usw.) nicht müde wurde, immer von neuem die gehässigsten Angriffe gegen die Justiz als solche und gegen einzelne Richter zu richten.

§ 357. Daß sich diese Einstellung der höchsten Stellen im Reich in tiefen Eingriffen in das Gefüge der Justiz, d. h. also in bedeutsamen Veränderungen des Gerichtsverfassungsrechts hat auswirken müssen, versteht sich völlig von selbst.

1. Die gegen das Judentum gerichtete Gesetzgebung (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933; Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935) fügte auch dem Personalbestand der Justiz einen Aderlaß zu, der zur Ausscheidung zahlreicher tüchtigster und bewährtester Kräfte führte.

2. Im Nerv getroffen wurde das Richtertum durch die zielbewußte Unterminierung, schließlich Zerstörung der richterlichen Unabhängigkeit. Das Beamtengesetz vom 27. Januar 1937 sah ganz allgemein die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand vor, wenn er nicht mehr die Gewähr jederzeitigen Eintretens für den nationalsozialistischen Staat bietet (§ 71), eine Regelung, die, verbunden mit ständiger Bespitzelung durch Parteifunktionäre und ihre Helfershelfer, ständige Unruhe in die Beamtenschaft tragen und sie unter parteipolitischem Druck halten sollte, übrigens aber auch zu den unbedenklichsten Schwindeleien wohlwollender Behördenvorstände bei Führung der Personalakten und Ausstellung von Dienstzeugnissen führte. Wenn das Beamtengesetz in § 171 erklärte, die Versetzung eines Richters in den Ruhestand dürfe „nicht auf den sachlichen lnhalt einer in Ausübung der richterlichen Tätigkeit getroffenen Entscheidung gestützt werden“, so war das eine verlogene Geste nach außen. Man hatte andere Mittel, um auf unerwünschte Entscheidungen mit Maßregeln aller Art zu antworten. Im Hinblick auf solche Möglichkeiten stand § 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach die richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt wurde, nur noch auf dem Papier als eine der vielen offiziellen Lügen, wie sie im totalitären Machtstaat an der Tagesordnung sind. Dokumentiert wurde die Beseitigung der richterlichen Unabhängigkeit in der schon oben (§ 356) erwähnten Haßrede Hitlers gegen die Justiz in der Reichstagssitzung vom 26.April 1942. Unter dem fadenscheinigen Vorwand der Reichsverteidigungs-Notwendigkeiten nahm hier Hitler unter dem Beifallssturm der „Volksvertreter“ das Recht in Anspruch, jeden Richter ohne jedes Verfahren aus dem Amt zu entfernen oder sonst zu maßregeln, der sich – das war der Sinn der Sache – nicht im Sinne dessen gefügig erwies, was Hitler von der Justiz erwartete. Das war der letzte und schwerste Schlag gegen die Justiz. An die Stelle des unabhängigen sollte der durch Weisungen aus dem Justizministerium gegängelte Richter treten.

3. Noch bevor die oben § 354 erwähnte Zuständigkeitsverordnung von 1940 den Grundsatz vom gesetzlichen Richter angegriffen hatte, war dieser Grundsatz dadurch in Frage gestellt worden, daß das Gesetz über die Geschäftsverteilung bei den Gerichten vom 24. November 1937 die Selbstverwaltung der Gerichte, wie sie gerade bezüglich der Geschäftsverteilung durch rechtsstaatliches Denken gefordert wird, aufgehoben und die Geschäftsverteilung zu einer „Angelegenheit der Justizverwaltung“ gemacht hat. Damit konnte die Justizverwaltung die Gerichtsbesetzung jederzeit nach ihren personalpolitischen Wünschen beeinflussen. § 6 des Gesetzes von 1937 beseitigte die ganze Präsidialverfassung, indem die bisherigen Aufgaben des Präsidiums den Gerichtspräsidenten als „Justizverwaltungsangelegenheiten“ übertragen wurden.

4. Welches Mißtrauen Hitler gegenüber der Justiz beseelte, zeigen alle zur Beiseitedrängung oder Lahmlegung der überkommenen Justiz inszenierten Maßnahmen, von denen schon vielfach die Rede gewesen ist. Zweierlei ist an dieser Stelle noch als besonders wichtig und als besonders bezeichnend zu erwähnen.

a) Das Reichsgericht war bisher zur Aburteilung von Hoch- und Landesverratssachen als Gericht erster und letzter Instanz zuständig gewesen. Im Reichstagsbrandprozeß 1933 ist denn auch der IV. Strafsenat als zuständiges Gericht tätig gewesen. Daß dieser Prozeß am 23. Dezember 1933 mit der Freisprechung von vier führenden Kommunisten (Torgler, Dimitroff, Popoff, Taneff endete, hatte zur Folge, daß zur Aburteilung von Hoch- und Landesverratssachen durch Gesetz vom 24. April 1934 der berüchtigte „Volksgerichtshof“ geschaffen wurde. Von den fünf Mitgliedern, die in der Hauptverhandlung mitzuwirken hatten, brauchten nur der Vorsitzende und ein weiteres Mitglied die Befähigung zum Richteramt zu haben. Die Ernennung aller Mitglieder lag bei Hitler. Damit war hier reine Parteijustiz gewährleistet. Unter dem Reichsjustizminister Thierack, einer hörigen Kreatur Hitlers, wurde Präsident des Volksgerichtshofes der bisherige Staatssekretär des Reichsjustizministeriums Roland Freisler. Er machte aus dem Volksgerichtshof das, was Hitler wollte: ein terroristisches Revolutionstribunal schlimmster Sorte. Als solches hat es an den Märtyrern vom 20. Juli 1944 „Justiz“ geübt.

b) Oben § 342 ist dargelegt worden, daß in der Weimarer Zeit Sondergerichte vorübergehend eine Tätigkeit mit einer nicht sehr weitreichenden Zuständigkeit im Kampf gegen politischen Terror ausgeübt haben. Nach der Machtergreifung sind alsbald durch eine Verordnung vom 21. März 1933 Sondergerichte eingesetzt worden, und zwar zunächst für Delikte, die gegen die Verordnung vom 28.Februar 1933 „zum Schutze von Volk und Staat“ und gegen die Verordnung vom 21.März 1933 „zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ begangen werden würden, zugleich aber auch für mit jenen Delikten ideell konkurrierende oder im Zusammenhang stehende Straftaten. Dieser ohnehin schon nicht geringe Zuständigkeitsbereich wurde in den Jahren 1933 bis 1936 mehrfach erweitert, bis dann schließlich eine Verordnung vom 20.November 1938 ganz allgemein bestimmte: „Bei Verbrechen, die zur Zuständigkeit des Schwurgerichts oder eines niedrigeren Gerichts gehören, kann die Anklagebehörde Anklage vor dem Sondergericht erheben, wenn sie der Auffassung ist, daß mit Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht geboten ist.“ Die Staatsanwaltschaft hatte es damit weitgehend in der Hand, den Einzelfall der normalen Strafgerichtsbarkeit zu entziehen. Für den Angeklagten war das eine schwere Beeinträchtigung seiner prozessualen Möglichkeiten; denn das ganze Verfahren war auf Schnelligkeit eingestellt (keine mündliche Verhandlung über den Haftbefehl; keine gerichtliche Voruntersuchung; kein gerichtlicher Eröffnungsbeschluß; Abkürzung der Ladungsfrist, und vor allem: keine Rechtsmittel!). Die oben § 355 charakterisierte vorweggenommene Beweiswürdigung war den Sondergerichten von vornherein ermöglicht. Was die Wirksamkeit dieser Sondergerichte betrifft, so hat alles von der Haltung der richterlichen Mitglieder abgehangen. Schwere Versager sind da zu verzeichnen und von Hubert Schorn geschildert; sie bedeuten noch heute eine Belastung für Justiz und Richtertum. Aber auch hier ist jede einseitige Verdammung ungerecht. Das Berliner Sondergericht, das unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Wesenberg trotz unerhörten politischen Drucks den aus dem Heimtückegesetz angeklagten Generalsuperintendenten Dibelius freisprach, hat nicht nur der Partei eine ungeheure Blamage zugefügt, sondern auch einen Dienst an der Gerechtigkeit vollzogen, der ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Justiz bedeutet. Wesenberg erlitt am Tage nach der Verhandlung einen Nervenzusammenbruch und starb wenige Tage später.

§ 358. Damit ist schon die heute viel erörterte Frage nach der Haltung der Justiz im Dritten Reich angeschnitten. Wer darüber urteilen will, sollte zunächst folgendes beachten: Eine Justiz, der die Unabhängigkeit in entwürdigenden Formen genommen, die ständig unter politischem Druck gehalten worden ist, in deren Personalbestand durch eine parteipolitisch orientierte Personalpolitik eingegriffen worden ist und deren Richter nicht einmal im Justizministerium Schutz gefunden haben, sondern gerade auch von hier aus schwerwiegende Eingriffe haben hinnehmen müssen (z. B. Maßregelung des II. Strafsenates des Reichsgerichts und seines Präsidenten Dr. Vogt durch Reichsjustizminister Thierack), kann man nicht an den Maßstäben messen, die gegenüber einer wahrhaft unabhängigen Justiz, die von den von ihr anzuwendenden Gesetzen grundsätzlich die Weisung zu gerechten Entscheidungen erwarten darf, durchaus berechtigt und angebracht sind. Die geschichtliche Erfahrung hat mit Deutlichkeit gelehrt, wie sehr, wenn eine mit Intention auf Wahrheit und Gerechtigkeit geübte Rechtspflege überhaupt möglich sein soll, durch eine von allen anderen staatlichen Gewalten streng zu respektierende gerichtsverfassungsrechtliche Institutionalisierung die völlige äußere und innere Freiheit der Richter bei Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung gewährleistet sein muß. Wo also mit der Unabhängigkeit die Bindung des Richters an das Gerechte vernichtet, wo zugleich durch eine nur noch an Machtzwecken orientierte Gesetzgebung die Unterworfenheit des Richters unter das „Gesetz“ zynisch ausgenutzt wird, da kann sich keine richterliche „Rechtsprechung“ grundsätzlich auf der Linie zur Gerechtigkeit halten…..