Parlamentarischer Rat
Bonn 1948/49
Anlage
zum stenographischen Bericht der
9. Sitzung am 6. Mai 1949
Schriftlicher Bericht
des Abgeordneten Dr. von Mangoldt
über den Abschnitt
I. Die Grundrechte
Bei wohl kaum einem anderen Teil des Grundgesetzes ist die Entstehungsgeschichte für die Auslegung der Bestimmungen von ähnlicher Wichtigkeit, wie bei dem Grundrechtsteil. Es dürfte daher zweckmäßig sein, diese Entstehungsgeschichte zunächst kurz im allgemeinen zu zeichnen und dann bei der Behandlung der einzelnen Vorschriften, wo es nötig ist, auf sie zurückzukommen.
Im Ausschuß für Grundsatzfragen haben ganz zu Anfang Zweifel bestanden, ob die Proklamierung von Grundrechten nicht ähnlich wie unter der Bismarck´schen Verfassung den Ländern überlassen bleiben sollte. Da zu Beginn die Ansicht vorherrschte, daß das Grundgesetz nur ein Provisorium darstellen werde, lag es nahe, zunächst nur ein reines Organisationsstatut zu schaffen. Solchen Ueberlegungen gegenüber setzte sich aber bald der Gedanke durch, daß es gerade für das zukünftige Deutschland dringend erforderlich sein werde, nicht nur das Gerippe des bundesstaatlichen Aufbaues zu geben, sondern auch zu bestimmen, welcher Art der Geist sein solle, der das neuorganisierte Staatswesen beseelt. So wurde denn schon in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 21. September beschlossen, daß Grundrechte nicht nur in die Landesverfassungen, sondern auch in das Grundgesetz gehörten.
Gleichzeitig wurde festgelegt, daß die Grundrechte in einen besonderen Teil des Grundgesetzes und nicht etwa wie in der neuen französischen Verfassung in die Präambel aufgenommen werden sollten. Anders als in Frankreich war es in Deutschland nicht möglich, einen Grundrechtskatalog in toto zu übernehmen, der eine ähnliche Tradition aufweisen konnte. Wenn in Weimar in den Grundrechten und Grundpflichten der Versuch gemacht worden ist, die Grundzüge der Gemeinschaftsordnung des neuen Staates in der Verfassung zu verankern, insbesondere auch Grundsätze für die künftige kulturelle und soziale Lebensordnung aufzustellen, so konnte bei der gegenwärtigen Ungewißheit aller künftigen Entwicklungen in diesem Grundgesetz der Rahmen nicht so weit gespannt werden.
Vielmehr sahen die Beteiligten ihre Aufgabe darin, die Grundrechte im Sinne der alten klassischen Grundrechte zu gestalten. Nach einer Zeit fortgesetzter Bedrückung und schwerster Mißachtung der Menschenwürde mußte es als unerläßlich erscheinen, die Achtung vor der Menschenwürde und als eine der notwendigsten Grundlagen dafür die alten Freiheitsrechte zu sichern. In den Grundrechten sollte also das Verhältnis des Einzelnen zum Staate geregelt werden, der Allmacht des Staates Schranken gesetzt werden, damit der Mensch in seiner Würde wieder anerkannt werde. Dabei wurden diese Rechte als vorstaatlich betrachtet und zwar je nach dem weltanschaulichen Standpunkt als von Gott gegebene und angeborene oder als naturgegebene und unveräußerliche Rechte. So kam es, daß in der Sitzung vom 21. September ausdrücklich beschlossen wurde, die sogenannten vorverfassungsmäßigen Rechte aufzunehmen. Gleichzeitig war man sich vollkommen darüber klar, daß es dazu notwendig sein werde, diese Rechte aus den besonderen Verhältnissen der Gegenwart heraus neu zu gestalten und zu formen. Das kam auch in einem am 19. November eingefügten, aber später wieder gestrichenen Zusatz in Abs. 3 des Artikels 1 zum Ausdruck, in dem es hieß, daß die Grundrechte „für unser Volk aus unserer Zeit geformt“ worden seien. Trotz dieser Streichung hat sich im ganzen an Sinn und Inhalt der Grundrechte aber nichts geändert. Das festzustellen, dürfte für die spätere Auslegung von Bedeutung sein. Denn bei einem solchen Charakter ist für die Grundrechte die gerade für sie so wichtige Anpassungsfähigkeit an fortschreitende Entwicklungen in besonderem Maße gesichert.
Der Ausschuß beschloß in seiner Sitzung vom 21. September auch, die Grundrechte nicht in der weiten und rechtlich unbestimmten Fassung von Weimar aufzunehmen, sondern einen Versuch zu machen, sie stärker zu konkretisieren. Eine Mischung von Sätzen, die zu einem Teil unmittelbar geltendes Recht sind, zum anderen Teil aber nur ein Programm für die Gesetzgebung aufstellen oder zur Durchführung erst eingehenderer gesetzlicher Regelung bedürfen oder nicht nur Freiheitsrechte, sondern auch die Beibehaltung gewisser Institutionen oder Rechtsinstitute sichern, wie sie im zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung vorhanden war, hat rechtlich zu erheblichen Schwierigkeiten geführt. Diese Schwierigkeiten sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die Absicht ging daher dahin, die Grundrechte so zu formulieren, daß sie, wie Abs. 3 des Artikels 1 dann auch zum Ausdruck gebracht hat, als unmittelbar geltendes Recht angesehen werden können, das sowohl die Gesetzgebung wie Verwaltung und Rechtsprechung, und zwar sowohl des Bundes als auch der Länder in gleicher Weise bindet. Die Bindung auch der Länder war in der ursprünglichen Fassung klarer zum Ausdruck gebracht. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß in der gegenwärtigen Fassung das Gesetz das Gleiche will.
Nach diesen Richtungen unterscheidet sich der Grundrechtsteil auch wesentlich von dem des Herrenchiemseer Entwurfs. Dieser sah in seinem Schlußartikel eine generelle Ermächtigung für den Gesetzgeber, und zwar nicht nur für den Bundesgesetzgeber vor, die Grundrechte durch Gesetz einzuschränken, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit das zwingend erfordere. Außerdem war in einzelnen Artikeln der Gesetzgeber allgemein zu Eingriffen in die Grundrechte ermächtigt. Durch eine solche Gestaltung wäre den Grundrechten ihr Wert als eine wirksame Verbürgung der menschlichen Persönlichkeitsrechte weitgehend genommen worden. Denn, was hier auf der einen Seite durch die weite Fassung der einzelnen Freiheitsrechte gegeben wurde, wäre auf der anderen Seite durch die zu allgemeinen. Ermächtigungen an den Gesetzgeber wieder genommen worden.
Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat aus solchen Ueberlegungen heraus sich schon in einem sehr frühen Stadium entschlossen, den Beratungen den Herrenchiemseer Entwurf nicht weiter zu Grunde zu legen, sondern eigene Wege zu gehen. Es schien ihm erforderlich, auf der einen Seite die Grundrechte kurz und einprägsam, damit also notwendig in einer ziemlich weiten Fassung zu formulieren, auf der anderen Seite zugleich aber bei jedem Grundrecht soweit wie möglich konkretisierend festzustellen, nach welchen Richtungen der Gesetzgeber zu Eingriffen ermächtigt sein sollte. Damit mußten auch so weite und in ihren Rechtswirkungen nicht zu übersehende Bestimmungen wie der Satz des Herrenchiemseer Entwurfes fallen: „,Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetz zu achten und zu befolgen“, der im übrigen in seinem zweiten Teile Selbstverständliches besagt. Dafür wurde aber erhöhter Wert darauf gelegt, den Artikel, welcher die Verwirkung bestimmter Grundrechte durch denjenigen vorsieht, der sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, so zu gestalten, daß er den gleichen Zielen gerecht wird.
Von dem Grundsatz, den Gesetzgeber bei jedem Grundrechte nur in möglichst genau umgrenzten Umfange zu Eingriffen zu ermächtigen, hat abgegangen werden müssen in Art. 2, der in sehr allgemeiner Form die Unantastbarkeit der grundlegendsten Persönlichkeitswerte wie des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit der Person gewährleistet. Die Schwierigkeiten, die bei jedem Versuch auftauchen, für jene Persönlichkeitswerte das Maß der allenfalls zulässigen Eingriffe generell so zu umgrenzen, daß keine Schädigung der Menschenwürde zu befürchten ist, und die allgemeine Formulierung, welche der persönlichen Freiheit in Abs. 1 des Artikels 2 gegeben wurde, machten es hier unmöglich, für die Ermächtigung eine speziellere Fassung zu finden, die zugleich die notwendige Kürze gehabt hätte. Gegen eine so weite Ermächtigung brauchten aber an dieser Stelle umso weniger Bedenken zu bestehen als die Freiheitsrechte, welche in den auf Artikel 2 folgenden Artikeln verbrieft werden, im Grunde genommen nur eine Konkretisierung der allgemeinen Rechte und Freiheiten dieses Artikels auf einzelnen Lebensgebieten darstellen.
Aus dem damit gekennzeichneten allgemeinen Rahmen fallen teilweise heraus die beiden Artikel über Ehe und Familie und das Schulwesen und den Religionsunterricht (Art. 6 und 7). Sie enthalten neben Deklarationen ohne unmittelbare Rechtswirkung Programmsätze und Weisungen an den Gesetzgeber und sind teilweise ohne vorhergehende eingehende Regelung durch ein Gesetz nicht zu verwirklichen. Dieser Mangel in der Gestaltung des Grundrechtsteils ist nur aus seiner Entstehungsgeschichte zu erklären. Die fraglichen Artikel sind erst in den Beratungen des Hauptausschusses eingefügt worden, der die Grundsätze für den Aufbau des Grundrechtsteils nicht mehr so scharf vor Augen hatte. Das gleiche gilt für Satz 2 des Absatzes 3 des Artikels 5, der feststellt, daß die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zum Grundgesetz entbindet. Diese Formulierung läßt offen, wie dieser Grundsatz rechtlich zu verwirklichen ist und welche Bedeutung er neben den Bestimmungen des Art. 18 über die Verwirkung von Grundrechten hat.
Wie die gleichen Teile anderer Verfassungen, so ist also auch der Grundrechtsteil dieses Grundgesetzes aufs stärkste von dem Geist seiner Zeit bestimmt. Welche Entwicklung auch das Verfassungsleben nehmen wird, schon in seiner Entstehungsgeschichte bewahrheitet sich der Satz, daß die Geschichte der Grundrechte zugleich die Geschichte der menschlichen Freiheit ist. Bei aller durch die Sache selbst gegebenen Abhängigkeit von früheren Grundrechtskatalogen ist das Verhältnis des Einzelnen zum Staat hier doch in einer eigenen durch die Zeit bedingten Art geregelt. Trotz der sehr bewußten Reaktion gegen die Unterdrückung menschlicher Freiheit in der Jüngeren Vergangenheit ist der Gedanke von der Notwendigkeit der sozialen Einordnung jedes Einzelnen bei der Formulierung jeder einzelnen Bestimmung von maßgebendem Einfluß gewesen. Und wenn von den Grundpflichten nur an wenigen Stellen ausdrücklich die Rede ist, so ist das darauf zurückzuführen, daß ihre Aufnahme nur in wenigen Fällen mit dem Grundsatz in Einklang zu bringen war, daß die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht sein sollten. Wenn in den Grundrechten im Hinblick auf die noch jüngst gemachten Erfahrungen der Akzent stark auf der Freiheit von staatlichem Zwang liegt, so bedeuten sie auf der anderen Seite doch eine Fortentwicklung des in der Weimarer Verfassung gewonnenen demokratischen Freiheitsbegriffs, der die Teilnahme des Einzelnen am Staat in sich mit erfaßte. Das Grundgesetz bedeutet ferner auch insofern eine Fortentwicklung der Weimarer Verfassung, als überall dort. wo es sich nicht um engstens mit der Staatsangehörigkeit zusammenhängende Rechte handelt, die Grundrechte als allgemeine Menschenrechte ausgestaltet sind. Anders zu verfahren hätte geheißen, den Rechtsstaatsgedanken gegenüber dem Ausland zu verneinen.
Für die Abänderung der Grundrechtsartikel sind grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten wie für andere Aenderungen des Grundgesetzes gegeben. Jedoch liegt in der bereits erwähnten Anerkennung der menschlichen Persönlichkeitswerte und der gewährten Freiheiten als vorstaatliche Rechte das Zugeständnis, das eine völlige Beseitigung dieser Rechte ausgeschlossen sein soll. Das gleiche bringt im übrigen Artikel 79 zum Ausdruck, wenn er feststellt, daß die Sätze über die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und den freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes, wie die allgemeinen Grundsätze des Staatsaufbaues des Artikels 20 der Verfassungsänderung entzogen sein, d. h. Unverbrüchlichkeit genießen sollen.
Wie in der Weimarer Verfassung sind auch in diesem Grundgesetz die Grundrechte nicht alle im Grundrechtsteil zusammengefaßt. Für die Gewährleistung der Freiheit der Person wichtige Rechte sind in den Bestimmungen über die Rechtspflege, insbesondere in Artikel 104, aber auch in Artikel 1O1 und 103, enthalten. Der gleiche Zutritt zu allen öffentlichen Aemtern ist durch Artikel 33, der für einen wirksamen Schatz der Freiheitsrechte unentbehrliche Satz von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist in Artikel 20, Abs. 3, gewährleistet. Artikel 28, Abs. 2 und Artikel 140 schließlich enthalten wichtige institutionelle Garantien.
Nach diesen ausführlichen allgemeinen Bemerkungen kann der Bericht zu den einzelnen Artikeln verhältnismäßig kurz gefaßt werden. Zu entbehren ist er keinesfalls. Denn für Auslegung und Anwendung der Grundrechte wird die Kenntnis gewisser Einzelheiten aus ihrer Entstehungsgeschichte und Ausführungen über den ihnen nach den Beratungen zu Grunde liegenden Sinn häufig nicht zu missen sein.
In Artikel 1 ist, um den ganzen Geist des neuen Staatswesens in seinem Gegensatz zu der im Mai 1945 vernichteten Staatsordnung darzutun, das Gebot der Achtung der Menschenwürde an den Anfang gestellt. Die beiden folgenden Absätze leiten zu den Grundrechten über und kennzeichnen in wenigen einleitenden Sätzen ihre Bedeutung und ihren Rechtsgehalt allgemein. Absatz 2 versucht darzutun, wie Menschenwürde und Menschenrechte miteinander verbunden sind. Ohne Anerkennung von Freiheitsrechten ist echte Achtung vor der Menschenwürde undenkbar. In der jetzigen Fassung, die auf einen Vorschlag des Redaktionsausschusses zurückgeht, der in dritter Lesung aus überwiegend sprachlichen Gründen angenommen und in vierter Lesung noch geringfügig abgeändert worden ist, kommen allerdings diese Gedanken nicht in gleicher Klarheit wie in der letzten Fassung des Grundsatzausschusses zum Ausdruck, in der es hieß
„Bereit, für die dauernde Achtung und Sicherung der Menschenwürde einzustehen, erkennt das Deutsche Volk jene unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, auf denen Freiheit und Frieden ruhen.“
Der Sinngehalt ist aber derselbe geblieben.
Absatz 3 soll darauf hinweisen, daß diese Freiheits- und Menschenrechte in den nachfolgenden Artikeln geformt und niedergeschrieben sind, und kennzeichnet ihre rechtliche Bedeutung. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, daß in klarer Fortbildung der Weimarer Verfassung vorgeschrieben ist, daß diese Artikel auch den Gesetzgeber binden sollen.
Artikel 2 hat seine heutige Gestalt erst in langen, schwierigen Beratungen und nach vielfachen Abänderungen gewonnen. Die jetzige Formulierung des Absatzes 1 stammt erst aus der zweiten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen. Hier wird der Anerkennung des Wertes der Persönlichkeit besonders treffend Ausdruck verliehen. Daher wurde diese Formulierung auch einem Vorschlag des Redaktionsausschusses vorgezogen, in dem es hieß:
„Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt . . .“
Aber der allgemeinen Handlungsfreiheit sind zugleich nach doppelter Richtung unüberschreitbare Schranken gesetzt, die von allgemeiner Bedeutung für den ganzen Grundrechtsteil sind. Niemand darf für sich Freiheiten in Anspruch nehmen, wenn er damit gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Damit ist der oft gehörte Vorwurf entkräftet, daß das Grundgesetz nur einem rein formalen Rechtsstaatsgedanken huldige, der ohne jeden ethischen Gehalt sei.
Absatz 2 war in seiner ursprünglichen Herrenchiemseer Fassung: „Alle Menschen sind frei“, eine reine Deklamation, deren Rechtswirkungen nicht ohne weiteres zu übersehen waren. Er paßte aus diesem Grunde und ferner, weil sein Verhältnis zu der allgemeinen Handlungsfreiheit des jetzigen Absatzes 1 und zu der Freiheit der Person des Artikels 3 ganz unklar blieb, nicht in den Gesamtaufbau des Grundrechtsteils. Er wurde daher im Ausschuß für Grundsatzfragen in zweiter Lesung in Anlehnung an den entsprechenden Artikel des Entwurfes der Menschenrechte der Vereinten Nationen umgestaltet. Dabei hat mit der Gewährleistung des Rechts auf Leben auch das keimende Leben geschützt werden sollen. Von der Deutschen Partei im Hauptausschuß eingebrachte Anträge, einen besonderen Satz über den Schutz des keimenden Lebens einzufügen, haben nur deshalb keine Mehrheit gefunden, weil nach der im Ausschuß vorherrschenden Auffassung das zu schützende Gut bereits durch die gegenwärtige Fassung gesichert war. Auf Grund einer ebenfalls zuerst von der Deutschen Partei ausgegangenen Anregung ist im Hauptausschuß in zweiter Lesung noch das Recht auf körperliche Unversehrtheit aufgenommen worden. Ueber den Zweck dieser Ergänzung hat dort der Berichterstatter des Ausschusses für Grundsatzfragen ausgeführt:
„Damit sollte die verfassungsrechtliche Grundlage dafür gegeben werden, daß Maßnahmen, wie sie der Nationalsozialismus mit der Zwangssterilisation eingeleitet hatte, nicht mehr durchgeführt werden dürfen.“
Alle mehr in die Einzelheiten gehenden Formulierungen für das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind in vorhergehenden Beratungen des Ausschusses für Grundsatzfragen der Ablehnung verfallen, weil sie bei der Verklausulierung, die sich aus der Schwierigkeit der Materie ergab, nicht der für einen Grundrechtskatalog in erster Linie maßgeblichen Forderung nach Kürze und Klarheit entsprachen. Dabei herrschte aber Einigkeit darüber, daß die gegenwärtige Fassung nicht ausschließt, von Rentenempfängern zu verlangen, daß sie sich zum Zwecke der Wiederherstellung ihrer Gesundheit oder einer erheblichen Minderung ihrer Erwerbsunfähigkeit einer Operation unterziehen.
Die in Satz 2 garantierte Freiheit der Person war ursprünglich in einem besonderen Artikel 3 gewährleistet und ist erst in der vierten Lesung im Hauptausschuß auf einen Antrag des Redaktionsausschusses in den Artikel 2 übernommen worden. Der Inhalt der Absätze 2 und 3 des damit wegfallenden Artikels 3 ist gleichzeitig in den Artikel 104 einbezogen worden. Diese Kürzung des Grundrechtsteils, die ohne eine materielle Aenderung in den gewährleisteten Freiheitsrechten vorgenommen werden konnte, war nur dadurch. möglich gemacht, daß der Ausschuß für Grundsatzfragen sich den Wünschen des Rechtspflegeausschusses entsprechend schon zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt entschlossen hatte, die Regelung der Einzelheiten von Festnahme und Festhaltung dem Abschnitt über die Rechtspflege zu überlassen. Aber der Absatz 2 des alten Artikels 3 hatte damals in Abweichung vom Herrenchiemseer Entwurf im Interesse der Uebersichtlichkeit und des leichteren Verständnisses nur eine ganz kurze Fassung erhalten, durch die jede willkürliche Festnahme, Verhaftung oder Festhaltung ausgeschlossen wurde. Und ein Vorschlag des Redaktionsausschusses, statt dessen zu bestimmen, daß die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden dürfe, war wiederholt abgelehnt worden. Denn nach der Auffassung der Mehrheit hätte eine solche Bestimmung zwar der Willkür von Verwaltung und Rechtsprechung, nicht aber der oft viel gefährlicheren des Gesetzgebers Schranken gesetzt. Der Gleichheitssatz gewährt nämlich keinen ausreichenden Schutz gegen solche Willkür, hindert er doch den Gesetzgeber nicht, in einer für alle gleichen Regelung das Recht zur Festnahme usw. in einer sachlich nicht gerechtfertigten Weise zu regeln. Bei der Uebernahme in den Artikel 104 ist in Abs. 1 in der Fassung der vierten Lesung des Hauptausschusses diese Vorschrift aber doch wieder in der vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen Fassung erschienen und so Gesetz geworden. Dabei ist allerdings nicht verkannt worden, daß die vorangeführten Bedenken berechtigt sind. Man hat aber gemeint, daß sie auch der jetzigen Fassung gegenüber nicht durchschlügen, wenn man sie richtig in ihrer Verbindung mit anderen Vorschriften des Grundgesetzes sehe.
Satz 3 des Absatzes 2 des Artikels 3 nimmt den Grundsatz des sogenannten Vorbehaltes des Gesetzes in das Grundgesetz auf, d. h. soweit das Grundgesetz nicht selbst Eingriffe in die von ihm gewährleisteten Freiheiten zuläßt, bleibt es allein dem Gesetz in dem vom Grundgesetz vorgesehenen Umfange vorbehalten, für derartige Eingriffe eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Eine diesem Absatz in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 1. Dezember in Anlehnung an eine Vorschrift des Entwurfes der Menschenrechte der Vereinten Nationen angefügte Bestimmung, welche das Recht auf Nahrung usw. gewährleisten sollte und folgenden Wortlaut hatte:
„Keinesfalls darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden“,
ist im Hauptausschuß wieder gestrichen worden. Es hat bei der Mehrheit keinen Anklang gefunden, als in den Verhandlungen nachdrücklichst betont wurde, daß derartige Eingriffe im besonderen Maße den Unwillen der Bevölkerung erregt haben und daher eine grundrechtliche Sicherung hier besonders erwünscht sei. Unter Hinweis auf den demnächstigen Wegfall der zur Zeit noch bestehenden Bewirtschaftung, für deren Dauer diese Vorschrift allein von Bedeutung sei, wurde diese Vorschrift zunächst in die Uebergangsvorschriften verwiesen und ist dann in der vierten Lesung im Hauptausschuß gefallen.
Ein Antrag der Deutschen Partei, an dieser Stelle einen neuen Artikel einzuschalten, der jedem Menschen ein Recht auf seine Heimat gewährleistet, ist im Hauptausschuß abgelehnt worden. Er verfiel der Ablehnung, weil der darin enthaltene Rechtsanspruch zu einem Teile nach außen gerichtet ist und daher nicht in den Grundrechtskatalog eines einzelnen Staates paßt. Vielmehr würde er in die Menschenrechte der Vereinten Nationen gehören. Zudem hätte ein solches Grundrecht wegen der Unmöglichkeit, den darin enthaltenen Rechtsanspruch ohne eine weitere Regelung im Staatsvertrag oder Gesetz zu verwirklichen, dem Grundsatz des Artikels 1 Abs. 3 widersprochen. So weit schließlich das Recht auf eine Heimat nach innen gerichtet ist, wurde der Forderung auf seine Aufnähme in die Grundrechte – ganz abgesehen von der Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Rechtsinhaltes dieses Begriffes – mit Recht entgegengehalten, daß der Schutz der damit berührten Interessen schon durch andere Grundrechtsartikel, wie z. B. die Bestimmungen über die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung gedeckt seien.
In Absatz 1 des Gleichheitsartikels (Artikel 3) sind im Hauptausschuß in dritter Lesung Satz 2 und 3 leider gestrichen worden. Diese im Ausschuß für Grundsatzfragen erst in der Sitzung vom 30. November eingefügten Sätze
„Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden“,
klärten eindeutig die unter der Weimarer Verfassung stark umstrittene Frage, ob der Gleichheitssatz auch den Gesetzgeber binde. Jede Gefahr, daß auf Grund der Bestimmung des Halbsatzes 2 von Satz 1 dieses Zusatzes eine Diskriminierung etwa aus rassischen Gründen erfolgen konnte, war durch die Fassung des Satzes 2 verhindert. Denn es war in Anlehnung an eine nordamerikanische Praxis dort ausdrücklich festgestellt, daß das in den Grundrechten verkörperte Mindestmaß der jedem Menschen und jedem Deutschen zustehenden Rechte (nach dem Rechte der U. S. A. der „minimum standard of free society“) unter allen Umständen garantiert bleiben müsse. Zudem war eine Diskriminierung schon wegen Absatz 3 ausgeschlossen. Wenn im Hauptausschuß trotzdem die beiden Sätze gestrichen wurden, so kann das nur auf ein Mißverständnis zurückzuführen sein. Die Auslegung des Artikels wird allerdings deshalb kaum von diesen Grundsätzen abzuweichen brauchen.
Absatz 2 hat seine jetzige Gestalt im Hauptausschuß erst nach sehr ausführlichen und erregten Debatten gewonnen. Er wiederholt eigentlich nur das noch einmal, was in Absatz 3 durch den bereits früher eingefügten Passus gesagt war, daß niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Durch die neue, auf einem am 3. Dezember eingebrachten Antrag der SPD zurückzuführende Fassung hat zum Ausdruck gebracht werden sollen, daß in Zukunft die Gleichberechtigung der Frau nicht nur in staatsbürgerlicher, sondern auch in zivilrechtlicher Hinsicht gesichert sein soll. Zur Begründung ist dabei ausgeführt worden, daß die Frau „auf allen Rechtsgebieten die gleichen Rechte wie der Mann haben müsse; denn sie habe in den Kriegsjahren den Mann in der Arbeitsstelle ersetzt“. Die von der CDU/ CSU vorgeschlagene Fassung:
„Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung hat dieses auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen“,
ist mit der Begründung abgelehnt worden, daß die Gleichberechtigung der Frau schon vom Inkrafttreten der Verfassung ab zwingendes, bindendes Recht sein müsse. Gleichwohl hat man sich dann aber doch der Einsicht nicht verschließen können, daß eine sofortige Außerkraftsetzung, aller dem beschlossenen Satz widersprechenden Vorschriften eine nicht wieder gutzumachende Verwirrung stiften würde. Deshalb ist in die Uebergangsvorschriften als Artikel 117 Abs. 1 die Bestimmung aufgenommen worden, daß das dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehende Recht bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung in Kraft bleiben solle, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953. Die so entstandene Fassung des Artikels 3 überläßt dem Gesetzgeber allerdings z. B. in gewissen Fragen des Eherechts wie der Namensführung, der Entscheidung über den gemeinschaftlichen Wohnsitz oder über die Art der Erziehung und Ausbildung der Kinder die Lösung einiger Zweifelsfragen, ohne daß aus den Diskussionen nur der geringste Anhaltspunkt dafür zu entnehmen wäre, wie der aufgestellte Grundsatz auf diesen Gebieten verwirklicht werden kann. Zu der in den Beratungen immer wieder aufgetauchten Zweifelsfrage, ob die in Artikel 3 gewählte Fassung für die Frau auch die Innehaltung des Satzes:
„Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit“
verbürgt, ist in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 1. Dezember, wie in der des Hauptausschusses vom 18. Januar, protokollarisch festgelegt worden, daß diese Frage zu bejahen ist.
In Absatz 3 sind in der zweiten Lesung im Ausschuß für Grundsatzfragen in der Sitzung vom 30. November die Worte: „seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft“ eingefügt worden. Damit haben die Rechte der Minderheiten und der Flüchtlinge und Vertriebenen gesichert werden sollen.
In Artikel 4 war an Stelle der kurzen Fassung des Herrenchiemseer Entwurfs ein Text gewählt worden, der besser erkennen ließ, welche Rechte im einzelnen mit dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet werden sollen: Neben diesen beiden Freiheiten ist geschütztes Grundrecht auch die Bekenntnisfreiheit. Zugleich ist – ein Ausdruck des Geistes der Toleranz, welcher diese Verfassung kennzeichnet – klargestellt, daß unter diesem Schutz in gleicher Weise das religiöse wie das weltanschauliche Bekenntnis stehen soll. Im übrigen hatte sich der Entwurf inhaltlich weitgehend an die Bestimmungen der Weimarer Verfassung angeschlossen. Nur bei der Gewährleistung der ungestörten Religionsübung wurde auf den Nachsatz der Weimarer Verfassung verzichtet, der dieses Recht unter den Vorbehalt der allgemeinen Staatsgesetze stellt. Auch zeigte die noch in der dritten Lesung im Hauptausschuß beibehaltene Bestimmung des Absatzes 5 über das Verbot jeden staatlichen Zwanges zur Teilnahme an kirchlichen Handlungen usw. deutlich das Gesicht der Zeit, indem in Abweichung von der Weimarer Verfassung des weiteren verboten wurde, irgend jemanden an einer solchen Teilnahme zu hindern. Die Absätze 3 und 4 sind dann aber in der vierten Lesung im Hauptausschuß gestrichen und dafür ist in Artikel 140, der eine Reihe der Vorschriften der Weimarer Verfassung über das VerhäItnis von Staat und Kirche zum Bestandteil des Grundgesetzes macht, Artikel 136 Weimarer Verfassung neu aufgenommen worden, der in Abs. 4 und 3 inhaltlich übereinstimmende Vorschriften enthält. Weil bereits in dem ebenfalls dort angeführten Artikel 137 Weimarer Verfassung enthalten, ist ferner in vierter Lesung im Hauptausschuß das im Schlußsatz des Absatzes 1 enthaltene Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gestrichen worden.
Absatz 3 ist auf einen Antrag der SPD zurückzuführen. Das hier gewährte Recht auf Kriegsdienstverweigerung bedarf eingehender gesetzlicher Regelung, wenn es von unlauteren Elementen nicht zum Nachteil der Gesamtheit ausgenutzt werden soll. Entgegen den sonst angewandten Prinzipien ist daher hier nur ein Grundsatz aufgestellt, die Regelung im einzelnen aber einem Bundesgesetz überlassen. Der Grundsatz kann also erst mit Erlaß dieses Gesetzes wirksam werden.
Artikel 5 versucht die Freiheit der Meinungsäußerung, zu der die Freiheit der Meinungsverbreitung hinzugetreten ist, bis an die Grenze des im Interesse der Gesamtheit Möglichen auszudehnen und geht damit über die in der Weimarer Verfassung vorgesehenen Vorschriften hinaus. Insbesondere ist in deutlicher Spitze gegen die Zustände in der nationalsozialistischen Zeit auch eine Bestimmung eingefügt, welche die Freiheit gewährleistet, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Noch in der Fassung dritter Lesung im Hauptausschuß waren dabei als Beispiele der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen angeführt. In der Sitzung des Grundsatzausschusses vom 11. Januar ist dazu ausdrücklich festgestellt worden, daß diese Vorschrift das Recht zur Erhebung von Rundfunkgebühren oder von Bibliotheksgebühren nicht beeinträchtigen soll.
Bei der Gestaltung der Bestimmungen über die Pressefreiheit sind Erfahrungen, die jüngst bei einer Verfassungsreform in der Schweiz gemacht wurden, von starkem Einfluß gewesen. In der vierten Lesung im Hauptausschuß ist aber die ursprünglich auf sechs Absätze angewachsene Fassung des Artikels auf zwei noch dazu stark komprimierte Artikel gekürzt worden. Zweck dieser Maßnahme hat allerdings nicht eine wesentliche Aenderung des materiellen Inhalts sein sollen. Immerhin ist einiges gefallen, was die Auslegung des Artikels nicht unwesentlich erleichtert hätte. Bei dieser Sachlage wird sich aber auf manche der alten Formulierungen ohne Bedenken zurückgreifen lassen. Erhalten geblieben ist die hier erstmalig vorgenommene Anerkennung der Freiheit von Rundfunk und Film zur Berichterstattung. Der für Presse, Rundfunk und Film die Pflicht zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung statuierende Absatz 4, in dem einmal der für alle Grundrechte geltende Gedanke der Pflichtgebundenheit zum Ausdruck gebracht war, ist andererseits gefallen. Eine ursprünglich in dem Artikel enthaltene Klausel über die Treuepflicht gegenüber der Verfassung war schon in einer Sitzung des Grundsatzausschusses vom 24. November gestrichen worden. Man hatte wohl nicht zu unrecht befürchtet, daß aus einer solchen Klausel alle möglichen mit einer gesunden Pressefreiheit nicht zu vereinbarenden Eingriffsrechte hergeleitet werden würden. Statt dessen ist durch Artikel 18 Verwirkung der Pressefreiheit vorgesehen, wenn dieses Grundrecht zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht wird. Die Eingriffsmöglichkeiten für Gesetzgebung und Verwaltung waren gegenüber der Weimarer Verfassung noch weiter eingeschränkt worden. Die vierte Lesung im Hauptausschuß hat aber den jetzigen Absatz 2 wieder mehr der Weimarer Verfassung angeglichen. Insbesondere ist der Satz gefallen, daß bei einem Mißbrauch der Rechte durch Presse, Rundfunk und Film nur auf Grund gesetzlicher Regelung und in deren Rahmen eingeschritten werden darf. Jedoch sollten dadurch für die Zukunft besondere gesetzliche Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film nicht ausgeschlossen werden. Die nach der alten Fassung des Abs. 3 mögliche Zensur von Filmen – eine Zensurfreiheit war dort nur für Presse, Theater, Rundfunk und Vorträge vorgesehen – wird auch in Zukunft auf Grund Gesetzes möglich sein. Der jetzige Absatz 2 enthält in den „Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ die dazu notwendige Ermächtigung.
Der Absatz 6 der alten Fassung, in dem analog den Bestimmungen über die religiöse Ueberzeugung vorgesehen war, daß niemand verpflichtet sein sollte, seine politische Ueberzeugung bekannt zu geben, ist ebenfalls in der vierten Lesung im Hauptausschuß gefallen.
Artikel 5 Absatz III, bis zur vierten Lesung Artikel 7, über die Freiheit von Kunst und Wissenschaft und ihrer Lehre ist gegenüber Weimar durch Einfügung der Freiheit der Forschung erweitert. Satz 2 ist auf einen schon zur zweiten Lesung im Hauptausschuß gestellten, dort aber am 18. Januar abgelehnten Vorschlag des Redaktionsausschusses erst in dritter Lesung im Hauptausschuß eingefügt worden. Dafür wurde Verwirkung bei Mißbrauch durch Artikel 18 vorgesehen. Die rechtliche Bedeutung des jetzigen Satzes 2 gegenüber diesem letzteren Artikel kann durchaus zweifelhaft sein. Aus den Debatten im Hauptausschuß und im Plenum ist jedenfalls zu dieser Frage nichts zu entnehmen.
Die beiden folgenden kulturellen Artikel rühren im wesentlichen aus Anträgen der CDU/CSU her.
Artikel 6 ist aber in der dritten Lesung im Hauptausschuß wesentlich umgestaltet worden. In seiner jetzigen Fassung ist Absatz 1 kaum mehr als eine Deklamation, bei der nicht recht zu übersehen ist, welche Wirkungen sie als unmittelbar geltendes Recht hat. In der letzten, vom Grundsatzausschuß am 11. Januar vorgeschlagenen, im Hauptausschuß aber abgelehnten Fassung lautete dieser Absatz:
„Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet die Grundlage der Familie. Ehe und Familie und die damit verbundenen Rechte und Pflichten stehen unter dem Schutz der Verfassung“.
Damit war in Anlehnung an die Regelung, die in Weimar für die Ehe getroffen war, klar zum Ausdruck gebracht, daß die Rechtsinstitute der Ehe und Familie unter verfassungsrechtlichem Schutz stehen sollten, d. h. in ihren für die abendländische Kulturwelt kennzeichnenden Grundzügen nur durch verfassungsänderndes Gesetz geändert werden können.
An diesem Grundgedanken hat auch die aus dem Redaktionsausschuß stammende jetzige Fassung nichts ändern wollen. Andererseits lassen die Verhandlungen im Hauptausschuß es aber offen, ob der Fassung des Redaktionsausschusses nicht die Absicht zu Grunde liegt, die in der Fassung des Grundsatzausschusses liegende Anerkennung der Ehe als der rechtmäßigen Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und als solcher der Grundlage der Familie zu umgehen.
Das Elternrecht war ursprünglich gemeinsam mit der Frage des Religionsunterrichtes in dem folgenden Artikel geregelt. Erst in dritter Lesung im Hauptausschuß ist es gemäß den Vorschlägen des interfraktionellen Fünferausschusses an der jetzigen Stelle eingeschaltet worden. Die Bestimmung, die den Charakter eines echten Grundrechts hat, versucht den schon in der Weimarer Verfassung ausgesprochenen Gedanken klarer zu gestalten und ergänzt ihn durch die Regelung des Absatzes 3. Beide Vorschriften wenden sich gegen die in der nationalsozialistischen Zeit immer starker geübte Praxis, die Kinder dem erzieherischen Einfloß der Eltern zu entziehen und an dessen Stelle die staatliche Erziehung treten zu lassen. Die Ietztere Bestimmung gewährt zugleich den nach den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart so notwendigen Schutz gegen die Verschleppung von Kindern. Weitergehende Anträge der CDU/CSU, der DP und des Zentrums zum Elternrecht, welche sichern wollten, daß die religiös-weltanschauliche Gestaltung der Schule dem religiös-weltanschaulichen Bekenntnis der Eltern entspricht, sind wiederholt abgelehnt worden. Mit ihnen war zunächst gefordert worden, daß bei der religiös-weltanschaulichen Gestaltung der öffentlichen Volksschulen der Wille der Erziehungsberechtigten zu berücksichtigen sei, (so der in der Sitzung des Hauptausschusses vom 18. Januar gestellte Antrag). Später ist unter wörtlicher Uebernahme eines in den Menschenrechten der Vereinten Nationen stehenden Satzes der aufzunehmenden Bestimmung folgende Fassung gegeben worden:
„Die Eltern haben das erste Recht, die Art der Schulerziehung zu bestimmen, die ihren Kindern zu gewähren ist.“
Aber die von der SPD und der FDP in gleicher Weise geteilte Befürchtung, daß dadurch der Staat verpflichtet werden könnte, auf Wunsch jeder beliebigen Minderheit Konfessionsschulen oder andere Schulen eines bestimmten Charakters einzurichten, und daß sich daraus für eine ordnungsmäßige Ausgestaltung des Schulwesens erhebliche Gefahren ergeben könnten, wie Befürchtungen für den Fortbestand der Simultanschulen in Ländern, in denen dieser Schultvp die Regel bildet, haben die Anträge nicht die notwendige Mehrheit finden lassen.
Die Bestimmungen über die Rechtsstellung des unehelichen Kindes schließen sich eng an die gleichen Bestimmungen von Weimar an. Ein die völlige Gleichstellung des unehelichen Kindes anstrebender Antrag der SPD:
„Das uneheliche Kind steht dem ehelichen gleich; es gilt mit seinem natürlichen Vater als verwandt“
ist im Hauptausschuß in erster und in zweiter Lesung am 7. Dezember 1948 und am 8. Januar 1919, wie in zweiter Lesung im Plenum am 6. Mai 1949 abgelehnt worden. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die sich aus Ehe und Familiengemeinschaft ergebenden Rechte nicht ohne weiteres auf ein uneheliches Kind übertragen werden könnten. Denn diesem Kinde fehle die Familie. Zudem werde in vielen Fällen der Vater auch nicht festgestellt werden können.
Artikel 7 wiederholt – zum Teil wörtlich – die in Weimar in den Schulartikeln niedergelegten Grundsätze. In Absatz 3 waren als Schulen, in denen der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach sein soll, bis zu einer in der vierten Lesung im Hauptausschuß vorgenommenen Aenderung die öffentlichen Volks-, Mittel- und Berufsschulen und die höheren Lehranstalten ausdrücklich aufgezählt und damit über den Anwendungsbereich eine Klarheit geschaffen, die in Weimar noch fehlte. Die jetzige Fassung faßt alle diese Schulen in einer Sammelbezeichnung zusammen.
Die Erteilung dieses Religionsunterrichtes zu regeln, ist mit Rücksicht auf die Zuständigkeit der Länder zur Schulgesetzgebung Sache dieser Länder.
Eine Ausnahme von dem Satz, daß der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, ist nur für die sogenannten bekenntnisfreien Schulen gemacht. Für den Begriff der bekenntnisfreien Schulen sollen dabei die unter Artikel 149 der Weimarer Verfassung entwickelten Grundsätze maßgeblich sein. Bekenntnisfreie und weltliche Schulen sind danach Schulen, die keine Bekenntnis- oder Simultanschulen sind, d. h. in denen der Schüler weder nach den religiösen und sittlichen Grundsätzen seines Bekenntnisses von Lehrern gleichen Bekenntnisses unterrichtet und erzogen wird, noch Unterricht und Erziehung allgemein christIich gebunden sind. Dieser Ausnahmevorbehalt zu Gunsten der weltlichen Schulen war zunächst nicht vorgesehen. Er ist erst aufgenommen worden, als in den Debatten der Ruf nach stärkerer Toleranz erhoben wurde. Inzwischen war aber in die Uebergangsvorschriften in Artikel 141 zu Gunsten Bremens eine Bestimmung aufgenommen worden, die alle von Artikel 7 Absatz 3 abweichenden landesrechtlichen Regelungen – bis zur vierten Lesung im Hauptausschuß hieß es: „landesgesetzliche Regelungen“ – aufrecht. erhält, soweit sie am 1. Januar 1949 bestanden. Da es sich bei den Bremer Schulen aber ihrem Charakter nach um weltliche Schulen handelt, kommt diesem Satz jetzt eine Bedeutung nicht mehr zu.
Eine sogenannte „geistliche Schulaufsicht“ anerkennt das Gesetz nicht. Sie wurde von allen Parteien abgelehnt. Unter diesen Umständen konnte eine noch in der Sitzung des Hauptausschusses vom 18. Januar als Vorlage verwendete Fassung, in der es hieß, der „Religionsunterricht werde nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt“, zu Mißverständnissen Anlaß geben und wurde daher durch die jetzige Fassung ersetzt. Das Recht der Kirchen zur visitatio wird aber durch sie nicht in Frage gestellt. Da es in Absatz 3 ausdrücklich heißt, daß der Religionsunterricht „in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden soll, ist den Kirchen ferner auch das Recht verblieben, zu fordern, daß der Religionsunterricht nur von Lehrpersonen erteilt wird, die im Besitze eines kirchlichen Auftrages, d. h. nach katholischem Kirchenrecht der missio canonica, nach evangelischem der vocatio sind.
Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) ist der gleichen Vorschrift der Weimarer Verfassung nachgebildet. Da Absatz 2 in der Weimarer Verfassung sich als unzureichend erwiesen hat, ein im Interesse der Allgemeinheit erforderliches Gesetz zum Schutze der Bannmeile um das Parlamentsgebäude dieser Bestimmung wegen nur als verfassungsänderndes Gesetz ergehen konnte, ist aber bei seiner Formulierung von Weimar abgewichen worden. Im übrigen enthielt dieser Absatz ursprünglich noch einen Satz 2, der für Versammlungen unter freiem Himmel bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Möglichkeit eines Verbotes vorsah. Nachdem diese Vorschrift In der dritten Lesung im Hauptausschuß auf Grund eines Vorschlages des interfraktionellen Fünferausschusses durch Einfügen der Worte „auf Grund eines Gesetzes“ entwertet worden war, – denn bis zum Erlaß des vorgesehenen Gesetzes war nunmehr ein Einschreiten auch unter den angeführten Voraussetzungen nicht mehr möglich – fiel sie dann in vierter Lesung im Hauptausschuß völlig. Soweit z.Zt. Nicht Gesetze in Kraft sind, die zum Einschreiten gegen Versammlungen unter freiem Himmel ermächtigen, besteht also bis zum Inkrafttreten des in Absatz 2 vorgesehenen Gesetzes, also für eine sicherlich nicht unerhebliche Zeitspanne, keine Möglichkeit, Versammlungen unter freiem Himmel auch bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, also selbst dann, wenn schwerste Schäden für das Gemeinwesen drohen, zu verbieten!
Artikel 9 über die Vereinigungsfreiheit hat über den Artikel 124 der Weimarer Verfassung hinausgehend in Absatz 3 auch die Koalitionsfreiheit geregelt. Seinerseits ist dieser Absatz weitgehend eine Nachbildung des in Art. 159 Weimarer Verfassung niedergelegten Gedankens. Die bei seiner Aufstellung beteiligten Ausschüsse waren sich wohl bewußt, daß damit ein Schritt in die Sozialordnung getan wurde. Man hat gleichwohl auf eine solche Regelung nicht verzichten wollen. Denn hier handelte es sich um eine weiteste Kreise des Volkes stark beschäftigende Frage, die zudem als ein Unterfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit aufgefaßt werden kann: In der am 11. Januar im Ausschuß für Grundsatzfragen angenommenen Fassung enthielt dieser Absatz noch einen Zusatz folgenden Wortlautes: „Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden“, um den sich in den Ausschüssen längere Debatten entwickelt haben. Er wurde von stärkeren Gruppen im Interesse einer freiheitlichen Gestaltung unseres Staatswesens für absolut notwendig gehalten, stieß aber von Anfang an bei den Gewerkschaften auf Widerspruch. Im Hauptausschuß ist er in zweiter Lesung am 19. Januar gestrichen worden. Bei den Debatten ist zum Ausdruck gekommen, daß ein gewisser „erlaubter“ Zwang nicht zu entbehren sei. In dem gleichen Artikel war zunächst in einem kurzen Schlußsatz auch das Streikrecht, und zwar im Rahmen der Gesetze anerkannt. Wunsch der Gewerkschaften war es, diese Anerkennung nur auf von den Gewerkschaften gestützte Streiks zu erstrecken. Da sich für eine solche Fassung des Absatzes aber keine Mehrheit finden ließ, wurde er dann auf Antrag der SPD gestrichen.
Artikel 10 über das Briefgeheimnis ist Artikel 117 Weimarer Verfassung nachgebildet. Das noch in den Vorlagen zur dritten Lesung im Hauptausschuß in Satz 2 enthaltene Verbot, Beschränkungen zu Zwecken der politischen Ueberwachung anzuordnen, ist in dieser Lesung gefallen.
Für die Freizügigkeit des Artikels 11 fehlte im Herrenchiemseer Entwurf eine Vorschrift. Trotz der durch die gegenwärtigen besonderen Umstände bedingten Unmöglichkeit, dieses Recht heute schon voll zu gewähren, war es aber allgemeine Ueberzeugung, daß auf seine Aufnahme nicht verzichtet werden dürfe. Denn damit wäre gegen die Auffassung weitester Kreise unseres Volkes verstoßen worden. Andererseits mußte zum Ausdruck gebracht werden, daß dieses Recht z. Zt. nur in sehr beschränktem Umfange gewährt werden kann. Das ist daher durch die Uebergangsvorschrift des Art. 117 Abs. II geschehen.
Absatz 2 steckte in seiner früheren Fassung, die auf einen Vorschlag des Redaktionsausschusses zurückging, mit dem dieser im Hauptausschuß gegen einen anderslautenden Antrag des Ausschusses für Grundsatzfragen Erfolg gehabt hatte, und die erst in vierter Lesung im Hauptausschuß durch die jetzige Fassung ersetzt wurde, den Rahmen der Ermächtigung für den Gesetzgeber zu eng. Den durch das Freizügigkeitsgesetz vorgesehenen Beschränkungen für Personen, die sich nicht selbst zu unterhalten vermögen, und für straffällig gewordene Personen wie den Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Stellung unter Polizeiaufsicht wäre mit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung die rechtliche Grundlage entzogen gewesen.
Im übrigen muß dieses Grundrecht in Zusammenhang mit Art. 13 gesehen werden! Als stillschweigende Voraussetzung für das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnung zu nehmen, wird, wie in § 1 Abs. 1 Ziff. 1 des Freizügigkeitsgesetzes ausdrücklich vorgesehen ist, anzusehen sein, daß der Betreffende imstande ist, sich an dem betreffenden Ort eine eigene Wohnung und ein Unterkommen zu verschaffen.
Die Aufnahme eines Grundrechts auf Auswanderungsfreiheit ist vom Ausschuß für Grundsatzfragen bereits in seiner Sitzung vom 29. September abgelehnt worden. Teils wurde angesichts der sozialen Lage des heutigen Deutschlands, der Dezimierung der Altersschichten, die erfahrungsgemäß die Auswanderer stellen, eine besondere Betonung der Freiheit zum Auswandern als gefährlich für den Bestand des Staates angesehen, teils wurde es für unzweckmäßig erachtet, diejenigen, die sich der heutigen deutschen Schicksalsgemeinschaft entziehen wollen, noch dazu anzureizen. Das Recht, auszuwandern, solle dem Einzelnen dadurch aber keineswegs genommen werden. Dieser Wille des Gesetzgebers erschien auch durch die Vorschrift des Art. 73 Ziff. 3 hinreichend klargestellt, die dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung für die Ein- und Auswanderung zuerkennt.
Artikel 12 (Freiheit der Berufswahl usw.) stellt gegenüber der Weimarer Verfassung eine Neuerung dar. Abs. 1 schließt nicht aus, daß bei Eintritt in ein besonderes Gewaltverhältnis etwa bei Eintritt in den Vorbereitungsdienst bei einer Behörde die Wahl der Ausbildungsstätte bei der Behörde liegt. Zu den herkömmlichen allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspfiichten des Abs. 2 sollen nach mehrfach in den Ausschüssen abgegebenen Erklärungen im wesentlichen die gemeindlichen Hand- und Spanndienste, die Straßenreinigungspflicht, die Pflicht zur Deichhilfe, der Feuerwehrdienst usw. gehören.
Bei Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) liegt eine wesentliche Neuerung gegenüber Weimar darin, daß der Akzentverschiebung entsprechend, die im Volke in der Wertung der Wohnung als Freistätte gegenüber der staatlichen Gewalt und als Heim eingetreten ist, der Schutz als Heim stärker herausgestellt wurde. Ein am 11. Januar im Ausschuß für Grundsatzfragen beschlossener Abänderungsantrag zu Abs. 1, der diese Akzentverschiebung deutlicher zum Ausdruck bringen wollte, ist allerdings im Hauptausschuß gescheitert. Sie wird aber auch ohne diese Aenderung in Inhalt und Umfang des Abs. 3 deutlich. Er unterscheidet zwischen den Eingriffen und Beschränkungen zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, die im öffentlichen Interesse die Verwaltungsbehörden der Natur der Sache nach ohne besondere gesetzliche Ermächtigung vornehmen können müssen und den nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung zulässigen Eingriffen und Beschränkungen, die auf einen möglichst engen Kreis von Fällen beschränkt sind.
Artikel 14 über die Gewährleistung des Eigentums folgt zwar in den Grundgedanken den anerkannten Grundsätzen des Art. 153 Weimarer Verfassung, geht aber in den Einzelheiten seine eigenen Wege. Wenn das geschätzte Gut auch nicht unmittelbar zu den menschlichen Freiheitsrechten zu zählen ist, und daher nach den den Abschnitt I beherrschenden Grundsätzen nicht ganz in den Aufbau paßt, so kommt den Sätzen dieses Artikels doch eine so große Bedeutung für den wirksamen Freiheitsschutz zu, daß seine Aufnahme dadurch gerechtfertigt wurde. Für die Anführung des Erbrechts an dieser Stelle gab der Gedanke den Ausschlag, daß in seiner Gewährleistung auch ein Stück Eigentumsschutz liegt. Die soziale Bedeutung des Rechts trat dem gegenüber mehr in den Hintergrund. Bei aller Anerkennung der Bedeutsamkeit des Eigentums für den Schutz der menschlichen Freiheit ist man sich aber von Anfang an auch der sozialen Bindungen allen Eigentums bewußt gewesen. Wenn dieser Gedanke nicht noch stärker zum Ausdruck gekommen ist, so hat das nur an den Mängeln der vorgeschlagenen Formulierungen gelegen, die das in Worte fassen wollten. So mußte z. B. in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 7. Oktober ein Vorschlag des Redaktionsausschusses abgelehnt werden, der den Eigentumsbegriff nur auf „das der persönlichen Lebenshaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eigentum“ erstreckt sehen wollte. Für den Kunstförderer und den Inhaber jedes industriellen Betriebes, der über das Kleinhandwerk hinausgeht z.B., hätte diese Formulierung den billigerweise zu stellenden Anforderungen nicht genügt. Umsomehr ergab sich die Notwendigkeit, im wesentlichen an der Formulierung festzuhalten, die in Weimar für den Gedanken der mit dem Eigentum verbundenen Pflichten gefunden wurde. Um die unmittelbare rechtliche Bedeutung dieser Bestimmung klarzustellen, war sie ursprünglich noch durch den Satz des Abs. 3 ergänzt worden, nach dem wer dieses so in seinem Umfange und seinen Schranken nach und in seiner Pflichtgebundenheit gekennzeichnete Eigentum verletzt, sich auf den Schutz dieses Artikels nicht berufen kann. Dieser Absatz ist aber in vierter Lesung im Hauptausschuß gefallen. Dabei hat die allerdings nur zu einem Teil richtige Annahme eine Rolle gespielt, daß dieser Absatz durch die Verwirkungsklausel des Art. 18 gedeckt werde.
In Anlehnung an die Weimarer Verfassung war Satz 3 des Abs. 3 in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 7. Oktober durch Voranstellung des Halbsatzes „soweit Entschädigung gesetzlich vorgesehen wird“, ergänzt worden. Dieser Zusatz ist aber in zweiter Lesung in der Sitzung vom 30. November wieder gestrichen worden. Auch der Gesetzgeber kann also in Zukunft eine entschädigungslose Enteignung nicht mehr anordnen. Dafür ist auf der anderen Seite aus der Weimarer Verfassung der Begriff der „angemessenen Entschädigung“, der bei der Auslegung zu vielen Zweifelsfragen Anlaß gegeben hat, nicht mit übernommen. Die nunmehr gewählte Formulierung „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ läßt, wie es die Gerechtigkeit fordert, freien Spielraum von einer bloß nominellen bis zur vollen Entschädigung. Erst in vierter Lesung im Hauptausschuß angefügt ist der letzte Satz des Artikels, der in der Gewährung des Rechtsweges vor den ordentlichen Gerichten eine, weitere bedeutsame rechtliche Sicherung bringt.
Die Sozialisierung ist mit Rücksicht auf die große Bedeutung, die weite Kreise des Deutschen Volkes dieser Frage zumessen, obwohl damit in die Sozialordnung übergegriffen wird, als ein besonders wichtiger Unterfall der Enteignung in Artikel 15 behandelt. Hier sind die Gegenstände umgrenzt, die vergesellschaftet werden können, ist ein Vorbehalt für den Gesetzgeber ausgesprochen und die Entschädigungspflicht in gleicher Weise wie in dem Eigentumsartikel geregelt.
Artikel 16 Abs. l will der in nationalsozialistischer Zeit und heute noch in anderen autoritären Staaten geübten Praxis der Ausbürgerung ein für allemal ein Ende setzen, weil sie eine tief in die menschliche Freiheit eingreifende Willkür darstellt und schweres Unrecht schafft. Er übernimmt damit einen Grundsatz, der in den Menschenrechten der Vereinten Nationen ebenfalls anerkannt wird. Zugleich ist die Vorschrift im Einklang mit neueren Bestimmungen im Völkerrecht bemüht, das Entstehen neuer Fälle von Staatenlosigkeit zu verhüten. In Satz 1 ist in der Sitzung des Hauptausschusses vom 19. Januar trotz des Hinweises, daß dadurch die Frage auftauchen werde, wie Satz 2 mit Satz 1 zu vereinbaren sei, das Wort „willkürlich“ gestrichen worden. Sinn der Vorschrift bleibt gleichwohl, daß die Staatsangehörigkeit zwar nicht aus politischen Gründen aberkannt werden darf, daß aber durch Gesetz vorgesehen werden kann, daß in bestimmten anderen Fällen der Verlust der Staatsangehörigkeit ipso jure oder kraft Ausspruches zuständigen Behörde eintritt.
Satz 1 des Absatzes II des Artikels 16 (bisher Artikel 17) soll gewährleisten, daß im Verhältnis zur Ostzone weiter ausgeliefert werden kann. Zu Satz 2 des gleichen Absatzes sind wiederholt (so im Grundsatzausschuß am 12. September, im Hauptausschuß am 19. Januar) mit Rücksicht auf die Notlage, in der sich Deutschland gegenwärtig befindet, Anträge gestellt worden, das Asylrecht nur Personen oder gar nur Deutschen zu gewähren, die wegen ihres Eintretens für eine freiheitliche Staatsordnung ein anderes Land verlassen mußten. Sie sind aber alle der Ablehnung verfallen, weil derartige Beschränkungen eine Prüfung der Flüchtigen an der Grenze zur Folge haben müßten und dadurch das Asylrecht vollkommen entwertet würde.
Der in der vierten Lesung im Hauptausschuß gestrichene bisherige ArtikeI 18 (Wahlrecht, Wahlfreiheit usw.) richtete sich in seiner über Art. 125 Weimarer Verfassung hinausgehenden Formulierung gegen die den Einzelnen in seinen staatsbürgerlichen Rechten schwer beeinträchtigende Praxis der nationalsozialistischen Zeit. Abs. 2 traf Vorkehrungen gegen Entwicklungen zum Einparteiensystem und andere mit einer demokratischen Staatsgestaltung nicht zu vereinbarende Auswüchse autoritärer Staatsbildung der Vergangenheit und Gegenwart. Er fiel, weil es für den Bund für zweckmäßiger erachtet wurde, diese Fragen im Bundeswahlgesetz zu regeln, und weil man für die Länder der Ansicht war, daß sie bereits überall geregelt seien.
Aus dem bisherigen ArtikeI 19 war das bis dahin in Absatz 1 enthaltene Recht auf das öffentliche Amt in der dritten Lesung im Hauptausschuß nach Art. 33 Abs. II in den Abschnitt „Bund und Länder“ übernommen worden. Satz 1 des Art. 19 setzte in seinem zweiten Teil dieses Recht aber voraus, das seinem Charakter nach auch unter die in diesem Teil des Abschn. 1 geschützten staatsbürgerlichen Rechte gehören würde. Nunmehr ist in der vierten Lesung, im Hauptausschuß auch dieser Artikel mit der gleichen Begründung wie bei Art. 18 gestrichen worden.
Artikel 17 über das Petitionsrecht ist in den Diskussionen gelegentlich als antiquiert bezeichnet worden. Auf Vorschlag des Redaktionsausschusses ist daher im Ausschuß für Grundsatzfragen am 30. November der Antrag auf Streichung gestellt worden, der aber abgelehnt wurde. Dabei ist auf die Bedeutung der in I Art. 17 ausgesprochenen Verbürgerung des Rechts „sich an die zuständigen Stellen zu wenden“, hingewiesen worden. Damit soll die Möglichkeit zur Ausübung des Petitionsrecht auch in einem weiteren internationalen Rahmen offengehalten werden.
Artikel 18 über die Verwirkung ist gegenüber dem Herrenchiemseer Entwurf durch Vermehrung der Zahl der zu verwirkenden Grundrechte erweitert. Satz 2 war in der vom Ausschuß für Grundsatzfragen vorgeschlagenen Fassung nicht enthalten und ist erst im Hauptausschuß in der Sitzung vom 19. Januar angefügt. Zur Begründung wurde dabei ausgeführt, daß sonst jeder vogelfrei sei und eine Bestimmung ohne diesen Zusatz auch dem Polizeistaat angehöre. Die unterlegene Minderheit andererseits war der Auffassung, daß ein genügender Schutz für den Einzelnen schon dadurch gegeben sei, daß kraft der für die Verwaltungsgerichtsbarkeit jetzt allgemein in Geltung befindlichen und durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ebenfalls garantierten Generalklausel ein jeder gegen einen auf Art. 18 gestützten Eingriff einer Verwaltungsbehörde mit der Klage vorgehen könne. Sie wollte daher nur zur Ergänzung eine Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht als letztes Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Verwaltungsgerichte vorsehen. Vor allem leitete sie aber der Gedanke, daß bei einem Mißbrauch der Grundrechte zum Schutze des Staates ein schnelles Einschreiten erforderlich sein werde. Sie befürchtete, daß durch Hinzufügen dieses Satzes der mit dem vorangehenden Satz erstrebte Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung praktisch völlig in Frage gestellt werden würde. Der Zusatz erschien ihr daher als eine Ueberspannung des Rechtsstaatsgedankens.
Artikel 19 Abs. 1 ist erst in zweiter Lesung im Hauptausschuß auf einen Vorschlag des Redaktionsausschusses eingefügt und später noch redaktionell umgestaltet worden. Die Mehrheit hat damit Verfassungsdurchbrechungen verhindern und die Grundrechte bis zum höchst möglichen Maß sichern wollen. Die unterlegene Minderheit hat insbesondere in Satz 2 eine durch die Sachlage nicht unbedingt gebotene Erschwerung gesehen, die den Bundestag vor eine in manchen Fällen unlösbare Aufgabe stellen, die Gültigkeit der Gesetze unnötig in Frage stellen und wahrscheinlich zu unnötiger vermehrter Gesetzgebungsarbeit zwingen werde.
Abs. 3 klärt eine unter der Weimarer Verfassung umstrittene Frage. In der ursprünglichen Fassung waren die Grundrechte, die auch für juristische Personen gewährleistet sein sollen, einzeln aufgezählt, um die Klarheit noch zu erhöhen. Bei der Aufzählung ergaben sich aber Schwierigkeiten. Deshalb wurde in dritter Lesung die jetzige Fassung gewählt.
Absatz 4, der die Menschen- und Freiheitsrechte in Form einer Generalklausel sichernde Satz, ist in dritter Lesung im Hauptausschuß aus dem Art. 2 an diese Stelle übernommen worden. Damit sollte deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, daß dieser Satz für alle in den vorhergehenden Artikeln aufgeführten Rechte einen gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet.
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