40. Deutscher Juristentag 1953

Referat Prof. Dr. Ipsen

Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages 1953 – öffentlichrechtliche Abteilung

 

REFERAT

von Professor Dr. Hans Peter Ipsen, Hamburg

A. Fragestellung, Terminologisches, Sachbegrenzung

1. Die Frage, ob es sich empfehle, die vollständige Selbstverwaltung aller Gerichte im Rahmen des Grundgesetzes gesetzlich einzuführen, ist in dieser Präzision selbst für unsere legislatorisch bewegte und hartgesottene Zeit ungewöhnlich erregend. Wer einen Überblick über das bisherige Streitgespräch zu diesem Thema nimmt – in einem solchen Gespräch hat die Auseinandersetzung sich bislang im wesentlichen erschöpft, wenn von den Ergebnissen für das Bundesverfassungsgericht abgesehen wird -, erkennt seinen Ausgangspunkt deutlich an bestimmten Entscheidungen des Grundgesetzes von 1949 und gewissen Erscheinungen der Verfassungswirklichkeit: an der einzigartigen Heraushebung und Freistellung der rechtsprechenden Gewalt, die von anderen Gewalten nun auch zu entfesseln, der erste Ruf im Jahre 1951 erscholl; an der Ausweitung richterlicher Zuständigkeit auf alle Konflikte des Einzelnen mit der Staatsgewalt in allen ihren Äußerungen bis hin zum außerordentlichen Rechtsbehelf gegen Gesetze und rechtskräftige Urteile; anderseits an den Komplementär-Entscheidungen des Grundgesetzes zur Bändigung, wenn nicht – um im Bilde zu bleiben – zur Fesselung der rechtsprechenden Gewalt durch Richterwahl und Richteranklage; endlich an der Tatsache, daß die allgegenwärtige Ingerenz der politischen Parteien über Parlament, Exekutive und Zwischengewalten anderer Struktur mit Proporz und Patronage erhöhte Ansprüche nun auch auf die so erhöhte Dritte Gewalt auslöste.

Liegen hier die Ausgangspunkte der Forderung auf gerichtliche Selbstverwaltung, erklärt sie sich also primär aus der grundgesetzlichen Emanzipation und Perfektionierung der Rechtsprechung und der Gegenreaktion auf daraus resultierende Reaktionen anderer Gewalten, die die Rechtsprechung wiederum zu arretieren trachten, so zeigt das Streitgespräch doch zugleich auch andere Motive und Anstöße, die zum Teil altbekannte, geradezu traditionelle Elemente der Großen Justizreform von neuem aktivieren: dahin gehört die Lösung des Richters aus dem allgemeinen Beamtenrecht, auch seine Befreiung aus den Gruppierungen und Stufungen der allgemeinen Beamtenbesoldung – etwa nach der Losung: ein Richter-König läßt sich schwerlich in A 2 c 2 einstufen -, ferner die Begrenzung oder Ausschaltung seiner exekutiven Leistungskontrolle – wobei der Pensenschlüssel Stachanow zugerechnet wird – und die schwierige Abgrenzung zwischen unabhängiger Urteilsfindung, nicht-förmlicher Dienstaufsicht und justiziabler oder justizieller Dienststrafentscheidung. Ältere Bemühungen um kooptative Mitwirkung der Richterschaft in Fragen ihrer Ergänzung und Beförderung erscheinen im Rahmen der Selbstverwaltungs-Forderung neubelebt, nachdem die grundgesetzliche Richterwahl zwar prinzipielle Neuerung, auch zugunsten neuer Optanten, aber eben nicht zugunsten der Richter selbst gebracht hat. Allein der Anspruch auf Haushaltsautonomie im Verhältnis zur Exekutive ist als solcher – wenn auch früher schon nicht unbekannt – kein Thema der Justizreform-Erörterungen gewesen.

So mischen sich im Streitkonzert alte und neue Melodien, und wer glauben sollte, es handle sich dabei auch nur auf Seiten derjenigen, die für die Gerichte musizieren, um eine Harmonie gleicher Klangfülle, sieht sich enttäuscht: weder fehlt es an Unterschieden der Lautstärke, vom Fortissimo der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit über das Mezzo-forte besonderer Verwaltungsgerichte bis herunter zum Piano der ordentlichen, sofern ihre Stimme nicht ohnehin gerade pausiert; noch ist recht vernehmbar, daß dem Konzert hinreichende Probenarbeit voraufgegangen wäre: brüderliche Ermahnungen der Bläser gelten den Streichern, nicht aus dem Takt zu geraten, und während der Aufführung stellte sich heraus, daß die Konzertmeister der Geigen in den Proben ganz andere Tempi empfohlen hatten, als sie ihnen heute zu liegen scheinen. Ich meine die Empfehlungen der Gerichtspräsidenten über die Richterwahl an den Paramentarischen Rat. Und zu einem effektvollen Finale droht das Konzert schon deshalb nicht zu kommen, weil sich die Pauke vor der Zeit verausgabt hat – allerdings mit dem eigensinnigen Erfolg, daß jedenfalls der Dirigent sie nicht überhören konnte. Das Bundesverfassungsgericht nämlich erscheint zu unserem Thema in der Stellung seiner Richter und ihrer Dienstaufsicht, der Verfügung über sein sonstiges Personal und in der Etatfrage saturiert.

Lassen wir diese Anspielungen beiseite: Die Forderung nach Selbstverwaltung aller Gerichte ist primär ein Produkt grundgesetzlicher Entscheidungen, Reaktionen und Gegenreaktionen, sekundär zum Teil Erneuerung und Neubegründung älterer Thematik der Justizreform; war die Selbstverwaltungs-Bewegung für die Gerichte im 19. Jahrhundert liberal bestimmt, so ist sie heute mehrseitig-polemisch orientiert; sie ist keine für alle Gerichte gleichmäßige und einhellige, sondern in sich stark nuancierte Forderung verschiedenartiger Begründung. Von einer Solidarität der Gerichtsbarkeiten oder der Richterschaft kann keine Rede sein.

Wesentliche Unterschiede bestehen auch in der Methode ihrer Rechtfertigung und Vertretung. Rechtsvergleichende Hinweise oder Argumente aus einer Art angenommener Standard-Minimal-Regelung westeuropäischer Normalverfassungen haben nur einen sehr begrenzten, oft sogar verleitlichen Sinn und Zweck. Daß rechtsvergleichende Seitenblicke, die schon auf dem Kölner Juristentag zur Richteranklage als verpönt galten, bei rechtspolitischen Überlegungen leicht zu Seitensprüngen führen, sollte nicht übersehen werden. Eine zuverlässige methodisch einwandfreie Feldarbeit darüber, ob der Richter sich durch exekutive Justizverwaltungskompetenzen in personalibus, Dienstaufsicht und Etat in seiner Unabhängigkeit wirklich gefährdet fühlt, hat noch niemand erbracht. Wer weiß auch, ob die Resultate eines solchen Fragestellers nicht aus ähnlichen Gründen angezweifelt werden würden wie die jüngsten Recherchen eines amerikanischen Fragebogen-Forschers, die auf gewisse interna anderer Art abstellten. Von der Behauptung, diese Gefährdung sei evident, bis zu ihrer Bestätigung kraft solcher Feldarbeit ist ein weiter Weg. Und man wird jedenfalls die Frage aufwerfen müssen, ob die literarischen Wortführer der Auseinandersetzung auf beiden Seiten sich in dieser empirischen Frage wirklich repräsentativ nennen dürfen. Angesichts der Soziologie des Mitgliederverzeichnisses des Deutschen Juristentages mit seinen 799 Namen ‚ davon nur etwa 16% Richter, und nach Abzug aller Präsidenten nur etwa 10% in der Tagesarbeit der Spruchpraxis! ‚ und angesichts unserer Versammlung hier frage ich mich sogar, ob wir uns hierzu repräsentabel zu nennen berechtigt sind? Sind wir nicht alle – oder meist – mehr oder weniger in der Sünde derjenigen, die man bei den Zwischengewalten „Funktionäre“ nennt?

Bei diesem Zweifel und bei der Unausgeglichenheit der bisherigen Diskussion scheint mir eine der Fragestellung angemessene Methode ihrer Behandlung allein darin zu bestehen, daß von der Verfassungsordnung und ‚wirklichkeit unseres, und nur unseres Staates her kraft Deduktion zunächst geprüft wird, ob die Selbstverwaltungsforderung für unsere Gerichte verfassungsrechtlich geboten und zulässig ist oder nicht. Fragen qualitativer, ökonomischer, reputierlicher Tunlichkeit und Zweckmäßigkeit haben ihren Sinn und Platz erst im Gefolge solcher Erörterung. Daß dabei der ganze Gedankengang dieses knappen Stundenreferats nur sehr grobe und kursorische Züge haben kann, darf unterstrichen werden. Im Grunde ist das ganze Referat ein Kampf gegen die Uhr!

2. Zuvor aber bleiben zwei Vorfragen zu klären, solche der Terminologie und der Sachbegrenzung.

a) Daß die Forderung „Selbstverwaltung“ nicht solche auf Selbstverwaltung im Rechtssinne bedeutet, also autonomisierende Entstaatlichung der Gerichtsbarkeit in rechtlich selbständigen Aufgabenträgern, ist den verwaltungsrechtlich kundigen Vertretern der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die diese attraktive – um nicht zu sagen: fesselnde – Formel in die Diskussion brachten, selbstverständlich nicht entgangen. Daß der Terminus „gerichtliche Selbstverwaltung“ im gleichen untechnischen Sinne, aber lediglich bezogen auf die heutigen Justizverwaltungsaufgaben der Gerichte, übrigens schon vor Jahrzehnten gebraucht worden ist , scheint dabei übersehen zu sein. Andere sprechen heute von Verselbständigung der Gerichte (gegenüber der Exekutive nämlich), von der Forderung auf ihre Eigenverwaltung, ihre Standesselbstverwaltung – jeweils aber präzis und einseitig bezogen auf das Verhältnis zur Exekutive. Emanzipation der Dritten Gewalt in Verwaltungssachen von der Zweiten Gewalt ist also der Inhalt des Postulats, nicht – was der Anspruch auf körperschaftliche oder anstaltliche Autonomisierung besagen würde – Umwandlung jener Verwaltungsaufgaben (und gar auch der Rechtsfindung selbst) in solche nur mittelbarer Staatsverwaltung. Gleichwohl mag in der Auseinandersetzung auch hier der Terminus „Selbstverwaltung“ stehen bleiben, wenn er nur auch allseitig in diesem untechnischen Sinne verstanden bleibt. Diskutabel wäre übrigens auch die Bezeichnung „Intendanz“ oder Intendanturverwaltung – und zwar deshalb, weil unter ihr solche Aufgaben begriffen werden können, „welche zur Herbeiführung und Vollziehung des Richterspruchs erforderlich“ sind -, womit eben sowohl die Aufgaben der bisher sog. Justizverwaltung wie auch die jetzt postulierten der gerichtlichen Selbstverwaltung umschrieben würden.

b) Am status quo will weder die Selbstverwaltungsforderung rütteln, noch soll das hier erörterte Thema ihn in Frage stellen. Das heißt: Soweit das geltende Recht die von ihm sogenannten Aufgaben der Justizverwaltung (§ 4 EGGVG) bereits den Gerichten oder Gerichtsorganen übertragen hat – etwa zur Personalverteilung im Wege der Besetzung der Spruchkörper, der Geschäftsverteilung, des Prozeßbetriebes selbst -, scheiden sie hier aus der näheren Betrachtung aus; das gilt auch für gewisse Detailmängel dieses Sachbereichs; ebenso selbstverständlich die Aufgaben der Schaffung der materiellen und prozessualen Rechtsnormen, die der Selbstverwaltungsanspruch denn auch nicht für die Gerichte postuliert. Beide Probleme haben ihre besondere Geschichte und ihren besonderen Rang, das erstgenannte in der rechtsstaatlichen Bewegung des vorigen Jahrhunderts. In Übereinstimmung mit dem Gutachten soll auch Aufgabe und Stellung des Staatsanwalts außer Betracht bleiben, obwohl der erste Ansatz in dieser Richtung hervorgetreten ist. Er bedürfte wohl gesonderter Prüfung, und dies schwerlich oder allein in der öffentlich-rechtlichen Abteilung des Juristentages. Die danach mögliche Sachbegrenzung gestattet zugleich die gebotene Konzentration auf folgende Bereiche denkbarer gerichtlicher Selbstverwaltung und die Frage ihrer etwaigen Organisation: Richterauswahl, -ernennung und -beförderung, Dienstaufsicht und disziplinäre Kontrolle; Entsprechendes für das nicht-richterliche Gerichtspersonal; Veranschlagung, Bereitstellung und Bewirtschaftung der Etatmittel für Personal und Sachbedarf einschließlich des nicht-richterlichen Personals (mit Ausnahme der Staatsanwälte und der Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Verwaltungsgerichten); endlich der Verkehr der Gerichte rnit Ressorts, Parlament und Öffentlichkeit.

B. Der Rahmen des Grundgesetzes

Es kann nicht überraschen, daß die Forderung nach gerichtlicher Selbstverwaltung unter Berufung auf bestimmte Verfassungsprinzipien geltend gemacht wird. Es gibt auch schwerlich andere Wege, sie zu rechtfertigen. Es kommt aber entscheidend darauf an, in ihrer Inanspruchnahme Maß und Mitte zu finden und sich des Gesamtsystems der Verfassung – und das heißt: unserer Verfassung- bewußt zu sein, auch Angriffs- oder Abwehrstellungen dort zu beziehen, wo verfassungsrechtlich wirklich Gefahr für die Aufgabe besteht, die den Gerichten obliegt; sie könnten sonst wie Don Quichotte gegen Windmühlen kämpfen.

Hierzu ist neuerlich wiederholt geraten worden, als der Anspruch auf gerichtliche Selbstverwaltung von zwei Seiten nachdrücklich zurückgewiesen wurde. Ich möchte noch intensiver hierzu raten, gerade weil ich ihn in sehr vorsichtiger Dosierung für begründet und verfassungsrechtlich für geboten und vertretbar halte. Es geht nicht darum, im Bunde mit der Legislative gegen die Exekutive zu kämpfen; es trifft ebensowenig zu, daß eine exekutive Spitze der Justizverwaltung den Seinsbestand der Rechtsprechung schlechthin aufhebe und die Verfassungen zur bloßen Fiktion mache. Auch die Tendenz, aus einer Art Analogieschluß von der Weisungsfreiheit der Rechtsprechung auf diejenige der Justizverwaltung, folglich ihre justizielle Wahrnehmung zu schließen, ist aus sich selbst heraus nicht zu rechtfertigen.

Richtig ist, daß die heutige Organisation der Justizverwaltung im konstitutionellen Staat gewachsen ist, so daß der zwischenzeitliche Wandel zur parlarnemtarischen Parteiendemokratie möglicherweise ihre Wandlung gebietet und rechtfertigt. Anderseits ist die grundgesetzliche Perfektion der Rechtswegstaatlichkeit schon deshalb eine Last für die Gerichte, weil sie das Mißtrauen anderer Gewalten wecken mußte und der heutige Anspruch auf richterliche Selbstverwaltung zwangsläufig neuen Argwohn erregen wird. Man wird daher nicht gerade sagen können, daß der Zeitpunkt, in dem diese Forderung erhoben wird, taktisch sonderlich günstig gewählt worden sei. Es wäre schon angebracht, die ganze Erörterung aus der Atmosphäre der Opposition gegen andere Gewalten herauszunehmen. Das soll im Folgenden versucht werden. Dabei schwebt mir selbstverständlich eine bestimmte Konzeption unserer Verfassungslage vor, die ich andernorts dargelegt habe. Sie kann hier nur insoweit hervortreten, als die Forderung nach gerichtlicher Selbstverwaltung nun im Folgenden anhand einzelner wichtigster Verfassungsentscheidungen und -prinzipien zunächst in bewußt deduktiver Methode überprüft wird.

1. Die Selbstverwaltungs-Forderung wird in erster Linie oder ausschließlich abgeleitet aus der Unabhängigkeit des Richters, also aus Art. 97 GG. Sie ist das Leitmotiv, und sie könnte wohl auch allein die Legitimation für einen exekutiven Machtzuwachs der Gerichte abgeben, der in der Anerkennung ihres Selbstverwaltungsrechts läge. Indem die Belassung der Intendanturaufgaben für die Gerichte bei der Exekutive als Gefährdung ihrer Unabhängigkeit empfunden und gesehen wird, anderseits bewußt und anerkannt bleibt, daß direkte exekutive Einflußnahme als solche auf den Urteilsspruch, also die sachliche Unabhängigkeit außer Frage steht und stehen muß, gilt demnach die exekutive Mitwirkung oder Entscheidung in Richterauswahl, -ernennung und -beförderung, in seiner Beaufsichtigung oder disziplinären Maßregelung, in der Verfügung über den Etat als Gefahr für die Unabhängigkeit des Urteilsspruchs. Von indirekten Interventionen, nicht von der action directe des Machtspruchs wird also das Unheil der Gefährdung befürchtet. Sie liege „in der Fremdbestimmung des inneren Lebens der Gerichte durch die Exekutive“, lautet die Formel, die dabei aber unter ihrem „inneren Leben“ nicht, wie man meinen sollte, etwa die Urteilsfindung, sondern in Wahrheit die Intendanz der Gerichte verstanden wissen will.

Mit einer solchen isolierten und unsubstantiierten Verweisung auf den Gehalt des Art. 97 GG ist aber weder pro noch contra etwas gewonnen. Erst der Nachweis, daß exekutive Personal- und Etatpolitik nebst richterlich unüberprüfbarer Dienstaufsicht die Freiheit der richterlichen Urteilsfindung tatsächlich tangiert oder treffen könnte, kann Selbstverwaltungsansprüche der Gerichte in jener konkreten Begrenzung rechtfertigen, die gesichert werden muß, um derart indirekte Interventionen der Verwaltung fernzuhalten. Diesen Details muß daher gesondert nachgegangen werden. Hier zunächst noch ein Wort zu den gebräuchlichsten Ableitungen, die die Vertreter der Selbstverwaltungs-Ansprüche dem Grundsatz des Art. 97 GG entnehmen.

a) Eine Erweiterung der Gerichtsaufgaben um die heute der Exekutive obliegenden Intendanturgeschäfte soll verfassungssystematisch unbedenklich sein, weil die Rechtsprechung eben nur spreche, nicht aber handele, auch insoweit also – hier der schon erkannte Analogie-Schluß – nach Art. 97 GG weisungsfrei sein dürfe. Der Fehlschluß liegt auf der Hand: Wenn Richter oder Gerichte Richter auswählen, ernennen und befördern, den Etat bewirtschaften und Richter ohne richterliches Verfahren beaufsichtigen, sprechen sie nicht Recht, sondern exekutieren sie. Und soweit das geschieht, verlangt die Ökonomie und die Ordnung der Dinge eine hierarchische Leitung, Weisung und Spitze, deren Existenz an sich in der Tat wiederum dem Prinzip des Art. 97 GG – wenn es so, wie geschehen, verstanden wird – widerspräche.

b) Aber droht die Gefahr indirekter Intervention in die Rechtsfindung wirklich und vorwiegend auch heute von der Exekutive? Wird mit dieser Blickrichtung nicht „konstitutionell“ gedacht, da doch der sozusagen hilfsweise beschworene „Drang der Exekutive zur Totalität“ unter dem geltenden Verfassungssystem de iure einfach nicht effektiv werden kann? Nun wird eine gerichtliche Selbstverwaltung zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit sicherlich schon dann mit Recht gefordert werden können, wenn nur sie als geeignete Prävention gegen drohende Gefährdung geeignet erscheint – und das wird in der Tat angenommen und vertreten, und zwar vor allem gegenüber der exekutiven Bereitstellung des Richterpersonals. Aber: weit mehr droht heute die indirekte Intervention in der Bereitstellung der Richter, in rebus politicis auch in der Dienstaufsicht von der parteipolitischen Aufschlüsselung und der Patronage über die Parlamente und die von ihnen kreierten Gremien – bis hin zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. [Beifall] Und sie droht von der öffentlichen Meinung, die dem Richter, der über die kassatorische oder ignorierende Normenprüfung verfügt, zurechnet, was der Gesetzgeber verfehlte oder unterließ. Wir haben hierzu heute morgen eine Illustration gehört.

c) Und endlich zur besonderen Lage der Verwaltungsgerichtsbarkeit, für die es besonders absurd sei, daß sie als Kontrolleur vom Kontrollierten kontrolliert werde. Das kann zutreffen – und wird zu erörtern sein -, soweit Richterpersonalpolitik, Dienstaufsicht und Etatdisposition die Freiheit des Urteilsspruchs berühren. Aus dem Prinzip des Art. 97 GG verbietet diese vermeintliche Absurdität sich aber nicht, da über ihrer Annahme vergessen wird – und auch heute morgen vergessen worden ist -, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Doppelfunktion erfüllt, deren eine Seite heute leider gänzlich vernachlässigt wird, obwohl sie geholfen hat, die Idee der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst im Dritten Reich wenigstens literarisch zu behaupten: nicht nur Individualschutz gegen die Exekutive, sondern auch gerichtlich formierte Eigen-Rechtskontrolle der Verwaltung selbst zu sein. Daß die Exekutive um ihretwillen ihre besondere Zuordnung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit sucht, findet darin seine verständliche Erklärung.

Soweit die in ihrer Allgemeinheit zwar zutreffende, zur Begründung von Selbstverwaltungsansprüchen aber nur nach Substantiierung verwertbare Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit.

2. Einer Selbstverwaltung der Gerichte im hier umgrenzten Aufgabenbereich wird als unüberwindbares Hemmnis das demokratische Prinzip der Volkssouveränität (Art. 2 Abs. 2 GG) und das Gebot parlamentarischer Verantwortlichkeit für alle Staatstätigkeit (Art. 65, 67 GG) entgegengesetzt. In knapper Formulierung – so auch der Thesen des Korreferats – heißt das: keine Kreation von Organen der Rechtsprechung ohne direkte oder indirekte Legitimation durch den Volkswillen, und: keine Wahrnehmung exekutiver Aufgaben der Gerichtsintendanz ohne letzte Ministerverantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung. Der innere Zusammenhang beider Argumente, die in gerichtlicher Selbstverwaltung einen illegitimen „Staat im Staat“ und einen verfassungsrechtlich verbotenen parlamentsfreien Raum sehen, ist offenbar.

a) Rechtsprechung ist Ausübung von Staatsgewalt. Ihr Monopol in der Hand der Richter kann diese Qualität nicht aufheben, sie allenfalls unterstreichen. Auch die außerordentliche richterliche Kompetenzausweitung des Grundgesetzes variiert die Staatsqualität der Rechtsfindung nicht. Trifft das zu, so verbietet sich daraus de constitutione lata, daß die Organe der Rechtsprechung in ihrer Kreation und Existenz von den grundgesetzlich bestimmten oder zugelassenen Verfahren demokratischer Amtsbestellung und -innehabung eximiert werden. Eine reine richterliche Kooptation im Wege einer Art Ur-Fortzeugung ist daher zweifellos verfassungsrechtlich unzulässig. Ist die richterliche Unabhängigkeit auch eine weise freiwillige Selbstbeschränkung jeder Staatsmacht, auch der Demokratie, so doch keine Zulassung ständischer Emanzipation der Richterschaft. Die äußerste Konzession der Demokratie an die richterliche Unabhängigkeit ist die Überantwortung der Richterentlassung an den Richterspruch, ihre extremste Formulierung enthält § 105 BVerfGG (Ermächtigung des BVerfG an den Bundespräsidenten zur Entlassung eines seiner Mitglieder).

Daß der Richter demokratischer Legitimation bedarf, entspricht auch seiner Aufgabe im sozialen Rechtsstaat, durch Rechtsschutzverantwortung für jeden Einzelnen ein wesentliches Element dieser Daseinsvorsorge bereitzustellen. Und wer – gerade im Kreis der Vertreter von Selbstverwaltungsansprüchen – den Richter nun zwar (gut demokratisch) nicht mehr als König, so aber doch als court-house-governor, als Staatsmann im Gerichtssaal, sehen will, wird folgerichtig auch seine notwendige demokratische Legitimation nicht verleugnen dürfen. Entscheidend und de lege ferenda wesentlich bleibt die Frage, wie die über Parlament, Exekutive und indirekt drohende Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit durch parteipolitische Stellenaufschlüsselung und Patronage, die dem Art. 33 GG über die Zulassungsgleichheit widerspricht, vermieden werden kann. Der Appell an die politische Willens- und Meinungsbildungsfreiheit des Volkes, der den Richtern bei Bedrohung ihrer Unabhängigkeit durch die anderen Gewalten anempfohlen wird, ist zwar nicht abwegig oder entbehrlich, bleibt allein aber unzulänglich, da er weder vollziehbar noch recht organisierbar ist. Erfolg verspricht lediglich die wirklich mitbestimmende Mitwirkung der Dritten Gewalt an ihrer eigenen Rekrutierung. Darüber später.

b) Das parlamentarische Prinzip ist ein Vehikel zur Beförderung der Volkssouveränität. Es fragt sich, ob die geforderte Selbstverwaltung der Gerichte ohne parlamentarische Verantwortung ihrer Aufgabenerledigung verfassungsrechtlich gestattet wäre, da ja eine gerichtliche Spitze der Gerichtsselbstverwaltung schwerlich parlamentarisch verantwortlich gemacht werden kann und soll. Die nicht einfachere Frage, ob die Rechtsprechung als solche verfassungsrechtlich ministerieller Vertretung und Verantwortung vor dem Parlarnent bedarf und umgekehrt parlamentarische Einwirkung verträgt, muß hier (leider) auf sich beruhen bleiben. Sie hat beispielsweise den 34. Deutschen Juristentag in Köln beschäftigt.

Man sollte der These vom Verbot des parlamentsfreien Raums zunächst einmal von der Verfassungsentwicklung her nähertreten. Georg Jellinek hat in seiner Untersuchung über die „Entwicklung des Ministeriums in der konstitutionellen Monarchie“ aus dem Jahre 1883 dargelegt, nicht die parlamentarische Verantwortlichkeit zwinge dazu, daß jede Behörde einem Minister unterstehe, weil sonst eine Lücke in der Verantwortlichkeit entstünde. Nicht diese Lückengefahr, sondern die Sorge, ein unabhängiges Glied der Verwaltung könne die Regierung bedrohen, hat dieses Dogma – wie er es nennt – geboren. Das im revolutionären Frankreich entwickelte, von Preußen rezipierte Ressort- oder Realsystem, das alle Staatsverwaltung umfassen sollte, hat bei uns – anders als in Frankreich, wo jede Selbstverwaltung zerschlagen war – in der Selbstverwaltung stets seinen Gegenpol behalten. Wenn heute Selbstverwaltung der Gerichte gefordert wird, erklärt sich – wenn auch unbewußt – auch aus dieser Spannung Ressortprinzip – Selbstverwaltung der Protest der Exekutive, der nun aber auf die Notwendigkeit parlarnentarischer Verantwortlichkeit an sich rekurriert.

Andererseits hat Lorenz von Stein in seiner Verwaltungslehre die Funktion des Justizressorts und seines Ministers primär in seiner Aufgabe als Gesetzgebungsressort unterstrichen, seine Unterlegenheit gegenüber den anderen Ressorts mit nachgeordneten Behörden aus der ihm obliegenden, selbstverständlichen Respektierung der richterlichen Unabhängigkeit gedeutet und daraus auf seine Aufgabe geschlossen, der Rechtspflege lediglich „ihre amtlichen Bedingungen“ vorzuhalten. Also: Intendanz für die Gerichte nicht deshalb in der Spitze eines Ministeriums, weil nur so ihre notwendige parlamentarische Verantwortung gesichert sei, sondern im ursprünglichen und ganz schlichten Sinne zur administrativen Bereitstellung ihrer sächlichen und persönlichen Mittel, also im Sinne eines dienenden Zwecks.

Wenn jenes „Dogma“ von der lückenlosen ministeriellen Erfassung aller Exekutive zwecks parlamentarischer Kontrollierbarkeit heute die gerichtliche Selbstverwaltung ohne Ministerialspitze verbieten soll, muß es sich also aus den besonderen Verfassungsprinzipien gerade der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes herleiten lassen. Denn aus der Restlosigkeit, der Lückenlosigkeit in der ministeriellen Einbeziehung aller Exekutive an sich braucht es nicht zu erwachsen. Wir kennen ja in der Autonomie der Parlamentsverwaltung und der Rechnungshöfe auch heute Beispiele, die diesen Lückenlosigkeits-Anspruch nicht erfüllen.

Während Art. 49 der Bayerischen Verfassung ausdrücklich den Geschäftsbereich eines Staatsministeriums für Justiz nennt, erwähnt das Grundgesetz – ebenso wie einzelne Landesverfassungen – z. B. in den Art. 95 Abs. III, 96 Abs. II und 98 Abs. IV bestimmte Befugnisse des Bundesjustizministers und der Landesjustizminister. Mag darin auch eine verfassungsmäßige Institutionalisierung dieser Ministerien liegen, so – über die genannten Einzelbefugnisse hinaus – doch jedenfalls keine verfassungsmäßge Kompetenzsicherung des status quo zu ihren Gunsten im gerade heutigen Spitzenbereich der exekutiven Justizverwaltung. Insoweit würde ich also keine Bedenken sehen, die Justizressorts durch einfaches Gesetz einzelner bestimmter Aufgaben der Justizverwaltung zu entkleiden.

Fraglich bleibt, ob dem das parlamentarische Prinzip unserer Verfassungen entgegensteht. Das wird nahezu einhellig angenommen, indem man auf das vorher charakterisierte Lückenlosigkeits-Dogma verweist. Angesichts des Art. 65 GG halte ich diese Folgerung trotz seines sog. Kanzlersystems, das den Ressortminister gegenüber dem Parlament mediatisiert, für grundsätzlich geboten, aber mit der Einschränkung: soweit die Zuständigkeit des Justizministers in Fragen der Justizverwaltung eben reicht. Daß sie nämlich unverändert im Sinne des geltenden status quo erhalten bleiben müsse und nicht durch einfaches Gesetz verändert werden könnte, darf daraus nicht hergeleitet werden. Eine Grenze der zulässigen Abziehung von Justizverwaltungsaufgaben vom Minister hin zur Beteiligung der gerichtlichen Selbstverwaltung an Ministerialbefugnissen sehe ich lediglich dort, wo jede Mitwirkung des Ministers an der Kreation der Gerichtsorgane, an ihrer Beaufsichtigung und der Gerichtsetatisierung aufhört. Soweit das Gesetz sie bis dahin mindert, stellt die Verabschiedung eines solchen Gesetzes einen zulässigen Selbstverzicht des Parlaments auf parlamentarische Kontrolle dar, die im übrigen kraft der Etathoheit des Parlaments, die auch von den Verfechtern des Selbstverwaltungs-Gedankens nicht bestritten wird, durchaus gewahrt bliebe.

Eine vollkommene Entlassung aller Justizverwaltungsaufgaben aus ihr durch völlige Ausschaltung des Ministers zu Gunsten gerichtlicher Selbstverwaltung würde indes eine Grundgesetz-Änderung erfordern, um auf diese – an sich keineswegs unvorstellbare – Weise den Kreis der hergebrachten Exemtionen um ein neues Gebiet zu erweitern. Auf die Verfassungsgrenze des danach durch einfache Gesetzgebung organisatorisch Erreichbaren komme ich zurück .

c) Endlich in der Frage der demokratischen Legitimation etwaiger gerichtlicher Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfassungsrolle der politischen Parteien: Immer wieder gilt ihnen der kritisch-besorgte Blick, wenn Bedrohungen der richterlichen Unabhängigkeit nicht so sehr von der Exekutive, sondern andernorts gesehen werden. Ist es doch auch geradezu typische Redewendung geworden, sachfremde, d. h. rechtlich unzulässige Einwirkungen z. B. bei der Richterwahl zu identifizieren mit parteipolitischen Erwägungen. Ausgangspunkt für die Verfassungsmäßigkeit der Selbstverwaltungsforderungen muß insoweit Art. 21 GG bleiben, der – man muß diese Worte gelegentlich langsam und mit Betonung wiederholen – die Mitwirkung der politischen Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes statuiert. Ich sehe keine für die richterliche Selbstverwaltung erwogene Aufgabe, die das Prädikat eigentlicher politischer Willensbildung des Volkes in diesem Sinne verlangte oder vertrüge. Daraus folgt, daß eine direkte Intervention politischer Parteien insoweit entfällt und der Realisierung der Selbstverwaltung aus diesem Grunde nichts im Wege stünde. „Es gibt in der Demokratie Zonen, die grundsätzlich überparteilich bleiben müssen, wenn der Mehrparteienstaat als funktionsfähige Einheit erhalten bleiben soll“, lautet hierzu eine erfahrene, gewichtige Schweizer Stimme. Zu diesen Zonen zählt die Intendantur für die Gerichte. Die Parteieneinwirkung muß sich im Parlamentarischen erschöpfen, von der Exekutive ist sie fernzuhalten. Darin liegen notwendige Abschirmungen insbesondere in der Kreation der Gerichtsorgane, deren Organisation, soweit das Grundgesetz dies nur irgend zuläßt, die etwaigen Selbstverwaltungsaufgaben allein durch das Parlament, nicht durch die Fraktionen oder andere Aufschlüsselungen, mit der Volkssouveränität verknüpfen darf.

3. Gewaltenteilung und mit ihrer Hilfe gesicherte Rechtsstaatlichkeit sind weitere Verfassungsprinzipien, die die Selbstverwaltungs-Forderung rechtfertigen sollen. Nun – in die Wandlungen der Gewaltenteilung wird gern das Erstrebte hineingelegt, und ob heute etwa die ignorierenden oder kassatorischen Kompetenzen der Rechtsprechung in Bezug auf Akte der beiden anderen Gewalten besser als Ausdruck oder als Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips gedeutet werden können, hat sich denn doch wohl zu einer Frage des Standorts oder des Bekenntnisses verflüchtigt. Wer etwa noch im Geiste von 1789 oder heute in anderem Geist von neuem in der Verwaltung die Repräsentation der fortgeschrittenen Grundsätze des Staatswesens, ein Organ der beleidigten Gesellschaft sieht, könnte ihren mißtrauisch-arretierenden Einfluß auf die Rechtsprechung unter Berufung auf die Gewaltenteilung gerade wünschen. In ähnlichem Sinne wird heute die von der Rechtsprechung angeblich beleidigte Exekutive betont als Zweite Gewalt reaktiviert, anderseits eine exekutive Justizverwaltung unter dem politisch verantwortlichen Minister als Schutzmantel für die Rechtsprechung ausgegeben, die sonst nackt und bloß den Angriffen des Parlaments ausgesetzt wäre.

Tatsächlich dürfte die Gewaltenteilung, die im Grundgesetz als Verwebung zahlreicher Kompetenzverschiebungen, Arretierungen und Inkompatibilitäten erscheint und rein organisatorisch gar nicht begreifbar ist, kein entscheidendes Kriterium pro oder contra gerichtliche Selbstverwaltung abgeben. Es ist durchaus zutreffend festgestellt worden, daß ihre Bedeutung für die Rechtsprechung meist überschätzt wird – und, was angesichts des embarras de justice des Grundgesetzes von der Rechtsprechung nicht übersehen werden sollte: Man kann den Spieß auch umdrehen und mit der Gewaltenteilung als Waffe die grundgesetzliche Position der Rechtsprechung angreifen! Und was besagt schon die Bemerkung eines Vertreters der Selbstverwaltungs-Forderung, das Grundgesetz habe wie nie mit der Gewaltenteilung Ernst gemacht? Offenbar war es nun doch wieder nicht ernst genug, da man sonst nicht mehr ihrer Hilfe bedürfte ?

Gewaltenteilung soll Macht mäßigen. Daß eine Gewalt Organe der anderen kreiert oder daran beteiligt ist, daß eine andere ihre Mittel zur Verfügung stellt, wie es der Etathoheit des Parlaments entspricht, daß Aufsichtsbeziehungen zwischen ihnen bestehen, läßt sich unter Berufung auf die Gewaltenteilung des Grundgesetzes nicht verhindern. Die Wendung, andernfalls trüge die Rechtsprechung nicht, was die Gewaltenteilung verlange, ihr Eigenleben in sich, werde sie in ihrem Seinsbestand von anderen Gewalten abhängig, unterliege sie einer Fremd-Bestimmung, kann nicht gegen die geltende Kompetenzverteilung, sondern allenfalls gegen ihren Mißbrauch vorgebracht werden. Dagegen allerdings sollten gesetzliche Neuerungen in der Richtung der Selbstverwaltungs-Idee nach Kräften einen Riegel vorschieben. Darüber später.

4. Zum Abschluß dieser verfassungsrechtlichen Vor-Überlegungen, bevor die rechtspolitische Empfehlbarkeit des Erstrebten in praktischen Einzelfragen geprüft wird, ein letzter Gesichtspunkt dieser Art: Die Selbstverwaltungs-Petenten haben sich, offenbar vom Zeitgeist beflügelt, auf den Pegasus des Gleichheitssatzes geschwungen, indem sie die Gleichstellung der Gerichte mit den Parlamenten, den Rechnungshöfen, den Universitäten forderten – wobei es dann sogar an Hinweisen auf das System der Bischofs-, Kardinals- und Papstwahl nicht gefehlt hat. Um recht verstanden zu werden: Selbstverständlich will niemand auch hier etwa Art. 3 GG mobilisieren. Aber Egalität heißt doch die Forderung, und das mit Blick auf die Rechnungshöfe sogar mit der alliterativen Wendung, was der Rechen-Kontrolle recht sei, müsse der RechtsKontrolle doch billig sein! Ich bin geneigt zu antworten: Wer von uns wollte wohl wagen, sein Veto dawider zu wenden ?

Zum Teil handelt es sich dabei um Ansprüche, die nur kraft Verfassungsänderung erreichbar wären. Die Verwaltungsautonomie der Parlamente und die hierarchische Gleichstellung der Rechnungshöfe mit anderen höchsten Staatsorganen, die eben ihre Unterstellung unter diese verbietet, beruhen de lege lata auf Verfassungsentscheidungen. Aber sie erklären sich im Grunde selbstverständlich nicht aus der geschriebenen Verfassung an sich, sondern aus tieferen Wesens- und Funktionsunterschieden: Das Parlament setzt sich personell insoweit, als die Gerichte doch wohl nur mit ihnen verglichen werden wollen, aus den unmittelbar vom Volk gewählten Abgeordneten zusammen; aus seiner Befugnis, sein Verwaltungspersonal selbst zu bestellen, kann schwerlich auf das Recht zur richterlichen Kooptation gefolgert werden, die das Parlament ja auch nicht besitzt. Da das Parlament selbst die Etathoheit hat, kann sein eigenes Budget keiner anderen Disposition unterstellt werden. Und vor allem: Die Intendanz des Parlaments steht in gar keinem Gewichtsverhältnis zu derjenigen der Gerichte.

Die Rechnungshöfe haben eine Doppelfunktion, von denen in diesem Zusammenhang hier ihre Rolle als Hilfsorgan des Parlaments zur Beschaffung der Entlastungsunterlagen im Vordergrund steht. Die Rechnungshöfe rücken damit ganz eng an die erste Gewalt heran und nehmen aus diesem Grunde an ihrer weitgehenden Emanzipation von der Exekutive teil.

Am nächsten läge noch, obwohl bisher vernachlässigt, die Parallele zu den Universitäten. Bei ihnen gilt ein System gedrosselter Kooptation der Fakultäten, aber: die Oktroyierung ist und bleibt ein zwar unbequemes und nicht ungefährliches, aber doch ein jedenfalls bislang legales, in Zeiten hochqualifizierter, nur der Sache ergebener Hochschulverwaltungen vielleicht sogar segensreich wirkendes Institut, indes verbunden mit einer kategorischen vorgängigen Anhörung der Fakultäten. Daß die weitgehende Wahrnehmung der Universitäts-Intendanz in Personalien und Haushalt durch die Hochschulverwaltungen eine permanente intervenierende Aufsicht mit Fremdblick bedeutet, wird jeder Kenner der Verhältnisse bestätigen; er wird aber auch nicht übersehen, daß darin zugleich eine wohltuend neutralisierende, ausgleichende und die Wissenschaft entlastende Funktion enthalten ist. Der Gleichheitsanspruch der Gerichte in Bezug auf die Universitäten trifft also keineswegs das Wunschbild, das erstrebt wird.

Immerhin gestattet die Parallele sowohl zu den Hochschulen als auch zu den Rechnungshöfen, weit weniger zu den Parlamenten, eine Reihe von Anregungen, wie empfehlenswerte Selbstverwaltungs-Regelungen für die Gerichte praktisch organisiert werden könnten.

C. Empfehlungen zur Selbstverwaltung der Gerichte

Damit sollten die Grenzen abgesteckt sein, innerhalb deren eine Selbstverwaltung der Gerichte verfassungsrechtlich zugelassen, also der von unserem Thema gezogene „Rahmen des Grundgesetzes“ in groben Strichen umschrieben und zugleich angedeutet ist, aus welchen Verfassungsgründen sich die Selbstverwaltung der Gerichte empfehlen könnte. Nun zu den konkreten Einzelfragen und Selbstverwaltungsaufgaben.

1. In der Frage der Auswahl des Richters und seiner Beförderung in höhere Richterämter muß sich der Umfang gerichtlicher Selbstverwaltung nach folgenden Gesichtspunkten orientieren:

Reine richterliche Kooptation ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen; jede zulässige kooptative Mitwirkung muß so bemessen werden, daß die Gefahr einer Kastenbildung verhindert, ein hinreichend weiter und hoher Auswahl und Vorschlagsmaßstab gesichert bleibt. Die Beteiligung des Bundestages an der Richterwahl ist – vom Bundesverfassungsgericht zunächst abgesehen – durch das Grundgesetz für das Oberste Bundesgericht und die oberen Bundesgerichte zwingend vorgeschrieben, aber durch einfache Gesetzgebung im Sinne kooptativer Mitwirkung der Ausgestaltung zugänglich.

Für die Richter in den Ländern zwingt Art. 98 Abs. IV GG nicht zur Parlamentsmitwirkung, und zwar weder den Bundesgesetzgeber in seiner etwaigen Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Ziffer I GG, noch den Landesgesetzgeber. Um den exekutiven Vorrang in der Richterauswahl in den Ländern zu beseitigen und die Beteiligung der Gerichtsselbstverwaltung zu ermöglichen, anderseits die notwendige demokratische Legitimierung des Richters zu sichern, sprechen aber überwiegende Gründe dafür, die Richterwahl in den Ländern insoweit der vorzuschlagenden Regelung für die Bundesrichter anzupassen.

Das bedeutet:
Das Parlament müßte, um der kooptativen Mitwirkung zu entsprechen und um zugleich eine die richterliche Unabhängigkeit gefährdende parteipolitische Aufschlüsselung und Patronage zu verhindern, Organen der Rechtsprechung durch Parlamentswahl Mitgliedschaft im Wahlausschuß einräumen. Die Mitwirkung der Ressortminister ist vom Grundgesetz vorgeschrieben; ihre heutige Befugnis im Bunde zur Präsentation für Richterämter ist durch die Präsentationsbefugnis und ein Anhörungsrecht bestimmter Rechtsprechungsorgane zu ergänzen.

Im einzelnen würde das bedeuten:

a) Der Richterwahlausschuß setzt sich paritätisch zusammen aus Mitgliedern kraft Amtes und solchen kraft Wahl durch das Parlament. Amtsmitglieder sind im Bund für die Wahl der Richter an oberen Bundesgerichten die Landesressortminister, ebenso in den Ländern, aber unter Hinzutritt etwa des Ministerpräsidenten, evtl. seines Vertreters und des Justizministers, so daß die Regierung jeweils durch drei Regierungsmitglieder vertreten ist. Wahlmitglieder sind Richter, die das Parlament aus einer Vorschlagsliste wählt, die von allen Richtern des Bundes bzw. des Landes ihrerseits durch Vorwahl unter entsprechender Streuung unter den verschiedenen Gerichtsbarkeiten aufzustellen wäre. Die Beteiligung der Organe der Anwaltschaft, des Notariats, der Rechtsfakultäten könnte erwogen werden. Die Parlamentswahl selbst sollte nach Mehrheitsprinzip, nicht nach Verhältniswahl stattfinden.

b) Bestimmten Organen der Rechtsprechung, etwa allen Präsidenten – und zwar in den Ländern wenigstens der höchsten Gerichte – sollte neben allen Mitgliedern des Wahlausschusses das Recht zustehen, dem Ausschuß Vorschläge für die Berufung in das Richteramt oder die Beförderung zu machen. Die selben Organe sollten zu Vorschlägen, die nicht von ihnen selbst stammen, gehört werden müssen.

Eine solche Regelung, die im Rahmen des Grundgesetzes durch Ersetzung des geltenden Richterwahlgesetzes des Bundes vom 25. 8. 1950 (BGBl. I S. 368) und durch Landesgesetz gemäß Art. 98 Abs. IV GG, besser durch Bundesrahmengesetz nach Art. 75 Ziffer 1 GG ergehen könnte, würde durch die Beteiligung der zuständigen Minister dem parlamentarischen Prinzip, durch Parlamentswahl der Wahlmitglieder des Wahlausschusses dem demokratischen Prinzip entsprechen und genügen. Sie würde durch die Richterqualität der Wahlmitglieder und deren Vorwahl durch alle Richter den Selbstverwaltungsgedanken in vertretbarem Maße zur Geltung bringen, anderseits hierdurch und durch Anwendung des Mehrheitsprinzips bei ihrer parlamentarischen Wahl – insbesondere ohne das verfassungsrechtlich frappierende heutige Vorschlagsrecht der Fraktionen – die parteipolitische Aufschlüsselung inhibieren oder jedenfalls wesentlich abschwächen. Dadurch, daß die Richtermitglieder des Ausschusses und hervorgehobene Rechtsprechungsorgane neben den ministeriellen Amtsmitgliedern des Ausschusses Präsentationsbefugnis im Ausschuß besitzen, kann die kooptative Initiative zur Geltung kommen. Ihr soll auch die erwähnte Pflicht zur Anhörung der Rechtsprechungsorgane dienen, die gegenüber Vorschlägen der Richtermitglieder des Ausschusses zugleich Korrektur oder Kontrolle bedeuten kann.

Diese Regelung erscheint für alle Gerichtsbarkeiten diskutabel. Daß nur für das Bundesverfassungsgericht Besonderes gelten muß, ergibt sich einmal aus Art. 94 Abs. I GG, wonach Bundestag und Bundesrat seine Mitglieder je zur Hälfte wählen. Daß diese Vorschrift eine Vorwahl unter sinngemäßer Einschaltung richterlicher Selbstverwaltung nicht ausschließt, hierzu vielleicht nicht einmal eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erforderlich wäre, hat man bereits früher betont.

2. Den zweiten Bereich, der einer verfassungsmäßig zugelassenen gerichtlichen Selbstverwaltung zunehmend erschlossen werden sollte, bildet die Beurteilung des Richters, die Überwachung und Bewertung seiner Leistung, seine dienstliche Beaufsichtigung und dienststrafrechtliche Verantwortlichkeit. Es geht also um Leistung und Verhalten des Richters mit den möglichen Folgen ihrer Bewertung oder Beanstandung.

Ich habe keinen Zweifel und kann mich in dieser Auffassung auf das Urteil der detailliertesten Untersuchungen zu diesem Thema berufen, daß in diesem Bereich die Gefahr indirekter Interventionen in die richterliche Unabhängigkeit potentiell am größten ist. Daß es sich, wie immer wiederholt wird, bei der Beurteilung von Leistung und Verhalten und ihrer Auswertung im wesentlichen auch um Fragen des Taktes handelt, ist sicherlich richtig. Aber ein Gut wie das der richterlichen Unabhängigkeit kann nicht der Hoffnung überantwortet werden, alle, die es angeht, verfügten über diese Tugend in ausreichendem Maße und machten – wenn das zuträfe – von ihr auch hinlänglich Gebrauch. Das Urteil über Leistung und Verhalten des Richters muß zum Schutz seiner Unabhängigkeit in strengere und härtere Bindungen verwiesen werden als die Hoffnung auf das Gute im Menschen. Es bedarf organisatorischer Rechtssicherungen, die ich im wesentlichen in der Ein- und Vorschaltung von Rechtsprechungsorganen vor der Exekutive, in der Einschränkung insbesondere der exekutiven Dienstaufsicht, endlich in der Zulassung der Initiative des betroffenen Richters und von Rechtsprechungsorganen sehe, Leistungs- und Verhaltensurteile über ihn justiziabel oder sonst richterlich überprüfbar zu machen. Dabei denke ich an Folgendes:

a) Auszugehen ist von der Feststellung, daß im allgemeinen eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle auch über den Richter geboten und erforderlich ist. Das verlangt das Recht des Einzelnen auf korrekte Rechtsschutzgewährung, die Funktionsfähigkeit, Stabilität, Ordnung und Qualität der staatlichen Gerichtsbarkeit, auch die Notwendigkeit, staatliche, d. h. Mittel der Allgemeinheit in Ökonomie und Nützlichkeit zu verwenden. Als man feststellte, daß ein Amtsrichter einer kleinen Kreisstadt Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts alle Wechselsachen noch nach dem Allgemeinen Landrecht entschied, weil ihm die Allgemeine Deutsche Wechselordnung entgangen war, mußte ihm diese Neuerung schon irgendwie vermittelt werden. Das passierte einem Richter vor hundert Jahren! Was alles dieser Art kann ihm heute passieren ? [Beifall]

Wenn ein Richter anläßlich der Zeugenvernehmung eines Bankiers ohne Zusammenhang mit dem Beweisthema Fragen stellt, um sich Börsentips zu verschaffen – oder (zeitgemäßer) bei der Zeugenvernehmung eines Vertragsspielers Tips für den Fußballtoto eruiert -, kann das einer Aufsichtskontrolle nicht entzogen bleiben.

Dieser kritische Punkt war wohl auch erreicht, als ein Richter sein Urteil wie folgt begründete: „Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von 8 RM für das Legen von Rattengift ist unangemessen hoch; angemessen ist eine Zahlung von 4 RM. Vergleichsweise sei darauf hingewiesen, daß der preußische Staat dem Richter für Überstunden als Entschädigung pro Stunde 35 Pfennige zubilligt [Beifall], und daß, wenn die Bürger dieses Staates eine derart niedrige Entlohnung ihrer Richter dulden, sie sich nicht darüber wundern können, daß die Richter die Arbeit der übrigen Volksgenossen entsprechend bewerten“. [Beifall] Um Sie zu trösten: das Urteil stammt trotz seines Terminus „Volksgenossen“ nicht aus dem Dritten Reich!

In der Frage, wem diese Aufsicht und die Leistungsbewertung zustehen soll, der Exekutive oder Gerichtsorganen, spricht Entscheidendes dafür, sie primär Organen der Rechtsprechung selbst zu überantworten, und zwar vielleicht sogar kollegialisiert, nicht monokratisch, wo die Gerichtsorganisation dies irgend gestattet. Entscheidend bleibt, ob sie, den Bereich der Gerichtsbarkeit verlassend, in letzter Instanz der Exekutivspitze des Ministers mit Weisungs und Evokationsbefugnis zustehen soll oder nicht. Ich halte diese exekutive Ausmündung der Aufsicht wegen ihres notwendig hierarchischen Aufbaues, wegen des parlamentarischen Prinzips, auch wegen der Publizitäts- und Schutzfunktion der Aufsicht gegenüber Parlament und Öffentlichkeit für unausweichlich, es anderseits für sinnvoll, Weisung und Evokation des Ministers gegenüber aufsichtsführenden Gerichtsorganen an ihre vorgängige Anhörung zu knüpfen.

b) Einschränkung der Dienstaufsicht in Inhalt und Mitteln entspricht weiterhin der Besonderheit der Funktion des Richters, die ihn im Wesen vom Verwalter unterscheidet. Daß es für einzelne höchste Gerichte – von automatischen Folgerungen aus kriminellem Verhalten abgesehen – eine Dienstaufsicht jeder Art und jeden Grades nicht gab und nicht gibt, entspricht nicht nur ihrer hervorgehobenen Qualität und Stellung, sondern auch jener aus der Richterfunktion erklärlichen wesenhaften Tendenz zu ihrer Limitierung. Die Anwendbarkeit der sog. nichtförmlichen Dienststrafen (Warnungen, Verweise) – jedenfalls durch nichtgerichtliche Instanzen – sollte de lege ferenda tunlichst ausgeschaltet werden, sofern die gleich zu erörternde Initiativbetugnis des betroffenen Richters, sie justiziabel oder sonst überprüfbar zu machen, der Sache nicht schon den Stachel nimmt.

c) Es entspricht nicht nur, wie man gesagt hat, deutscher Tradition, im Richter allgemein den Träger, nicht nur den Kontrolleur der Disziplinargewalt zu sehen, sondern es macht das Wesen richterlicher Art und Unabhängigkeit aus, daß die Qualifikation des richterlichen Verhaltens wiederum durch Richter stattfindet. Otto Mayer hat das einmal so formuliert: Der Richter ist „sich sozusagen selber Dienstbehörde“. Daher muß dem Richter freistehen, ihn treffende Leistungs- und Verhaltensurteile der Exekutive im weitesten Sinne des Wortes justiziabel zu machen, d. h. sich notfalls durch eigenen Antrag auf Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens vom Verdacht eines Dienstvergehens zu reinigen und Leistungsurteile der Exekutive durch Gerichtsorgane überprüfen zu lassen. Dabei denke ich etwa auch an die Offenlegung ministerieller Pensenbewertung u. dgl. gegenüber gerichtlichen Dienstaufsichtsinstanzen und ihre mitzubewertende Stellungnahme dazu.

Die Dienstaufsicht über Richter bewegt sich in einem „schwer bestimmbaren und daher für die richterliche Unabhängigkeit dubiosen Rahmen und Spielraum“; das Prekäre exekutiver Dienstaufsicht liegt in ihrer „Kompetenz-Kompetenz“, den Gegenstand zulässiger Dienstaufsicht zu bestimmen; die Dienstaufsicht ist der „kritischste Punkt im rechtlichen System der richterlichen Unabhängigkeit“ , sie hat „tausend Hände, um den Richter abhängig zu machen und die Rechtsprechung zu beeinflussen“ – so und ähnlich lauten ältere und jüngste Erkenntnisse, die die hier erwogenen Schritte in der Richtung gerichtlicher Selbstverwaltung, aber zugleich auch im Rahmen anderer maßgeblicher Verfassungsprinzipien rechtfertigen.

Sie müssen schließlich von einer Auslegung des Art. 98 GG und der §§ 58 ff. BVerfGG begleitet sein, die die Richteranklage tatbestandsmäßig auf das Verschuldensprinzip – und kein anderes einer politischen Gefährdungshaftung – ausrichten, um ihr Institut auf diese Weise einer Einrichtung der Disziplinargerichtsbarkeit anzunähern.

3. Es ist eine alte Verwaltungserfahrung, daß die Verfügung über den Haushalt eine Disposition über die Sache selbst bedeuten kann. Und wer Geld gibt oder verschafft, neigt dazu, daraus Ansprüche herzuleiten. Wir haben aus dem Munde eines Ministerpräsidenten in einem politisch sehr anfälligen Zusammenhang erwähnen gehört, sein Land habe die Erstausstattung des Bundesverfassungsgerichts finanziert, und sogar sein Hausschlüssel sei über dieses Ausgabenkonto gegangen. Diesen Erfahrungen entstammt auch die Forderung, unter aller nicht bestrittenen Anerkennung der Budgethoheit des Parlaments den Gerichten selbst doch alle Aufgaben und Funktionen einzuräumen, deren es bedarf und die sich ergeben, um die Etatverabschiedung durch das Parlament vorzubereiten und über die etatgesetzlich bewilligten Mittel nun auch verfügen zu können. Nennen wir diese Forderungen kurz die „Brotkorb“-These!

Das heißt also: eigene Vorschläge für den Haushaltsbedarf der Gerichte – notwendigerweise irgendwie zusammengefaßt bei den höchsten Gerichten oder sonst gruppiert -, die heute dem Justiz- oder sonstigen Fachminister für die Aufstellung seines Ressorteinzelplans vorgelegt werden, würden im Falle gerichtlicher Etat-Selbstverwaltung unmittelbar dem Finanzminister zur Vorbereitung eines Einzelplans „Gerichte“ oder mehrerer solcher Einzelpläne zu präsentieren sein. Meinungsverschiedenheiten, die heute zwischen dem zuständigen Gerichtsminister und dem Finanzminister durch Referenten- oder Chefbesprechungen auszugleichen wären, würden künftig der Auseinandersetzung zwischen diesem und den Gerichten selbst überlassen. Käme eine Einigung nicht zustande, würde der Finanzminister bei der Beratung und Feststellung des Etats durch die Regierung nach § 21 RHO gehalten sein, der Regierung Abweichungen seines Entwurfs von nicht-berücksichtigten Anmeldungen der Gerichte ausdrücklich mitzuteilen, evtl. die abweichenden Wünsche darzulegen und vorzutragen. Das geltende Haushalts- und Verfassungsrecht, dessen Änderung im Bereich des Etatrechts durch einfache Gesetzgebung allerdings in Frage stünde, sieht eine eigene Vertretung solcher Gerichtswünsche im Kabinett nicht vor. Vor dem Parlament vertritt der Finanzminister den von der Regierung festgestellten Entwurf des Budgets mit allen Einzelplänen. Die Beratung im Haushaltsausschuß, die sich unter Beteiligung der Ressortreferenten vollzieht, würde eine Heranziehung von Gerichtsvertretern durchaus ermöglichen. Die Bewirtschaftung des bewilligten Plans oder Planteils durch die Gerichte würde in dem Maße freier und selbständiger sein, in dem heute vom Justiz- oder Ressortminister verfügte Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalte entfielen. In der Zweckbindung, der Begrenzung der gegenseitigen Deckungsfäbigkeit und Übertragbarkeit der Ansätze und Mittel, die der Haushaltsplan bestimmt hat, würde sich nichts Entscheidendes ändern.

Der Stellenplan würde auch über das Verwaltungspersonal der Gerichte nach Umfang und Einstufung bestimmen. Die Frage ihrer Auswahl, Ernennung und Beförderung soll daher als ein Thema in diesem Zusammenhang sekundärer Bedeutung hier nicht vertieft werden.

Aus der Gegenüberstellung dieser beiden Alternativen und aus denjenigen Argumenten, die von den Gerichten als Momente exekutiver Hemmung, Behinderung und Beeinflussung ins Feld geführt werden, lassen sich zweifellos einzelne bestimmte, nicht unbegründete Beanstandungen entnehmen. Sie können insgesamt bezeichnet werden als Mängel der Beteiligung, der Selbstvertretung eigener Anliegen, der möglichen exekutiven Übergehung. Sie betreffen also den verwaltungsmäßigen Ablauf der Etatvorbereitung, -feststellung, -verabschiedung und -bewirtschaftung. Das ganz andersartige materielle Problem unzulänglicher Mittelbewilligung im Sach- und Personalhaushalt steht zwar im Hintergrund; man verspricht sich von der erhöhten gerichtlichen Selbstvertretung der Etatfragen auch insoweit eine Besserung, insbesondere eine Ausschaltung exekutiver Versuche, via Budget durch Mittelvorenthaltung sonst unerreichbaren Einfluß geltend zu machen. Das eben meint die erwähnte „Brotkorb“-Theorie! Aber die Mittelknappheit an sich, die einer Verbesserung der sachlichen und personellen Ausstattung der Gerichte im Wege steht, stellt nicht eigentlich und primär den Grund der hier erwogenen Besserungswünsche dar.

Vom hier skizzierten Gang der Etatvorbereitung, -feststellung, -verabschiedung und -bewirtschaftung sind folgende Stationen im begründeten Selbstverwaltungsinteresse der Gerichte reformbedürftig:

Eine haushaltsmäßge Ablösung der Gerichte vom Einzelplan des Justiz- oder sonstigen Ressortministers und ihre Zusammenfassung in einem Gerichts-Einzelplan ist mindestens diskutabel, so daß die Voranschläge in diesem Falle unmittelbar dem Finanzminister zugehen würden. Auseinandersetzungen über die Anmeldungen müßten Gegenstand gemeinsamer Erörterung des Finanzministers, des Ressortministers und von Gerichtsorganen, etwa des OLG- oder des OVG-präsidenten sein. Damit würde schon im ersten Stadium erreicht, was sachlich geboten ist: die unmittelbare eigene Wahrnehmung des Gerichts-Standpunktes ohne jene ausschließliche exekutive Fremdvertretung, die – selbst ohne jeden bösen Willen – eben als Fremdvertretung anderer Interessen jenes permanent wirkende Aufsichts- und Bevormundungselement in sich trägt, das als Charakteristikum der heutigen Universitätsintendanz durch die Hochschulverwaltungen erwähnt wurde.

Im Kabinett ist der Gerichtsetat durch den Ressortminister zu vertreten mit der ihm und dem Finanzminister gesetzlich aufzuerlegenden Verpflichtung, abweichende Auffassungen und Wünsche der Gerichte mitzuteilen. Entsprechendes muß gelten für die Etatvertretung im Plenum des Parlaments, während die Beteiligung wiederum von Gerichtsorganen selbst im Haushaltsausschuß ohne weiteres geboten und durchführbar ist. Wer weiß, welche ausschlaggebende Bedeutung den Beratungen im Haushaltsausschuß zukommt, der seinerseits die Etathoheit des Parlaments effektiv weitgehend mediatisiert, wird zugeben, daß eine solche Beteiligung der Gerichte an der Etatgestaltung außerordentliches Gewicht erlangen könnte.

In der Haushaltsbewirtschaftung sollte die Befugnis der Gerichte, über die bewilligten Mittel zu verfügen, von exekutiven Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalten tunlichst freigestellt werden. Daß ein Gericht im Staatshaftungsprozeß den Staat zur Entschädigung von Tausenden verurteilen kann, aber über bewilligte Etatmittel von mehr als 50 DM nicht ohne Genehmigung verfügen kann, ist absurd.

Wesentliche Resultate dieser verstärkten Teilhabe der Gerichte an der Haushaltsgestaltung lassen sich übrigens auch erreichen, ohne daß der Gedanke eines Gerichts-Einzelplans realisiert wird. Was auf diesem oder jenem Wege an erforderlichen Anderungen des Haushaltsrechts oder der Wirtschaftsbestimmungen geschehen müßte, begegnet weder verfassungsrechtlichen Bedenken, noch fehlt es – z. B. für das Bundesverfassungsgericht, für den Bundestag, den Bundespräsidenten, den Bundesrat, den Bundesrechnungshof – an gesetzlichen Beispielen solcher aus Verfassungsrang oder Aufgabe gebotenen Sonderregelungen.

Die Erfahrung, daß der Etat ein Instrument möglicher sachlicher Intervention darstellt, daß solche Interventionen gegenüber den Gerichten in der Tat allein schon geeignet sein können, ihre Unabhängigkeit zu berühren, spricht für eine Ausgestaltung des Budgetrechts etwa der hier erwogenen Art, um Mitsprache, Gehör, Beteiligung der Gerichte selbst an ihrer finanziellen Ausstattung in Personal und Sachen zu steigern. Eine Exekutive, die das Ziel richterlicher Unabhängigkeit bejaht, sollte solche Erwägungen befördern, nicht behindern.

4. Eine letzte Frage aus dem Sachbereich denkbarer und postulierter Selbstverwaltung der Gerichte ist die ihrer Beziehungen untereinander und nach außen. Da hier prinzipiell an der ressortmäßigen Zuordnung der Gerichte und der ministeriellen Ausmündung der Justizverwaltung festgehalten wird, ergeben sich für Dienst- und Schriftverkehr für alle Gerichte – jetzt wohl mit der alleinigen Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts – daraus selbstverständliche Folgerungen, und zwar insbesondere auch für den Verkehr mit anderen Verwaltungsressorts. Daß die hier erwogene Haushaltsregelung Variationen im Verhältnis zum Finanzminister und zum Parlament erfordert, bedarf keiner Begründung. Für sehr viel wesentlicher als dies halte ich die Beziehungen der Gerichte untereinander und zur Öffentlichkeit.

Der Kontakt der Gerichte und ihrer Mitglieder untereinander darf nicht abgedrängt werden auf Berührung sog. gesellschaftlicher oder standesorganisatorischer Art. Daraus entstehen, vor allem aus den letztgenannten, nur allzu leicht Frontierungen und Frondierungen. Förderung und nicht Behinderung des Zusammenhalts und des Zusammenhangs unter den Gerichten und Richtern sollte ein nobile officium der zuständigen Ressorts sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß etwa ein Consilium von Oberlandesgerichtspräsidenten durch Justizminister inhibiert werden könnte. [Beifall] Die Bereitstellung ausreichen- der Mittel für solche Kontaktnahme sollte selbstverständlich sein.

Im übrigen verlangt die den Gerichten obliegende ständige Selbstverteidigung ihrer Unabhängigkeit, wie dies mit zutreffender verfassungsrechtlicher Begründung gefordert worden ist, daß die Gerichte ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit aktivieren und ihre letzten Mittel aufbieten, wenn ihre Unabhängigkeit in Frage steht. Gerade wenn die Exekutive und Mitglieder der Legislative insoweit sich versagen oder gar Partei sind, brauchen die Gerichte aber ein Organ, das ihre Sachverhaltsdarstellung und ihren Standpunkt in Konfliktstellen weisungsfrei der öffentlichen Meinung bekanntgibt. Über die schon gegebenen Anregungen hinaus denke ich an ein von allen Gerichten getragenes besonderes Publikationsorgan, das aus staatlichen Mitteln zu finanzieren wäre.

D. Wege gesetzlicher Einführung

Mir bleibt, am Schluß zu skizzieren, welche unmittelbaren Folgerungen organisatorischer und gesetzgeberischer Art und in welcher Rang- und Zeitfolge sie zu ziehen wären, wenn die hier vertretenen Anregungen realisiert werden sollen.

1. Die Forderung auf gerichtliche Selbstverwaltung ist, aus Entstehungsanlaß und Herkunft erklärlich, zum Teil mit grundlegenden Erwägungen über die Einheit oder Spezialisierung der Gerichtsbarkeit, die Frage ihrer Ressortierung und die Wandlung eines Justizressorts zum Rechts-, Rechtsprechungs oder Rechtswahrungsministerium verknüpft worden. In dem begrenzten Rahmen, in dem die gerichtliche Selbstverwaltung hier empfohlen wird, können und müssen derart weitgreifende, zum Teil verfassungsändernde Maßnahmen außer Betracht bleiben. Je eindeutiger und betonter hier Maß gehalten wird, um so diskutabler und erreichbarer erscheinen mir Ansprüche, die in dieser Begrenzung wirklich berechtigt sind.

Hier wird an der Institution der für die verschiedenen Gerichte zuständigen Ministerien, in die die Justizverwaltung hierarchisch ausmündet, festgehalten; anderseits sind die hier erwogenen Kompetenzverschiebungen von den Ministerien zu den Gerichten für jene nicht existentiell bedeutsam. Daher hat die sozusagen en passant erhobene Frage, ob das aller Justizverwaltung entkleidete Justizministerium sich durch Verwandlung in ein Rechtsressort wieder anzureichern hätte, gänzlich aus dem Spiel zu bleiben. Sie gehört in ganz andere Verfassungs-Zusammenhänge unseres Regierungssystems und des Gesetzgebungsverfahrens. Den m. E. irrealen und nach dem Grundgesetz schwerlich rechtlich erreichbaren Gedanken, alle Gerichtsbarkeiten in einem Ressort zu vereinigen, und das wäre – mit den gelassenen Worten des Bundesjustizministers – „zwangsläufig beim Justizministerium“, oder aber jedenfalls die Verwaltungsgerichtsbarkeit- die allgemeine und die besondere- von ihren Ressorts (Inneres, Finanzverwaltung usw.) zu lösen und andernorts ressortieren zu lassen, – diese Gedanken berühren die Selbstverwaltungsfrage in der hier empfohlenen Begrenzung nicht mehr im Kern der Sache. Wenn das hier Vorgeschlagene verwirklicht würde, könnte die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit getrost bei der inneren, die Finanzgerichtsbarkeit bei der Finanzverwaltung ihren Platz haben. Wenn auch die Enge der Spezialressortierung die Gefahr der politischen Aufschlüsselung erhöhen sollte – ihrer Verhinderung dient aber die hier erwogene Verstärkung des justiziellen Elements in den Wahlgremien und die Zusammenfassung der Gesamtrichterschaft zum Zweck ihrer Auswahl.

Mit der Bejahung einer letztlich exekutiven, aber justiziablen Richteraufsicht entfällt auch die Notwendigkeit, Organisationsformen einer Art autonomen Aufsicht zu entwickeln – derartiges gibt es heute nur beim Rundfunk -, die sich zwangsläufig im Gestrüpp beachtlicher Verfassungsbedenken verfangen müßte. Auch der aufgeworfene Gedanke eines temporären Selbstverzichts des Parlaments auf Kontrolle der Justizverwaltung, den das Grundgesetz übrigens auch nicht gestattete, muß sich in dem hier erwogenen Vorschlag erschöpfen, die Wahlmitglieder der Richterwahlausschüsse aus den durch richterliche Vorwahlen präsentierten Richtern zu entnehmen. Allenfalls wird es in größeren Ländern besonders für die ordentliche Gerichtsbarkeit bestimmter Maßnahmen bedürfen, um ein einzelnes oberstes Landesgericht für die Führung von Selbstverwaltungsaufgaben zu gewinnen.

2. In der Frage der Zeit- und Rangfolge solcher Maßnahmen, die vertretbare gerichtliche Selbstverwaltung herbeiführen würden, sprechen die besseren Gründe für ad hoc-Lösungen, nicht für das Abwarten von General- oder Prinzipal-Aktionen. Nichts wäre hier schädlicher als die Parole: Alles oder nichts! Die Begründung des Regierungsentwurfs einer Verwaltungsgerichtsordnung, die anderer Auffassung ist, erinnert nur allzusehr an Ablehnung in der Sache, nicht im Tempo. Ein notwendiges Junctim für das, was hier im einzelnen erwogen worden ist, besteht nicht, da die erstrebten Resultate auch schrittweise realisiert werden können. Daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Rangfolge der Notwendigkeit voransteht, wird allerdings mit guten Gründen bejaht werden können.

3. Die gesetzgeberische Gestaltung muß sich nach diesen Gesichtspunkten bestimmen. Ein Richtergesetz, für dessen Erlaß eine Rahmenkompetenz des Bundes bejaht werden kann, würde den der Sache und Bedeutung angemessensten Platz abgeben für die wesentlichen der hier gemachten Vorschläge. Im übrigen kann jedes einschlägige Bundes- oder Landesgesetz den Rahmen des Grundgesetzes mit solchen Maßnahmen ausfüllen, die hier erwogen wurden. Ihren zusammengefaßten Inhalt bitte ich den Ihnen vorliegenden Thesen zu entnehmen. [Beifall]

Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser:

Der lebhafte Beifall, der dem Referat gezollt wird, enthebt mich beinahe der angenehmen Aufgabe, Herrn Prof. Dr. Ipsen unser aller aufrichtigen Dank für seine brillanten Ausführungen zu sagen.

Darf ich nun Herrn Dr. Arndt bitten.