Die Dritte Gewalt als Beute der Exekutive

Aus dem Text:

„…. Es hat nie einen realistischen Versuch gegeben, die Justiz entsprechend der mit der Gewaltenteilungslehre naturgemäß verbundenen Vorstellung eines Nebeneinanders der Staatsgewalten auf eigene Füße zu stellen. Sie ist organisatorisch stets von der Exekutive abhängig und ihr über den Justizminister, seinerseits Teil der Exekutive, verbunden geblieben.  [……]

 

Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg
Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts

Dr. Peter Macke

(Über den Autor)

(1999) Mit Genehmigung des Autors und des Carl Heymanns Verlages hier veröffentlichter Auszug aus dem in der Deutschen Richterzeitung (Organ des Deutschen Richterbundes) 1999, Seite 481 ff. abgedruckten Aufsatz

[……]

„Schon in der Deklaration der „Grundrechte des deutschen Volkes“ der Paulskirchenversammlung von 1848 heißt es: „Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig sein.“ Indes: Sonderlich ernst genommen worden ist die Gewaltenteilung in Deutschland im Verhältnis zur sog. Dritten, der rechtsprechenden Gewalt noch nie. Das Grundgesetz setzt auch in dieser Hinsicht – darauf wird zurückzukommen sein – eine gesonderte Staatsgewalt voraus. Aber wen schert das schon?….

……Die Geschichte der Dritten Gewalt in Deutschland ist eine Geschichte der Demütigungen von Anfang an. Man kann auch sagen: Eine Geschichte der Dritten Gewalt als eigenständige Staatsgewalt gibt es in Deutschland fast gar nicht. Es hat nie einen realistischen Versuch gegeben, die Justiz entsprechend der mit der Gewaltenteilungslehre naturgemäß verbundenen Vorstellung eines Nebeneinanders der Staatsgewalten auf eigene Füße zu stellen. Sie ist organisatorisch stets von der Exekutive abhängig und ihr über den Justizminister, seinerseits Teil der Exekutive, verbunden geblieben. Die Rolle des Justizministers ist dabei nie wirklich hinterfragt worden. Gemessen am Gewaltenteilungsgrundsatz ist er – in dem hier erörterten Zusammenhang und unbeschadet sonstiger Aufgaben (Betreuung der Gesetzgebungsarbeit, Verwaltung von Gefängnissen etc.) – strenggenommen eine Absurdität. Man stelle sich den Sturm der Entrüstung vor, der sich – berechtigterweise – erheben würde, wenn jemand auf den Gedanken käme, die Angelegenheiten der Legislative, des Parlaments, unter dem Dach der Regierung, ihren Mehrheitsentscheidungen ausgesetzt und zur Regierungsloyalität verpflichtet, durch ein „Parlamentsministerium“ wahrnehmen zu lassen. Ohne Frage regelt das Parlament seine Angelegenheiten selbst und wahrt seine Belange aus sich selbst heraus in eigener Zuständigkeit. Alles andere würde, völlig zu Recht, als Kuratel der Exekutive über die Legislative empfunden. Bei der Dritten Gewalt aber ist die Anbindung an die Regierung eine kaum jemals problematisierte Selbstverständlichkeit. Die Justiz ist ein Ressort der Regierung praktisch wie jedes andere und der Justizminister als Mitglied des Kabinetts Kabinettzwängen und Kabinettdisziplin unterworfen. Wenn er sich erkühnt, spezifische Justizbelange geltend zu machen, läuft er Gefahr, nach der Devise „Extrawürste gibt´s nicht“ überstimmt zu werden……

……Aber eigentlich müßte die Dritte Gewalt darauf drängen, ihre Interessen – ähnlich wie das Parlament – aus sich selbst heraus und außerhalb der Exekutive zu vertreten. Konsequenterweise müßte sie ein eigenes Etatrecht reklamieren, das sie in den Stand setzen würde, sich unmittelbar an den Haushaltsgesetzgeber zu wenden, statt bereits im Justizministerium – das sich gelegentlich wie der verlängerte Arm des Finanzministeriums aufführt – oder spätestens im Kabinett zu scheitern….

……Die Justizminister fühlen sich nicht vorrangig als Mandatare der Dritten Gewalt in der Regierung, sondern mindestens gleichermaßen als Mitglieder der Regierung und gehalten, die Vorstellungen der Regierung auch in den Dienstbereich der Gerichte – unter Aussparung der Rechtsfindung im Einzelfall – und Staatsanwaltschaften hinein umzusetzen……

……Die Anbindung an den Regierungsapparat hat zu einer weitgehenden Vereinnahmung der Dritten Gewalt durch die Exekutive geführt. Der Sinn für Gewaltenteilung ist in der Exekutive jedenfalls in bezug auf die Judikative deutlich unterentwickelt. Eigenheiten der Justiz werden im wesentlichen nur dort toleriert, wo sie sich unabweisbar aus der richterlichen Unabhängigkeit ableiten. Ansonsten wird die Vorstellung von einer organisatorischen Eigenständigkeit der Justiz eher als Zopf empfunden, den es abzuschneiden gelte, und besteht die Tendenz, die Justiz in ihren äußeren Bedingungen und Erscheinungsformen der allgemeinen öffentlichen Verwaltung soweit als möglich anzugleichen. Schlimmer noch: Die Dritte Gewalt ist mehr und mehr zur Beute der Exekutive geworden. Auch die Legislative bleibt vor dem Übermut der Exekutive nicht verschont. Das besserwisserische Auftreten der Ministerien gegenüber dem Parlament und seinen Ausschüssen einerseits und die Bürokratisierung unserer Parlamente andererseits sprechen da eine deutliche Sprache. Aber im Verhältnis zur Legislative bleibt wenigstens der Schein gewahrt und wird ihre Stellung als auch organisatorisch und nach außen hin eigenständige Staatsgewalt nicht in Frage gestellt. Die dritte Gewalt aber wird ganz offen den für die Exekutive geltenden Bedingungen unterworfen. Das beim Innenministerium ressortierende Beamtenrecht gilt – man stelle sich derartiges bei Abgeordneten vor! – entsprechend für die Richter. Das bietet etwa die Handhabe, Richter, die sich öffentlich äußern, allein schon deshalb, weil sie sich dabei als Richter zu erkennen geben, über § 39 DRiG (Stichwort: Vertrauen in die Unabhängigkeit) hinaus an das auf Beamte zugeschnittene Mäßigungsgebot zu erinnern und damit solche Wortmeldungen womöglich der Aufmerksamkeit zu entziehen: der „unauffällige Beamte“ als Leitbild auch für den Richter……

……Ein heikles Kapitel in dem Prozeß der Vereinnahmung der Dritten Gewalt durch die Exekutive ist die Rolle der Justizministerien. Es gibt Bundesländer, in denen sie den richterlichen Nachwuchs aussuchen, ohne die Gerichte auch nur zu beteiligen; wiederum ein im Lichte der Gewaltenteilung erstaunlicher Befund: Das ist so, als ob sich die Regierung die Parlamentsmitglieder aussuchte. In anderen Bundesländern werden bei herausgehobenen Richterämtern die Besetzungsempfehlungen aus der Gerichtsbarkeit von Beamten der Justizministerien durch Einbestellung der Bewerber noch einmal überprüft…..Auch sonst halten die Justizministerien das Heft fest in der Hand. In ihrer Doppelfunktion als Sachwalter der Dritten Gewalt einerseits und als Teil der Exekutive andererseits pflegen sie den letzteren Part mit der größeren Hingabe zu spielen. Gewiß gibt es Beispiele dafür, daß sich Justizminister konsequent und streitbar für die Judikative ins Zeug gelegt und in diesem Zusammenhang das rechte Wort zur rechten Zeit gefunden haben. Aber der Alltag in den Justizministerien ist Regierungsalltag, weit entrückt dem Gerichtsalltag. Die Gerichte werden gemeinhin nicht als innere Rechtfertigung der eigenen ministeriellen Existenz, sondern typischerweise als – so der verräterische Sprachgebrauch – „nachgeordneter Bereich“ empfunden. Ihrerseits fühlen sich die Gerichte von denJustizministerien weniger gestützt als reglementiert und bedrängt. Sie sehen sich einer Flut von Verwaltungsvorschriften, Erlassen, Zurechtweisungen, „Ersuchen“ und Berichtsaufträgen aus gesetzt. Der Ton ist nicht der zwischen Sachwalter und Mandant, sondern der zwischen Vorgesetztem und Untergebenen. Jedermann im Ministerium hält sich selbstredend für viel wichtiger als die Richter „im nachgeordneten Bereich“. Ob Abstimmungen mit den Gerichten in sie berührenden Fragen erfolgen, entscheidet sich nach der Interessenlage des Ministeriums. Was die Gerichte brauchen und was nicht, weiß das Ministerium ohnehin besser, als es die Gerichte wissen. Gleichzeitig gefällt man sich darin, die Richter und die Gerichte spüren zu lassen, daß sie unter ministerieller Beobachtung stehen. Erwartet wird strikte Gefolgschaft. Remonstrationen von seiten der Gerichte werden als Majestätsbeleidigung empfunden und hindern die Ministerien nicht daran zu tun, was sie wollen. Die Neigung zur Omnipotenz wird begünstigt durch eine – im Vergleich zu den Gerichten – großzügige Personalausstattung. Insofern sorgt das Justizministerium im Zweifel vorrangig für sich selbst. Ein etwaiger Personalengpaß im Ministerium wird flugs dadurch behoben, daß Personal der Gerichte und Staatsanwaltschaften, angeworben durch Inaussichtstellung von Laufbahnvorteilen, ans Ministerium abgeordnet wird. Bei gleichzeitiger Personalnot im Ministerium und an den Gerichten geht, keine Frage, das Ministerium vor. Andererseits werden nicht ganz selten herausgehobene Richterstellen zur Versorgung von Ministerialbeamten genutzt. Auch in dieser Hinsicht: die Justiz als Beute der Exekutive; Richterstellen als Honorierung von Wohlverhalten in der Exekutive. Personalbewegungen dieser Art werden nur dadurch abgemildert, daß manche der so in ein Richteramt Gelangten dann doch ihre richterliche Seele entdecken oder wiederentdecken; sie wissen Bescheid: Sie wissen, wie sehr die Dritte Gewalt in Gefahr ist, endgültig von der Exekutive vereinnahmt zu werden.

Ist die Dritte Gewalt noch zu retten? Die Zeichen stehen schlecht. Die Exekutive wird die Dritte Gewalt aus der babylonischen Gefangenschaft, in der sie sie hält, nicht von sich aus entlassen. Hilfe ist, wenn überhaupt, nur von der Politik zu erwarten. Daß es hierzu kommt, ist nicht sonderlich wahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen. Es besteht – bescheidener – Anlaß zur Hoffnung: Der schwächere Grund liegt darin, daß das Prinzip der Gewaltenteilung und damit auch einer aus der Exekutive herausgelösten Judikative – seit Montesquieu staatsrechtlicher Kulturstandard, spätestens seit der Paulskirchenverfassung, siehe eingangs, auch in Deutschland – dem Leitbild des Grundgesetzes entspricht. Die Gewaltenteilung ist in Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG als – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts „tragendes Organisationsprinzip“ (man beachte: Organisationsprinzip) verankert, indem dort von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung die Rede ist. Das Gewaltenteilungsprinzip ist damit gemäß Art. 79 Abs. 3 GG selbst der Grundgesetzänderung entzogen. In Art. 92 GG taucht der Topos „rechtsprechende Gewalt“ in eben dieser klassischen Formulierung auf. Hinter der Festlegung dieser Verfassungsnorm, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut sei, läßt sich gar, wenn man so will, die Vorstellung vermuten, daß nicht nur die Rechtsprechung im Einzelfall – für die sich das von selbst versteht-, sondern auch der organisatorische Rahmen, in dem Rechtsprechung stattfindet, den Richtern „anvertraut“ sein soll, was immer das in der Praxis bedeuten mag. Auch Art. 97 Abs. 1 GG – „Die Richter sind unabhängigig“ – atmet den Geist der Gewaltenteilung und belegt zugleich, eben weil die richterliche Unabhängigkeit gesondert gewährleistet wird, daß diese richterliche Unabhängigkeit das, was rechtsprechende Gewalt ausmacht, nicht etwa ausschöpft und in dieser Weise gewissermaßen vergeistigt. Es ist vielmehr so, daß eine von den übrigen Staatsgewalten losgelöste Dritte Gewalt den adäquaten äußeren Rahmen bildet, in dem sich die richterliche Unabhängigkeit entfaltet. Die Begriffe „rechtsprechende Gewalt“ und „richterliche Unabhängigkeit“ verhalten sich damit etwa so zueinander wie „gesetzgebende Gewalt“ und Gewissensfreiheit der Abgeordneten….

……Die Bürger vertrauen den Gerichten weit mehr als „den Politikern“ oder gar den Parteien. Umfragen zufolge liegt selbst bei der Jugend, also bei der nachrückenden Generation, das Vertrauen in die Gerichte immer noch bei 54 %, in die Regierung nur bei 31 %, in die Parteien bei ganzen 17 %. Die Menschen wollen nicht, daß eine Institution, der sie vertrauen, ihre Eigenständigkeit an die Exekutive verliert, von der sie über wiegend enttäuscht sind. In der allgemeinen Orientierungslosigkeit, die unsere Gesellschaft kennzeichnet, sind sie am ehesten bereit, das Recht als gemeinsame Klammer zu akzeptieren. Sie wollen, daß es gerecht zugeht. Dafür braucht man Gerichte. Die Menschen möchten sie nicht als Wurmfortsatz der allgemeinen staatlichen Verwaltung und mit der Exekutive vermengt sehen. Die richterliche Unabhängigkeit ist ihnen erst eingängig, wenn die Gerichte auch äußerlich und organisatorisch von der Exekutive geschieden sind und nicht mit ihr in einen Topf gerührt werden…..

……Die Verfassung selbst geht zwar, wie dargelegt, von der Judikative als eigenständiger Staatsgewalt aus, stellt aber, anders als in puncto richterliche Unabhängigkeit, kein Instrument zum Schutz der Eigenständigkeit der Dritten Gewalt zur Verfügung. Vielleicht sollte man daran denken, die Justiz, vertreten durch wen auch immer, in den Stand zu setzen, sich gegen Untergrabungen ihrer Eigenständigkeit vor Gericht zur Wehr zu setzen. Ob es so etwas war, das der Paulskirchenversammlung vorschwebte, als sie in die „Grundrechte des deutschen Volkes“ im Anschluß an die eingangs zitierte Forderung „Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig sein“ aufnahm: „Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden in den Einzelstaaten entscheidet ein durch Gesetz zu bestimmender Gerichtshof“? Wohl nein; damals ging´s um Terrainabgrenzung, nicht um Vereinnahmung. Nachdenken über Mechanismen zum Schutz der Eigenständigkeit der Justiz sollte man dennoch. Die beiden anderen Staatsgewalten, Parlament und Regierung, sind vor den Verfassungsgerichten organbeteiligungsfähig. Die Dritte Gewalt selbst ist, so scheint es, wehrlos und rechtlos.“

[……]

Dr. Peter Macke
Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg
Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts

Abitur 1959 in Krefeld, 1. juristisches Staatsexamen 1962 in Köln, 1963 Hilfsassistent an der Universität zu Köln, 2. juristisches Staatsexamen 1967 in Düsseldorf. 1967 Gerichtsassessor in Mönchengladbach, 1970 Landgerichtsrat in Mönchengladbach, 1977 Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, 1981 Wahl zum Richter am Bundesgerichtshof, 1991 Leiter des Aufbaustabes Oberlandesgericht im Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg, September 1993 Wahl zum Präsidenten des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, Dezember 1993 Ernennung zum Präsidenten des zu diesem Zeitpunkt errichteten Brandenburgischen Oberlandesgerichts.

1987 bis 1992 Vorsitzender des Vereins der Bundesrichter am Bundesgerichtshof und Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Richterbundes, 1993 Berufung in die Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, 1997 Wahl zum Präsidenten des Deutschen Verkehrsgerichtstages, Vorstandsmitglied der Deutschen Akademie für Verkehrswissenschaft, der Deutschen Multible Sklerose Gesellschaft Brandenburg und des des Melanchthonvereins Bretten, Mitglied der Deutschen Sektion der Int. Juristen-Kommission, der Int. Union of Lawyers (Moskau).

___________________________________________________________________________

Zu diesem Thema siehe auch Dr. Paulus van Husen, Oberverwaltungsgerichtspräsident, Präsident des Verfassungsgerichtshofs: Die Entfesselung der Dritten Gewalt

Zum Anfang dieser Seite

Zur Startseite