Gewaltenteilung in Deutschland

Vorwort

Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages 1953 – öffentlichrechtliche Abteilung

 

 

EMPFIEHLT ES SICH,

DIE VOLLSTÄNDIGE SELBSTVERWALTUNG

ALLER GERICHTE IM RAHMEN DES

GRUNDGESETZES

GESETZLICH EINZUFÜHREN?

 

NACHMITTAGSSITZUNG

AM 10. SEPTEMBER 1953

Im Auftrag der Ständigen Deputation eröffnet Richter am Bundesverfassungsgericht Professor Dr. Ernst Friesenhahn, Karlsruhe/Bonn, die Sitzung.

Auf Vorschlag der Ständigen Deputation werden gewählt:

Rechtsanwalt Dr. Werner Neuhäuser, Hamburg, zum Vorsitzenden, Regierungsassessor Dr. Redding, Hamburg, und Assessor Dr. Zeidler, Hamburg, zu Schriftführern.

Auf Vorschlag aus der Mitte der Abteilung wird Oberlandesgerichtspräsident Dr. Hodo Freiherr von Hodenberg, Celle, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Die Abteilung wählt sodann zu Vertrauensleuten:

Richter am Bundesverfassungsgericht Dr. Georg Fröhlich, Karlsruhe, Rechtsanwältin und Notarin Hildegard Gethmann, Dortmund, Oberlandesgerichtspräsident Dr. Walter Hartz, Schleswig, Landesverwaltungsgerichtspräsident Gerwin Horion, Düsseldorf, Schriftleiter Dr. Walter Mallmann, Tübingen, Professor Dr. Ulrich Scheuner, Bonn.

Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser wird von der Abteilung beauftragt, in der Abschlußvollsitzung über die Verhandlungen der Abteilung zu berichten.

Nachdem Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser den Vorsitz übernommen und der Versammlung gedankt hat, tritt die Abteilung in die Verhandlung über das Thema ein:

Empfiehlt es sich, die vollständige Selbstverwaltung aller Gerichte im Rahmen des Grundgesetzes gesetzlich einzuführen ?

Professor Dr. Friesenhahn:

Meine Damen und Herren!

Im Auftrage der Ständigen Deputation eröffne ich die Beratungen der öffentlich-rechtlichen Abteilung des 40. Deutschen Juristentages.

Das große Interesse, das der starke Besuch dieser Abteilung bezeugt, zeigt mir, daß wir ein wesentliches, ein interessantes Thema ausgewählt haben, ein Thema, das in der aktuellen Diskussion steht, in die Grundlagen unserer rechtsstaatlichen gerichtlichen Organisation hineingreift, aber auch Grundfragen des Verfassungsrechtes aufwirft. Es bietet uns rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Aspekte.

Ich darf den Dank der Deputation aussprechen Herrn Prof. Dr. Ridder für sein Gutachten, den Herren Prof. Dr. Ipsen und Dr. Arndt, daß sie als Referenten heute zu uns sprechen wollen. Ich möchte auch den Herausgebern und Schriftleitern der Zeitschriften danken, die Material dazu beigetragen haben, daß wir alle heute wohlvorbereitet in die Verhandlungen hineingehen können.

Wir haben erstmals wieder die Arbeiten des Juristentages durch Gutachten vorbereiten lassen. Ich darf auch hier betonen, was selbstverständlich ist, daß jeder Gutachter in seinem Gutachten nur seine persönliche wissenschaftliche Auffassung vertritt, und daß die Deputation nicht ein Jota an seinen Ausführungen zu ändern befugt ist.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns vielleicht wieder manchmal etwas mehr in die Taktik und in die richtige Praxis der bewährten alten Arbeit der Juristentage zurückfinden und auch vielleicht manchmal erst wieder lernen, Gutachten zu erstatten. [Beifall] Ich darf aber darum bitten, wenn einmal in der Hitze der Diskussion ein zu heftiges Wort fällt, diese Worte nicht zu tragisch zu nehmen.

Ich freue mich, nun Herrn Prof. Dr. Ridder das Wort erteilen zu können zu einer persönlichen Bemerkung, die hoffentlich von vornherein die Wogen etwas glätten wird.

Professor Dr. Helmut Ridder, Frankfurt am Main:

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es widerspricht dem Brauch, daß der Gutachter auch auf der Verhandlungsbühne erscheint. Ich hoffe, Ihnen in höchstens fünf Minuten erklären zu können, warum ich das dennoch tue.

Ein Rechtsgutachten, das den Referenten und Diskussionsteilnehmern einer wissenschaftlichen Tagung als Arbeitsunterlage dienen soll, wird in der Regel den Streitstand der Themafrage klarstellen, eine begrenzte Zahl von Lösungsalternativen präzisieren und sich gemessenen Schrittes einer dieser Alternativen zuneigen müssen. – Als ich mich auf den ehrenvollen Antrag der Ständigen Deputation hin zum ersten Male auf dem Gelände zu orientieren versuchte, das der Schauplatz des Tagungsgefechts in der öffentlich-rechtlichen Abteilung sein wird, mußte ich feststellen, daß dieses Gelände damals – erst kurz vor dieser Tagung ist das, wie Sie aus den vor Ihnen liegenden Publikationen entnehmen können, anders geworden – literarisch ausschließlich von der Streitmacht einer kompakten These, eben der These von der Notwendigkeit der sog. Selbstverwaltung der Gerichte okkupiert war. Deswegen entfiel für mich weithin die sondierende Überschau, und das Gutachten mußte in einem gewissen Umfang den Referaten vorgreifen und durch scharfe Antithetik das Spannungsmoment erst miterzeugen helfen, ohne das kein Gespräch reinigen und weiterführen kann. So habe ich das Wesentliche meiner Aufgabe darin gesehen, der damals einzigen These die polare Gegenthese gegenüberzustellen. Das wird vielleicht ein gewisses Verständnis für Temperatur, Diktion und Polemik des vorgelegten Gutachtens erzeugen können.

In der Sache selbst kam ich zu dem Schluß, daß die Forderung der Selbstverwaltung der Gerichte von fiktiv gewordenen soziologischen Prämissen ausgeht, daß die Selbstverwaltung der Gerichte wegen der mit ihr implizierten Verschiebung letztlich auch politischer Verantwortlichkeit gefahrvoll und daß sie verfassungsrechtlich unstatthaft ist. Das Letztere näher darzutun, kam dem Staatsrechtler zu.

Ich habe bewußt an manchen Stellen, so insbesondere im Abschnitt V des Gutachtens, eine Art Stimmungsbericht geben wollen, um das Gespräch von aftektgeladenen Vorstellungen zu befreien und es auf die verfassungsrechtliche Kernfrage zurückzuführen, die für unsere Verhandlungen allein entscheidend ist. Ich wollte also beispielsweise keine Aussage darüber machen, was an den im zweiten Absatz dieses Abschnitts V erwähnten Vorgängen von den Beteiligten tatbestandsmäßig richtig oder falsch gesehen worden ist. Ich fühle mich verpflichtet, das hier ausdrücklich zu betonen, weil ich vor Beginn der Tagung von amtlicher Seite daraufhin angesprochen worden bin. Soweit ich mich durch Wendungen wie „dem Vernehmen nach“ „wie man berichtet“, „in den Augen der Richter“ oder ähnliche nicht hinreichend salviert haben sollte, bitte ich, das Entsprechende zu interpolieren.

Ich muß weiterhin erklären, daß es mir hier wie an allen anderen Stellen ferngelegen hat, die intellektuelle Redlichkeit von irgendwelchen Einzelpersonen oder Verbänden, die für die sog. Selbstverwaltung der Gerichte eingetreten sind oder eintreten, anzuzweifeln. Sollten gleichwohl Bemerkungen unterlaufen sein, die objektiv diesen Eindruck erwecken können, so bitte ich versichert zu sein, daß sie jedenfalls nicht so gemeint sind.

Lassen Sie mich mit dem Wunsch schließen, daß die heutige und morgige Diskussion frei von Empfindlichkeiten bleiben möge. Der intrikaten Natur unseres Verhandlungsthemas, um das die Tagespolemik bis in die Presse hinein ausgebrochen ist, und seiner Tragweite unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten steht freilich auch eine biedermeierliche Erörterung nicht an. Aber ich habe bei dem Festakt des heutigen Vormittags die Zuversicht gewonnen, daß in dem schönen Rahmen dieses Hamburger Konferenzgesprächs trotz manchem Menschlich-Allzumenschlichen auch das härteste Gefecht zur Sache nicht persönlich zu verletzen braucht. [Beifall und Scharren]

Professor Dr. Friesenhahn:

Meine Damen und Herren, ich darf bitten, nach dieser Erklärung doch davon auszugehen, daß wir alle nur das Beste wollen, das Rechte finden wollen, auch wenn dabei einmal Entgleisungen im Ausdruck passieren; wir wollen uns hier kräftig schlagen, tapfer fechten, aber uns doch an eine maßvolle Diskussion in den nächsten Tagen gewöhnen.

Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser:

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich habe die Ehre, den Vorsitz der öffentlich-rechtlichen Abteilung des 40. Deutschen Juristentages zu übernehmen. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.

Der heutige Nachmittag ist gewidmet der Entgegennahme der Referate, die freundlicherweise übernommen worden sind von Herrn Prof. Dr. Ipsen und Herrn Rechtsanwalt Dr. Arndt. Ich darf zunächst Herrn Prof. Dr. Ipsen bitten, das Wort zu nehmen.