Aus dem Text:
„…. Die besondere Disziplinargerichtsbarkeit für Richter ist bereits im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Sicherung der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit entwickelt worden (vgl. für Hessen das Gesetz, die Rechtsverhältnisse der Richter betreffend, vom 31.05.1879). Dieser Rechtszustand wurde erst während der NS-Zeit durch die Reichsdienststrafordnung vom 26.01.1937 beseitigt. Fortan konnten Richter wie weisungsgebundene Beamte diszipliniert werden ….„
Horst Häuser, Richter am Verwaltungsgericht (Wiesbaden):
Die unzulässige Praxis der Besetzung der Hessischen Richterdienstgerichte
Die Richterdienstgerichte sollen die Unabhängigkeit der Richter schützen. In der Praxis zeigt sich aber auch hier die Abhängigkeit der Richter von der Justizverwaltung. Dabei ist die Einflußnahme der Präsidenten und „Chef“-Präsidenten auf die Besetzung der Richterdienstgerichte mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.
Die besondere Disziplinargerichtsbarkeit für Richter ist bereits im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Sicherung der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit entwickelt worden (vgl. für Hessen das Gesetz, die Rechtsverhältnisse der Richter betreffend, vom 31.05.1879). Dieser Rechtszustand wurde erst während der NS-Zeit durch die Reichsdienststrafordnung vom 26.01.1937 beseitigt. Fortan konnten Richter wie weisungsgebundene Beamte diszipliniert werden.
Das GG wies der rechtsprechenden Gewalt in unserer Demokratie eine Stellung zu, die es nicht mehr erlaubte, den Richter wie einen Beamten (den „richterlichen“ Beamten) zu behandeln und das Richterverhältnis als nichts weiter als ein Beamtenverhältnis besonderer Art („richterliches“ Beamtenverhältnis) anzusehen. Dem durch das GG verliehenen besonderen Status des Richters trug das Deutsche Richtergesetz vom 01.06.1962 (DRiG) nur unvollkommen Rechnung (vgl. dazu Weist, die Entwicklung der Dienstaufsicht über Richter, DRiZ 1968, 223). Die wichtigste Neuerung war in diesem Zusammenhang die Wiedereinführung der Besetzung der Richterdienstgerichte im Rahmen der richterlichen Selbstverwaltung. Alle Mitglieder der Dienstgerichte sowohl des Bundes (§ 61 Abs. 3 DRiG) als auch der Länder (über die Rahmenvorschrift des § 77 Abs. 3 DRiG) werden danach durch das Präsidium des jeweiligen Gerichts bestimmt. Damit wurde einem Grundsatz wieder Geltung verschafft, der seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nahezu uneingeschränkt – mit Ausnahme der Zeit nach 1937 – gegolten hat. Die Justizverwaltung bzw. die Gerichtsverwaltung sollte keinen Einfluß auf die Besetzung der Richterdienstgerichte haben, da es ja gerade deren Maßnahmen sind, die gegebenenfalls von dem Richterdienstgericht überprüft werden müssen. Deshalb kann auch weder der Präsident eines Gerichts noch sein ständiger Stellvertreter einem Richterdienstgericht angehören (§ 61 Abs. 2 Satz 3 und § 77 Abs. 3 Satz 3 DRiG).
Zum Prinzip der Besetzung der Richterdienstgerichte im Wege der richterlichen Selbstverwaltung führt Schmidt-Räntsch (DRiG, 4. Auflage 1988, § 61 Rdnr. 12) aus: „Die Bestellung der Dienstrichter durch die Präsidien findet ihre Rechtfertigung in dem engen Zusammenhang, in dem die dem Dienstgericht .. zugewiesenen Verfahren mit der Unabhängigkeit der Richter stehen. Sie soll sicherstellen, daß Organe der vollziehenden Gewalt auf diese Verfahren auch nicht mittelbar auf dem Weg über die Auswahl der Dienstrichter einwirken können.“
Das Hessische Richtergesetz vom 19.10.1962 (HRiG) regelt in § 49 die Errichtung eines Dienstgerichts beim LG Frankfurt a.M. und eines Dienstgerichtshofs beim OLG Frankfurt a.M.. Die Anbindung der Richterdienstgerichte bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit entspricht überkommenem Recht. Die nichtständigen Beisitzer sowohl beim Dienstgericht als auch beim Dienstgerichtshof sollen dafür dem Gerichtszweig des betroffenen Richters angehören (§ 57 Abs. 2 und § 59 Abs. 2 HRiG). Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 HRiG bestimmt das Präsidium des Gerichts, bei dem das Richterdienstgericht errichtet ist, die Vorsitzenden, die Beisitzer und ihre Vertreter. Die Präsidien des LG Frankfurt a.M. und des OLG Frankfurt a.M. sind dabei in gewissem Umfang an Vorschlagslisten gebunden, die von den Präsidien anderer Gerichte aufgestellt werden (§§ 55, 56, 58 HRiG).
In Hessen entspricht es jedoch der Praxis, daß auch die Gerichtsverwaltung „Vorschläge“ unterbreitet bzw. „Vorschlagslisten“ aufstellt.
Als Beispiel für diese Praxis sei hier der „Umlauf“ des Präsidenten des Amtsgerichts Frankfurt a.M. vom 24.08.1990 wiedergegeben.
Diese Praxis ist unzulässig !
Die Vorschlagslisten sind ausschließlich von den Präsidien des Oberlandesgerichts, des Verwaltungsgerichtshofs, des Finanzgerichts, des Landesarbeitsgerichts und des Landessozialgerichts aufzustellen (vgl. §§ 55, 56 und 58 HRiG). Diese Präsidien können selbstverständlich auch Richter der nachgeordneten Gerichte in die Vorschlagsliste aufnehmen. Dabei können die Präsidien bei ihrer Meinungsbildung auch auf (unverbindliche) Vorschläge der örtlichen Präsidien zurückgreifen. Die Gerichtsverwaltung hat sich aber jeder Einmischung zu enthalten.
Hierzu noch einmal Schmidt-Räntsch (a.a.O., § 61 Rdnr. 14): „Will das Präsidium Richter eines nachgeordneten Gerichts auf- nehmen, so kann es auf (nicht formal bindende) Vorschläge der Präsidien der nachgeordneten Gerichte zurückgreifen; dienstaufsichtsführende Richter oder andere Stellen der Gerichtsverwaltung sind nicht berechtigt, Vorschläge zu machen.“
Es kann dabinstehen, inwieweit bei der hessischen Vorschlagspraxis von den Präsidenten bzw. „Chef“-Präsidenten eine Vorauswahl getroffen oder eine Rangfolge festgelegt wird, ebenso, inwieweit solchen Vorschlägen von den Präsidien Gewicht beigemessen wird, denn bereits die Vorschlagspraxis der Gerichtsverwaltung als solche stellt eine unzulässige Einmischung der Gerichtsverwaltung in Angelegenheiten der richterlichen Selbstverwaltung dar.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, daß damit nur die „Selbst-Einschaltung“ der Präsidenten und „Chef“-Präsidenten in das Verfahren der Besetzung der Hessischen Richterdienstgerichte und nicht die Rechtsprechung dieser Gerichte kritisiert wird.
Nach den Vorstellungen der Neuen Richtervereinigung sollte das Verfahren de lege ferenda noch demokratischer gestaltet werden. Mehr Demokratie innerhalb der Justiz bedeutet mehr Selbstverwaltung und mehr Mitbestimmung. Deshalb sollten neben den Organen der gerichtlichen Selbstverwaltung (Präsidien) auch die Organe der Richtervertretung (Richterräte) an dem Verfahren beteiligt werden. Die NRV hatte in ihrem Entwurf für die Novellierung des HRiG vorgesehen, daß bei der Besetzung der Richterdienstgerichte der Landesrichterrat (ein Zusammenschluß der Bezirksrichterräte aller Gerichtszweige, vgl. § 39 a des Entwurfs) eine Vorschlagsliste erstellt, die doppelt so viele Vorschläge wie benötigt enthält und aus der dann die zuständigen Präsidien des LG Frankfurt a.M. und des OLG Frankfurt a.M. die Richter der Dienstgerichte auswählen. Eine ähnliche Regelung, bei der die Präsidien an die Vorschlagslisten der Richtervertretungen in gewissem Umfang gebunden sind, gibt es bereits in Berlin (§ 46 Abs. 2 des Berliner Richtergesetzes). Damit soll – entsprechend den Zielen der NRV – mehr Transparenz, mehr „Gewaltenteilung“ und mehr Demokratie innerhalb der dritten Gewalt gewährleistet werden. Diese Änderungsvorschläge wurden jedoch im Rahmen des Novellierungsverfahrens von der Regierungskoalition und der Justizverwaltung praktisch nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn diskutiert. So bleibt nur zu hoffen, daß bei der Besetzung der Richterdienstgerichte in Hessen nunmehr eine Praxis eingeführt wird, die wenigstens der bestehenden Rechtslage entspricht.