1951
Vorab aus dem Text:
„…. es geht darum, aufzudecken, daß die Selbständigkeit der Gerichte in Deutschland ein Schein ist, hinter dem eine andere rechtliche und oft auch tatsächliche Wirklichkeit steht. Dieser Schein ist historisch entstanden. Man hat sich an ihn gewöhnt, wie alles Gewordene und Bestehende den Vorteil dieses Bestehens hat, weil das Trägheitsgesetz und die Gewöhnung einer Änderung entgegenstehen. ….
Das Grundübel liegt in der Richterernennung durch die Exekutive. Zunächst besteht die häufig verwirklichte Gefahr, daß für das Richteramt ungeeignete Personen aus sachfremden Gründen, die der Exekutive nützlich erscheinen, ernannt werden. Wie soll ein Richter unabhängig sein, der sein ganzes Leben lang hinsichtlich der Beförderung in Aufrückestellen von der Exekutive abhängt. Nicht jeder Mensch ist zum Märtyrer für eine Idee geboren, andererseits hat aber jeder Mensch die Pflicht, für seine Familie und sein eigenes Fortkommen zu sorgen. Die richterliche Unabhängigkeit ist eine verlogene Angelegenheit, so lange dies System besteht. ….„
Präsident des Verfassungsgerichtshofs Nordrheim-Westfalen und
Oberverwaltungsgerichtspräsident
Lesefassung eines 1951 gehaltenen Vortrags: „Die Entfesselung der Dritten Gewalt“, veröffentlicht in Archiv des öffentliches Rechts (AöR) 78 (1952/53), S. 49 ff. (Volltext).
Man kann dieses Thema auch die Selbständigkeit der Gerichte nennen, wie es im Frühjahr 1951 auf der Tagung der Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamburg geschehen ist. Diese damalige Stellung des Themas trifft aber die vorhandene Lage nicht genügend deutlich. Es handelt sich nämlich nicht darum, die vorhandene Selbständigkeit der Gerichte zu schildern unter Darlegung etwaiger zu erhoffender Mängelbeseitigung. Das Problem liegt vielmehr umgekehrt, und es geht darum, aufzudecken, daß die Selbständigkeit der Gerichte in Deutschland ein Schein ist, hinter dem eine andere rechtliche und oft auch tatsächliche Wirklichkeit steht. Dieser Schein ist historisch entstanden. Man hat sich an ihn gewöhnt, wie alles Gewordene und Bestehende den Vorteil dieses Bestehens hat, weil das Trägheitsgesetz und die Gewöhnung einer Änderung entgegenstehen. Solche Änderungen bedürfen einer gewissen Leidenschaftlichkeit im Anstoß, ohne die im Leben des Einzelnen und des Staates nichts Förderliches entstehen kann. Der Einsatz dieses Willensstrebens bedarf natürlich einer vorherigen kritischen Betrachtung und dauernden Regulierung durch die Vernunft, was hier versucht werden soll.
Wenn man von Selbständigkeit der Gerichte oder ihrer Entfesselung spricht, so setzt dies voraus, daß andere Gewalten vorhanden sind, denen gegenüber diese Selbständigkeit zu betonen ist, oder von deren Fesseln die Gerichte zu befreien sind. Diese anderen Gewalten sind die Legislative und die Exekutive. Der in Art. 20 des Grundgesetzes bestimmte Begriff der Gewaltenteilung ist durch die Aufklärung des 18. Jahrhunderts Formprinzip des politischen Lebens geworden, fast gleichzeitig in Nordamerika und Frankreich in Erscheinung tretend. Es ist eines der seltsamen Spiele der Inkonsequenz alles Lebens, daß nun gerade die liberale rationale Aufklärung dieses Prinzip in den Vordergrund gestellt hat. Ging sie doch davon aus, daß der Mensch gut sei und daß alles zu einem guten, vernunftmäßigen Ende kommen müsse, wenn man nur dem Verstand seinen ungehemmten Weg lasse. In einem solchen Denksystem hat die Gewaltenteilung richtig keinen Platz – sie ist vielmehr ein Widerspruch – da sie doch davon ausgeht, daß der Mensch seiner Natur nach zum Mißbrauch der Gewalt neigt, und deshalb Kontrolle und Gegengewichte nötig sind. Die Gewaltenteilung ist in Wirklichkeit alte christliche Erkenntnis auf der Offenbarungsgrundlage, daß der Mensch zwar wie alle Schöpfung gut, aber durch die Erbsünde in Verstand und Willen getrübt, deshalb fehlsam ist und ohne Gnade und Erlösung zum Bösen treibt. Daß die Kinder der Aufklärung trotz dieses inneren Widerspruchs zu ihrem System die Gewaltentrennung zur Verfassungsgrundlage gemacht haben, zeigt, wie praktisch notwendig sie für das staatliche Leben ist. Sie war ja auch schon längst vor der Aufklärung in anderer Teilungsform im Ständestaat vorhanden und nur durch den rationalen Absolutismus unterdrückt und beseitigt worden. Die Gewaltentrennung im heutigen staatsrechtlichen Sinne besagt, daß Legislative, Exekutive und Rechtsprechung von verschiedenen Organen wahrzunehmen sind. Daraus folgt zunächst, daß diese Organe selbständig sein müssen, d. h. ihr Eigenleben in sich tragen, ohne in ihrem Seinsbestand von einer der anderen Gewalten abzuhängen. Im Ständestaat war die Teilung der Gewalt viel schärfer und konsequenter durchgeführt, da dort die Stände selbständig nebeneinander für ihren Herrschaftsbereich alle drei heutigen Gewalten ausübten. Jeder Stand (am deutlichsten in den Fürstbistümern: Domkapitel, Ritterschaft, Städte) hatte eigene Rechtssetzung, Exekutive und Gerichtsbarkeit, und die Staatseinheitlichkeit wurde nur durch den Fürsten als Staatsoberhaupt gewahrt. Im modernen Staat ist infolge Fortfalls der Vorrangsrechte des vorwiegend exekutiven monarchischen Staatshaupts der die Trennung der Gewalten erfordernde zusammenfassende Akzent von der Exekutive auf die Legislative übergegangen, die jetzt das bindende und daher überragende Prinzip darstellt. Daraus sieht man bereits, daß die Gewalten nicht absolut getrennt, also nicht absolut selbständig sein können, wenn der Staat nicht in drei neben- oder gegeneinander arbeitende Teile aufgespalten werden soll. Wie eine übersteigerte Tugend (Sparsamkeit – Geiz) ein Laster wird, so wird jedes gute Prinzip durch Verabsolutierung zu einem Fehler. Gewisse Überschneidungen sind unvermeidlich, nur müssen diese Überschneidungen in weiser Abstimmung so gehalten sein, daß sie das Wesen und den Sinn der betreffenden Gewalt nicht beeinträchtigen.
Die Legislative setzt nicht nur Recht, sondern hat auch ihre eigene Parlamentsverwaltung. Niemand würde auf den Gedanken kommen, den gesetzgebenden Körperschaften ihre eigene Verwaltung abzusprechen und diese in die Hand der Regierung zu legen, weil dadurch eine ungehörige Einflußnahme der Regierung auf die gesetzgebende Gewalt entstehen würde. Diese muß, um selbständig und unabhängig zu sein, nicht nur Recht setzen, sondern für ihre Eigenbedürfnisse auch selbst handeln, also verwalten können. Ebenso spricht die gesetzgebende Körperschaft selbst Recht, indem sie über die Gültigkeit ihrer Wahl und der Abstimmungen entscheidet, was materiell richterliche Akte sind.
Die Exekutive wiederum verwaltet nicht nur, sondern setzt in weitem Umfange Recht durch die Rechtsverordnungen, welche die Legislative ihr überläßt, weil sie praktisch nicht in der Lage ist, für die immer drängender und wechselvoller werdenden Erfordernisse des Lebens alle Obersätze im voraus zu bestimmen. Die hier über eine verständige Begrenzung entstandene Problematik ist bekannt. Die Exekutive sprach auch Recht – zumindest nach früherer Auffassung – durch ihre Eigenkontrolle im Wege der Beschwerdeentscheidung. Alle diese Dinge sind innerlich sinnvoll und nicht gegen Sinn und Zweck der Gewaltenbennung gerichtet, was nur bei mißbräuchlicher Übertreibung eintritt, wenn z. B. die Legislative aus Bequemlichkeit zuviele und ungenügend begrenzte Rechtssetzungsbefugnisse der als spezifisches Handlungs- und Willensorgan besonders nach Macht dringenden Exekutive überläßt.
Die richterliche Gewalt handelt nicht und setzt kein Recht, sondern spricht nur aus, ob und wie weit bestimmte Tatbestände unter vorgesehene rechtliche Obersätze zu subsumieren sind. Trotzdem nimmt aber auch der Richter Funktionen wahr, die theoretisch zu den beiden anderen Gewalten gehören. Die Gerichtspraxis setzt tatsächlich weitgehend Recht durch die Auslegung, obwohl man das theoretisch vielfach nicht wahr haben will. Die Tatsache ist aber unleugbar. Es ist eben stillschweigende – ebenso wie bei den Rechtsverordnungen der Exekutive – praktisch erforderliche Delegation seitens der Legislative, welche die Gerichtspraxis so lange duldet, bis sie ihre Änderung durch neues Gesetz für nötig hält. Ebenso nehmen die Gerichte weitgehend Verwaltungsakte wahr. Das Verfahren selbst enthält solche, wie z. B. Ladungen, Zustellungen, Maßnahmen der Sitzungspolizei, Haftbefehle und die Vollstreckung, die unmöglich in die Hand der Exekutive gegeben werden können, wenn nicht alles verzögert werden und praktisch stillstehen soll. Dazu kommen als Gegenstand des Verfahrens materielle Verwaltungsakte wie die der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vormundschaftsgerichtlichen Akte usw., die bisher der Unabhängigkeit halber dem Zivilrichter zugewiesen waren, deren Zuweisung aber problematisch geworden ist, ebenso wie die Verwaltungsgerichte sich ähnlicher Zuweisungen wie Erteilung von Erlaubnissen nach der Gewerbeordnung entkleidet haben. Ebenso führen die Gerichte die sogenannte Justizverwaltung, nehmen also die für ihr Funktionieren notwendigen Handlungen selbst vor. Diese Justizverwaltung ist aber, wie später dargelegt, im wesentlichsten Teil, nämlich in der Spitze, den Gerichten entzogen und in die Hand der Exekutive gelegt. Das hebt aber den Seinsbestand der Dritten Gewalt auf und macht ihn zur Fiktion trotz Anerkennung im Grundgesetz und in den Landesverfassungen.
Alle diese Überschneidungen machen es deutlich, daß die Gewaltenteilung nicht absolut ist und auch nicht absolut sein kann, ohne sich ad absurdum zu führen, daß aber andererseits diese Überschneidungen nur soweit gehen dürfen, wie es dem inneren Sinne der Gewaltentrennung entspricht. Die Abgrenzung dieser Überschneidungen läßt sich nicht theoretisch bestimmen, sondern richtet sich nach der historisch wechselnden Zweckmäßigkeit, d. h. nach der zur Zeit bestmöglichen Erreichung des Ziels der Teilung der Gewalten, die aber immer als solche selbständig bleiben müssen, weil ohne ihren Eigenbestand das ganze Prinzip seinen Sinn verliert und wahrheits- und wirklichkeitswidrig wird. Durch die Ereignisse der letzten zwei Jahrzehnte, welche das ganze Leben in anderen Fluß gebracht haben, ist auch für die Abgrenzung der Gewaltenteilung eine neue Problematik entstanden, die seltsamerweise in Deutschland – gerade bei der richterlichen Gewalt selbst – bisher kaum gesehen und noch weniger in ihrer dynamischen Notwendigkeit erkannt wird. Es ist das Verdienst der Verwaltungsgerichte, daß sie allein die neuentstandenen Probleme gesehen und sie zur Lösung zu treiben versucht haben, während die Zivilgerichte in ihrer gewohnten Bahn sich nicht nur zufrieden geben, sondern vielmehr die Bestrebungen der Verwaltungsgerichte argwöhnisch betrachten, weil sie fürchten, daß diese sich einen besseren Rechtsstatus verschaffen könnten, was ihre eigene, bisher als ganz präponderant betrachtete Rechtsstellung verhältnismäßig herabmindern könnte. Das muß klar gesagt werden, damit dieses gerade in Deutschland immer sehr gewichtig gewesene und durch die Klassenkampftheorien noch verstärkte Neidmotiv mit seiner zerstörenden Kraft von Beginn ab ausgeschaltet wird. Es muß der Mut aufgebracht werden, klar zu sagen, daß für die Verwaltungsgerichte ihrer Bestimmung nach ein weit höheres Maß von Selbständigkeit und damit Unabhängigkeit nötig ist als für die Zivilgerichte. Diese entscheiden Streit zwischen Privatpersonen und sind bei Streitigkeiten, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, nur insoweit zuständig, als sie fiskalisch, also in der Fiktion einer Privatperson, auftritt. An diesen Entscheidungen hat die Staatsmacht kein unmittelbares Interesse. Bei den Strafgerichten tritt ein solches schon mehr in Erscheinung. Die Verwaltungsgerichte dagegen kontrollieren die Staatshoheit selbst. Sie greifen negativ und positiv verpflichtend in das Handeln der Exekutive selbst ein. Es ist ein einfacher Schluß, daß dieses Eingreifen nicht echt möglich ist, wenn die Verwaltungsgerichte von der Exekutive wiederum abhängen. Es ist absurd, daß der Kontrollierte den Kontrolleur kontrollieren soll. Den in diesem Satz liegenden Widerspruch hat man bei der ersten Gewaltenteilung in der USA-Konstitution hingenommen, weil man dazumal – nachzulesen im Federalist – sich heute sehr seltsam und versponnen anmutende Gedanken gemacht hat, daß die Dritte Gewalt ein ungehöriges Übergewicht erhalten könne. Das ist schon theoretisch unwahrscheinlich, weil „Sprechen“ und „Handeln“ eben etwas Grundverschiedenes ist, wie es die Erfahrung von über 150 Jahren bestätigt hat. Dieser nicht zu erschütternde Satz der Unmöglichkeit der Kontrolle durch einen vom Kontrollierten abhängigen Kontrolleur muß als Leitmotiv allgemeines Gedankengut werden; dann sind die Folgerungen daraus hinsichtlich der Entfesselung der Dritten Gewalt nicht mehr aufzuhalten, die bei allen Gerichten, besonders aber bei den Verwaltungsgerichten, für den Rechtsschutz nötig ist.
Die Entfesselung ist im derzeitigen Moment des historischen Ablaufs eine so dringende Problemstellung geworden, da sich eine Übermacht der Exekutive herausgebildet hat. Das Übergewicht der Exekutive war bereits bei der Schaffung der Gewaltenteilung zu Ende des 18. Jahrhunderts überstark geblieben, weil es sich dabei um ein Beschneiden der bis dahin alleingewaltigen Exekutive handelte, der hierbei naturgemäß immer noch mehr belassen wurde, als es vernünftig gewesen wäre. Das war im 19. Jahrhundert noch erträglich wegen des Fortbestands allgemeiner religiöser und sittlicher Bindungsreste. Nach deren weiterer Auflösung und bei der mechanistischen Tendenz zum totalen Staat, d. h. zur totalen Exekutive, welche die Gesetzgebung aufsaugen und die Gerichte abhängig machen wollen muß, ist es aber nicht mehr zu umgehen, hier neue Begrenzungen und Formen zu finden, wenn das personale Grundelement der abendländischen Kultur erhalten bleiben soll. Es ist sehr aufschlußreich, daß in den Ländern, in denen das Abendland zutiefst verwurzelt ist, in Italien und Frankreich, diese Notwendigkeit erkannt und ihre Verwirklichung weitgehend in Angriff genommen worden ist in den neuen Verfassungen dieser beiden Länder von 1946 und 1947. Es ist kein gutes Zeichen für die Tiefe und Echtheit des abendländischen Gedankengutes bei uns, daß wir das Problem überhaupt nicht gesehen und, als die anderen es bereits verwirklicht hatten, uns im Grundgesetz nur zu dem törichten und verfälschten Abklatsch des Richterwahlausschusses aufgeschwungen haben, unter Hinnahme des neuen Gifttropfens der Richteranklage. Wir können diese betrübliche „Germania non docet“ nur erklären und entschuldigen mit der trostlosen allgemeinen Lage bei uns, aus der wir uns auch in dieser Hinsicht tapfer herauskämpfen wollen.
Es soll nun geprüft werden, was im einzelnen nach den heutigen Gegebenheiten als nicht sinnvoll für die Gewaltenteilung, sondern als Fessel der Dritten Gewalt und als Antastung ihres Bestandes zu betrachten ist.
Gegenüber der gesetzgebenden Gewalt bestehen keine Abgrenzungsschwierigkeiten praktischer Art. Das rein geistige Problem der Ablehnung des Rechtspositivismus, also der Einschränkung der formalen Legislative, ist gesetzgeberisch nicht voll lösbar, und die Fortentwicklung der im Grundgesetz hierfür geschaffenen Bestimmungen muß abgewartet werden. Die Mängel in der neuen Gesetzgebung hinsichtlich der Dritten Gewalt, insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sind keine Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen Legislative und Gerichtsbarkeit, sondern Mängel der Gesetzesgestaltung.
Die Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen vielmehr nur gegenüber der Exekutive.
Die Hauptschwierigkeit liegt in der Justizverwaltung, die völlig in Händen der Exekutive liegt, da diese durch den Ressortminister Anweisungen allgemein und für den Einzelfall erteilen kann. Was würde die Legislative sagen, wenn die Exekutive gegenüber der Bundestags- oder Landtagsverwaltung dasselbe Recht beanspruchen würde? Wie die Akten zu verwalten sind, wie der Geschäftsbetrieb abläuft, all diese tausend Dinge, Genehmigungen und Zustimmungen des inneren Lebens der Gerichte bestimmt eine fremde Gewalt. Daß dies widerspruchsvoll ist und die Unabhängigkeit der Gerichte gefährdet, ist evident. Es ist auch keinerlei praktische Notwendigkeit dafür vorhanden, denn die Legislative hat ja durch die Bewilligung der Mittel und die Rechnungshofkontrolle alle notwendigen Handhaben, um Mißbrauch auszuschließen, auch ohne Einschaltung der Exekutive. Zudem entsteht durch diese Einmischung der Exekutive in die Gerichtsverwaltung ein reibungsvoller verwaltungsmäßiger Doppellauf sinnloser wechselseitiger Beamtenbeschäftigung.
Noch schlimmer ist die Ernennung der Beamten und Angestellten für die Gerichte durch die Exekutive. Selbst in dem höchst exekutiv betonten Preußen hat man 70 Jahre lang dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts diese Anstellungsbefugnis gesetzlich zuerkannt, was nie zu Schwierigkeiten geführt hat. In den vorgeblich freiheitlicheren und mehr rechtsstaatlich geformten Nachfolgestaaten hat man diese Befugnis aber gestrichen, und die Exekutive handhabt dieses Recht oft nicht ohne Willkür.
Das Grundübel liegt in der Richterernennung durch die Exekutive. Zunächst besteht die häufig verwirklichte Gefahr, daß für das Richteramt ungeeignete Personen aus sachfremden Gründen, die der Exekutive nützlich erscheinen, ernannt werden. Wie soll ein Richter unabhängig sein, der sein ganzes Leben lang hinsichtlich der Beförderung in Aufrückestellen von der Exekutive abhängt. Nicht jeder Mensch ist zum Märtyrer für eine Idee geboren, andererseits hat aber jeder Mensch die Pflicht, für seine Familie und sein eigenes Fortkommen zu sorgen. Die richterliche Unabhängigkeit ist eine verlogene Angelegenheit, so lange dies System besteht. Die Exekutive kann Richter ernennen, ohne auch nur den Gerichtspräsidenten vorher anzuhören. Ob sie es tut, steht in ihrem unkontrollierten Willen. Sie tut es oder tut es nicht, und es gibt Fälle, wo Richter ernannt werden, ohne daß der Gerichtspräsident auch nur vorher den Namen gehört hat. Es tritt einfach ein Herr auf mit einer Ernennungsurkunde in der Hand, und einige Tage später erhält dann der Präsident die schriftliche Nachricht. Im sogenannten unfreiheitlichen Preußen vor 1918 hätte man – ich kann das als westdeutscher Mußpreuße mit besonderem Nachdruck aussprechen – keinem Regierungspräsidenten gegen seinen vorher erforschten Willen einen Dezernenten zugemutet, und selbst beim Militär wurde der Wille des Regimentskommandeurs respektiert bei Offiziersversetzungen. Auch wenn man solchen Mißbrauch nicht allgemein unterstellen darf, so muß er doch gesetzlich abgestellt werden.
Ein ganz böses Kapitel ist die sogenannte Dienstaufsicht der Exekutive, die tausend Hände hat, um den Richter abhängig zu machen und die Rechtsprechung zu beeinflussen. Was soll man dazu sagen, daß die fremde Gewalt Vorhaltungen über die ihr artfremde Abfassung von Urteilen im Einzelfall macht, Unterlassungen oder Fehler oder gar einen falschen Spruch vorwirft und sich so zur Oberrevisionsinstanz erhebt? Das ist jedenfalls vom Preußischen Justizministerium nicht nur in der Hitlerzeit so gehandhabt worden, während das Innenministerium es dem Oberverwaltungsgericht gegenüber nie versucht hat, abgesehen von vereinzelten Fällen in der Hitlerzeit. Der Vortrag auf der Tagung der Oberlandesgerichtspräsidenten nimmt diese Dinge doch wohl zu optimistisch. Es ist auch kein Trost, daß in den Justizministerien frühere Richter diese Aufsicht üben. Erfahrungsmäßig werden Richter oft Superverwaltungsbeamte, wenn sie in ein Ministerium kommen. Wie ist es möglich, die Exekutive zur Herrin des Dienststrafrechts gegen Richter zu machen, indem man ihr die Eröffnung des Verfahrens vorbehält? Was würde ein Landtagsabgeordneter zu einem solchen Recht ihm gegenüber wohl sagen? Ganz untragbar ist ferner die der Exekutive gegebene Möglichkeit, Warnungen und Verweise gegen Richter zu verhängen, was die neuen Gesetze unbesehen aus der Hitlerzeit übernommen haben, und dann gar noch ohne Recht des Richters, eine dienststrafgerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Ich nenne ferner das Wort „Pensenzahlen“, mit denen die Exekutive den Richter entwürdigt. Ein Plansoll, das genau wie in Moskau, dem Richter unbekannt, von einigen Amtsräten der Zentralstelle aufgestellt und gehütet wird, dient hier zur Unterlage für dienstaufsichtsmäßige Beurteilung, für die Beförderung und die Stellenbewilligung. Seit achtzig Jahren wird für den Handarbeiter der Satz propagiert: „Akkordlohn ist Mordlohn“. Die geistige Arbeit des Richters wird aber widerspruchslos von der Exekutive nach Zahl, Pfund und Elle gemessen.
Eine ganz böse Fessel liegt ferner in dem Umstand, daß die Gerichte nicht selbst ihre Haushaltsmittel bei der Legislative beantragen, ihre Forderungen dort begründen und nur ihr gegenüber für die Verwendung verantwortlich sind, daß all das vielmehr in der Hand der Exekutive ist. Bei dieser muß der sächliche Bedarf erbettelt werden, und sie bestimmt, was im Personaletat vom Parlament erbeten werden soll. Sie braucht dem Parlament nicht einmal die begründeten Anforderungen der Gerichte zur Kenntnis zu bringen, tut es auch nicht. Den Gerichten kann also von der Exekutive der Brotkorb nach Belieben je nach Wohl- oder Schlechtverhalten höher gehängt werden. Daß man trotzdem von unabhängigen Gerichten spricht, ist einfach eine Verletzung der Wahrheit. Um so grotesker wirkt sich das alles bei den Verwaltungsgerichten aus. Der Kontrolleur ist wirtschaftlich völlig in der Hand des Kontrollierten. Der Kontrollierte sucht sich die Richter aus, hält sie durch Beförderungsaussichten und Dienstaufsichtsmittel in Atem, mißt ihnen jährlich die sachlichen Bedürfnisse zu – tropfenweise gibt der Finanzminister bewilligte Mittel frei und läßt nötige Überschreitungen erbetteln. – Statt die verständigerweise erforderlichen Planstellen bereitzustellen, wird eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Hilfsrichtern angeboten, die, auf ein Jahr ernannt und dann ohne Verlängerung des Auftrages erwerbslos, nicht das geringste Maß von Unabhängigkeit zur Kontrolle von Akten der ernennenden Exekutive haben können. Man läßt die Richter in Überarbeit ersticken, so daß die Sachen so lange liegen bleiben, daß der Rechtsschutzsuchende mürbe wird und es aufgibt, gegen die Behörde zu kämpfen, und dadurch die ganze Verwaltungsgerichtsbarkeit im Volk Ansehen und Zutrauen verliert. Es wird den Richtern vielfach die Besoldung so niedrig bemessen, daß sie keine kulturelle Muße finden können und daher die Stellen der Exekutive die erstrebenswerteren sind; so werden dieser die guten Kräfte gesichert, und die Kontrolle erhält weniger gute Kräfte, die den Kontrollierten nicht so scharf und gewandt anzugehen vermögen, wie es das Wohl des Volkes verlangt. Typisch in der Hinsicht ist die Nichtgewährung der Ministerialzulage an die Oberverwaltungsgerichte. Das autoritäre Preußen hat sie dem Oberverwaltungsgericht von jeher gegeben. Im heutigen Rechtsstaat wird sie verweigert, während die Exekutive sie sich weitergewährt. Zur Begründung dieser Diskriminierung wird dann z. B. der Vorwand gebracht, alle Exekutivstellen seien um eine Besoldungsgruppe heruntergestuft, während in Wirklichkeit nur der Staatssekretär gestrichen, im übrigen aber alles nicht nur genau wie früher geblieben, sondern umgekehrt im Verhältnis zur Fläche und Einwohnerzahl die Zahl der Ministerialräte vermehrt ist. Die Folge ist, daß bereits ein Oberregierungsrat aus einem Ministerium keine Oberverwaltungsgerichtsratstelle ohne Ministerialzulage annehmen wird, von einem Ministerialrat gar nicht zu reden, es sei denn, daß er sich in dem Ministerium unmöglich gemacht hat. Die Rekrutierung aus der zentralen Verwaltung, die in Preußen Regel war, ist damit abgeschnitten, und die Oberverwaltungsgerichte können mangels erfahrener Verwaltungskräfte der Exekutive nicht lästig werden. Gegenüber irrigen Ansichten in der Ziviljustiz sei darauf hingewiesen, daß, so nützlich die ziviljuristische Beimengung ist, die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorwiegend Verwaltungsjuristen braucht wegen der erfahrungsbedingten Ermessensüberprüfung. Die Verwaltungsjuristen denken auch nicht etwa weniger scharf – das ist eine angeborene Eigenschaft – und ihre juristische Ausbildung ist, wenigstens früher in Preußen, eine bessere gewesen. All das tut sich in der Stille, und das Parlament – und noch weniger das rechtsschutzsuchende Volk – erfährt irgendetwas davon. Diese Mißbräuche können nur abgestellt werden, wenn der Präsident des Oberverwaltungsgerichts unmittelbar dem Parlament den Verwaltungsgerichtsetat vorlegt und ihn dem Parlament gegenüber vertritt.
Im Entwurf der neuen Verwaltungsgerichtsordnung ist versucht worden, durch eine Reihe von Einzelvorschriften diese Mängel in etwa zu beseitigen. Hauptsächlich ist dies dadurch geschehen, daß den Oberverwaltungsgerichten dieselbe rechtliche, insbesondere haushaltsrechtliche Stellung gegeben worden ist wie den Rechnungshöfen. Da die Parlamente das selbstverständliche Interesse haben, die Rechnungskontrolle zu sichern, ist damit zu erhoffen, daß auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit die nötige Freiheit von ihren jetzigen Fesseln erhält. Dieser zunächst etwas seltsam anmutende Weg erleichtert die Regelung ohne zu große Eingriffe in die Verschiedenheit des Verfassungsrechts der Länder. Daß er nach sorgfältiger Prüfung gewählt werden mußte, beleuchtet die Ungeistigkeit, mit der diese Dinge bisher behandelt wurden und die dem Prüfen von Rechnungen mehr Gewicht zumißt als dem Rechtsprechen. Es kann doch verständigerweise nicht bestritten werden, daß der Rechtskontrolle dieselbe Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu geben ist wie der Rechenkontrolle. (Es mag übrigens bemerkt werden, daß bereits Bestrebungen ersichtlich sind, auch die Rechnungshöfe in größere Abhängigkeit von der Exekutive zu bringen.) Der jetzige Zustand beruht auf falscher Wertordnung und falschem Machtwillen der Exekutive. Die von ziviljuristischer Seite hiergegen vorgebrachten Bedenken, die Oberverwaltungsgerichtspräsidenten könnten die parlamentarischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben aus dieser Regelung nicht erfüllen, entkräften sich dadurch, daß es bei den Rechnungshöfen 80 Jahre lang ohne Schwierigkeiten möglich gewesen ist.
Wenn hier wegen der ihrer Natur bei den Verwaltungsgerichten in erhöhtem Maße erforderlichen Unabhängigkeit in erster Linie auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit exemplifiziert worden ist, so bedarf es dieser Entfesselung ähnlich bei der Zivil- und Strafjustiz. Die Dinge sind dort praktisch in etwa schwieriger zu gestalten, weil dort nach dem jetzigen Aufbau der Gerichte, abgesehen vom Bayerischen Obersten Landesgericht, ein Gericht fehlt, das zentrale oberste richterliche Landesbehörde ist. Die Ziviljustiz sollte danach streben, in allen Ländern mit mehreren Oberlandesgerichten einem von ihnen die Stellung als oberstes Landesgericht zu verschaffen. In den Ländern mit nur einem Oberlandesgericht besteht für diese Anerkennung überhaupt keine Schwierigkeit. Das wäre im Interesse der Rechtsstaatlichkeit ergiebiger und positiver, als für die Ziviljustiz das Bestehende als ausreichend anzuerkennen, nur damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit keinen besseren Rechtsstatus erhält.
Ganz abwegig in der Hinsicht sind die justizeinheitlichen Versuche. Der Justizminister ist hierfür nicht besser als jeder andere Ressortminister, da er Teil der Exekutive ist, und das eben ist der Fehler, ganz abgesehen von den anderen Gründen, aus denen die Justizeinheit zum Tode des Verwaltungsrechtsschutzes führen würde. Ich kann in diesem Rahmen auf diese Gründe nicht näher eingehen. Alle Verwaltungsrichter sind sich einig: wenn schon ein Minister, dann als minus malum der über den Ressorts stehende Ministerpräsident oder wenigstens der Innenminister. Jedes Vereinheitlichen tötet, und Gottes Schöpfung ist zur Vielfalt geschaffen.
Es nützt auch gar nichts, ein besonderes Rechtswahrungsministerium über dem Justizminister und den anderen Gerichtsressortministern zu erfinden, um ihm die Sicherung der Unabhängigkeitsnotwendigkeiten zu übertragen, – wie es der Vortrag vor den Oberlandesgerichtspräsidenten vorgeschlagen hat. Abgesehen von den Abgrenzungsschwierigkeiten und neuer Ressortaufblähung gilt dafür das eben bereits Gesagte. Auch dieser Minister würde eben als Minister denselben Geburtsfehler haben. Alle Versuche, etwa durch besondere Heraushebung eines Ministers innerhalb der Exekutive und etwa durch neue Amtsbezeichnungen wie „Rechtsamt“ oder „Rechtswahrungsamt“ die Schwierigkeiten zu lösen, verdecken diese nur. Wenn dieser Weg zum Ziel führen soll, so kann er es nur über die Leiche des Justizministers – und jedes Gerichtsressortministers – hinweg, den man aber nur so töten kann, wie in Frankreich und Italien geschehen.
Es sei daher zum Schluß noch ein Blick geworfen auf die eben erwähnten neuen Regelungen in Frankreich und Italien, die, wenn auch im Grundgesetz bei uns versäumt, wenigstens zeigen, daß die eben erörterten Wünsche nicht allzu weitgehend sind.
Art. 83 der neuen französischen Verfassung von 1946 errichtet einen Obersten Justizrat von vierzehn Mitgliedern. Dazu gehören der Präsident der Republik als Vorsitzender und der Justizminister als Stellvertretender Vorsitzender; sechs Personen, die für sechs Jahre von der Nationalversammlung außerhalb ihrer Reihen gewählt werden; vier Richter, die nach dem Ausführungsgesetz Nr. 47-236 vom 1. Februar 1947 (Journal Officiel p. 1150) von den Richtern, die in vier Wahlkörperschaften aufgeteilt sind, für sechs Jahre gewählt werden; zwei vom Präsidenten der Republik auf sechs Jahre ernannte Juristen, die nicht Parlamentarier und nicht Richter sein dürfen. Wenn auch dieses Gremium weitgehend parlamentarisch zusammengesetzt wird, so sichert der Vorsitz des Staatshauptes, das über den Gewalten steht, seine völlige Heraushebung aus der Exekutive, die in dem Gremium nur eine von vierzehn Stimmen hat. Das ist der ausschlaggebende Unterschied zu dem obenerwähnten zentralen Rechtswahrungsministerium. Nach Art. 84 ernennt der Präsident der Republik die Richter auf Vorschlag dieses Obersten Justizrats, der also etwas durchaus anderes ist als unser Richterwahlausschuß, sowohl nach Zusammensetzung wie nach Befugnissen.
Nach demselben Artikel sorgt der Oberste Justizrat in Übereinstimmung mit dem Gesetz für das pflichtgemäße Verhalten und die Unabhängigkeit der Richter sowie für die Verwaltung der Gerichte. Danach ist klar die Dienstaufsicht und die ressortmäßige Behandlung der Gerichte dem Obersten Justizrat übertragen und dem Justizminister entzogen, der damit reiner Gesetzgebungsminister und Großsiegelbewahrer geworden ist. Ich habe alle Ausführungbestimmungen zu Art. 83 und 84 im französischen Journal Officiel nachgesehen und dort keinerlei Versuche einer auslegenden Einschränkung gefunden, sondern nur Routinevorschriften über die Wahlen. Ich kann daher nicht verstehen, wie in dem mehrfach genannten Vortrag auf Grund einer Besprechung mit den französischen Besatzungsdienststellen der Schluß gezogen werden kann, die Forderungen der Verwaltungsgerichtspräsidenten nach gerichtlicher Selbstverwaltung könnten nicht auf die neue französische Regelung gestützt werden. Die französische Regelung ist zwar andersartig, sie ist aber so unerhofft gut, daß wir sie sofort gegen unsere Vorschläge eintauschen würden, wenn dies verfassungsrechtlich in Deutschland möglich wäre.
Die italienische Verfassung von 1947 bestimmt in Art. 104 wie folgt:
„Die Gerichte bilden eine selbständige Gewalt, die unabhängig von jeder anderen Gewalt ist.
Im Obersten Justizrat führt der Präisident der Republik den Vorsitz
Es gehören ihm ferner ohne weiteres der Erste Präsident und der Generalstaatsanwalt des Kassationshofes an.
Die anderen Mitglieder werden zu zwei Dritteln von allen ordentlichen Richtern gewählt, aus deren verschiedenen Arten, und zu einem Drittel durch das Parlament in gemeinsamer Sitzung aus den Reihen der ordentlichen Hochschullehrer der Rechtswissenschaft und der Anwälte nach fünfzehn Berufsjahren. Der Rat wählt einen Vizepräsidenten aus den vom Parlament gewählten Mitgliedern.
Die gewählten Mitglieder des Rates bleiben vier Jahre im Amt und können nicht unmittelbar wiedergewählt werden. Während ihrer Amtsdauer dürfen sie weder als Anwälte eingetragen sein, noch dem Parlament, noch einem Regionalrat angehören.“
Die Zusammensetzung ist also hier noch viel rechtsstaatlicher als in Frankreich, da der Justizminister nicht Mitglied des Obersten Justizrats ist. Die Zahl der Mitglieder ist nicht festgelegt. Von Amts wegen sind Mitglieder der Präsident und der in Italien nicht weisungsgebundene Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs. Zwei Drittel der Mitglieder werden von den Richtern gewählt, ein Drittel vom Parlament aus den Reihen der juristischen Professoren und Anwälte; die Entscheidung liegt also bei dem richterlichen Element.
Art. 105 überträgt diesem Gremium Anstellung und Beförderung der Richter sowie dienststrafrechtliche Maßnahmen. Im übrigen obliegt dem Justizminister nach Art. 110 der Aufbau und die Verwaltung des Justizwesens. Bei besserer Zusammensetzung sind hier also die Befugnisse geringer als in Frankreich. Auch diese Lösung bedeutet gegenüber der deutschen Rechtslage einen enormen Fortschritt und einen Anstoß, der sich in Europa in Zukunft nicht außer acht lassen läßt.
Von Interesse ist hier auch sogar die sowjetrussische Verfassung, deren Art. 104 die oberste Aufsicht über alle Gerichte dem Obersten Gerichtshof und nicht etwa der Exekutive der Sowjets überträgt. Wenn auch nach dem sowjetischen System praktisch der Oberste Gerichtshof selbst nicht unabhängig ist, so zeigt dies aber immerhin doch bei dem knappen logischen Aufbau der russischen Verfassung, wohin die Logik die Dinge führen muß. Die gleiche Vorschrift hat Art. 116 der jugoslawischen Verfassung, der noch ausdrücklich betont, daß die Gerichte in allen Instanzen von der Verwaltung getrennt sind.
Wenn ich in meinen Darlegungen deutlich in der Sprache gewesen bin, so bitte ich das damit zu entschuldigen, daß man in einem kurzen Abriß deutlich sein muß. Ich bitte auch, meine Äußerungen gegenüber der Ziviljustiz als brüderliche Ermahnungen zu betrachten und die Bedenken gegenüber der Exekutive als Kritik nicht an allgemein vorhandenen Mängeln, sondern an Möglichkeiten auf Grund von Einzelfällen anzusehen. Es ist auch nicht etwa so, daß nach der jetzigen Lage die Verwaltungsgerichte sich abhängiger fühlten oder etwa abhängiger seien als die Ziviljustiz. Minderwertigkeitskomplexe haben die Verwaltungsrichter in der Hinsicht nicht, dazu braucht man sich nur ihre Entscheidungen anzusehen. Es muß vielmehr die Möglichkeit der Abhängigmachung unterbunden werden, was das Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit weit mehr verlangt, als es für die Zivilgerichte erforderlich ist. Schließlich wiederhole ich, daß man ein gutes Ziel mit Leidenschaft erstreben muß, und für ein crime passionnel werden in allen kultivierten Ländern mildernde Umstände anerkannt.
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Zu diesem Thema siehe auch: ad absurdum
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Paulus van Husen
(1891-1971)
von Christoph Jestaedt
Dr. Paulus van Husen wurde am 26.02.1891 geboren. Er besuchte in Münster das Gymnasium Paulinum und studierte sodann in Oxford, München, Genf und Münster Rechts- und Staatswissenschaften. Nach seinen beiden juristischen Staatsexamina war er in verschiedenen Berufen tätig.
1934 wurde er zum Richter am Preußischen Oberverwaltungsgericht ernannt. Er nahm am 2. Weltkrieg teil und war Rittmeister der Reserve. Paulus van Husen gehörte zu den Widerstandskämpfern des 20.Juli. Im Kreisauer Kreis des Grafen Moltke hat er sich neben anderem ausgerechnet mit der Bestrafung der Naziverbrecher nach einem erfolgreichen Staatsstreich beschäftigt. Wenige Tage vor dem Attentat haben Stauffenberg und York noch bei ihm zu Abend gegessen und dabei über die gewaltsame Beseitigung Hitlers gesprochen. Paulus van Husen wurde erst im Oktober 1944 von der GESTAPO verhaftet, hatte dann aber das Glück, dass die Ermittler seine Beteiligung nur unzureichend erfassen konnten. Im April 1945 wurde er vom Volksgerichtshof in dessen letzter Sitzung zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt und wenige Tage später von der Roten Armee aus dem Berliner Zuchthaus Plötzensee befreit.
Wieder in Freiheit gehörte Paulus van Husen zu den Gründern der CDU im zerstörten Berlin. Die amerikanische Militärregierung in Berlin beauftragte van Husen mit dem Wiederaufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 1948 wurde er Richter am Bizonalen Deutschen Obergericht in Köln und am 2. Mai 1949 von der nordrhein-westfälischen Regierung Arnold (CDU) zum ersten Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster berufen. Als solcher wurde er dann auch Präsident des 1952 errichteten NRWVerfassungsgerichtshofes, da in Nordrhein-Westfalen dieses Amt in Personalunion mit dem des OVG-Präsidenten steht. Diese Ämter versah Paulus van Husen bis 1959.
Paulus van Husen setzte sich nachhaltig für die „Entfesselung der Dritten Gewalt“ ein. Darunter verstand er die Herstellung der „Selbständigkeit der Gerichte“ und wandte sich deshalb gegen die traditionelle obrigkeitsstaatliche Anbindung der Justiz an die Exekutive, wie sie bei Richterernennung, Dienstaufsicht und der Bereitstellung von Haushaltsmitteln zum Ausdruck kommt. 1950 legte Paulus van Husen einen Entwurf für eine bundeseinheitliche Verwaltungsgerichtsordnung vor. Seine Vorstellungen fanden jedoch weder bei Politik noch in der Wissenschaft einen bleibenden Widerhall. Sein geistiges Vermächtnis harrt daher noch der Umsetzung.
Paulus van Husen starb am 1.09.1971 in Münster.
Literatur:
1949-1999 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, hrsg. v.Präs OVG NW, Münster, 1999, S.148 f