Aus dem Text:
„…. Gewaltenverschränkung ist nichts anderes als ein vornehmerer Begriff für Machtverfilzung ….“
Nico Nissen
25.04.2009
Mit welcher Selbstverständlichkeit in Deutschland gegen die Grundsätze von Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz verstoßen wird.
In Nordrhein-Westfalen streiten sich SPD und CDU über die Besetzung eines vakanten Richterstuhls beim Verfassungsgericht. Dieses muss demnächst darüber entscheiden, ob die Verlegung des Kommunalwahltermins durch die CDU/FDP-Regierung rechtens war. Der neue Richter wäre Zünglein an der Waage, denn bisher standen vier SPD- drei CDU-Richtern gegenüber.
Ein Richter der SPD schied jedoch aus- bezeichnenderweise, weil er in die Politik gewechselt ist. Nun steht es drei zu drei unentschieden. Dieser Streit verdeutlicht vor allem eins: Mit welcher Selbstverständlichkeit in Deutschland gegen die Grundsätze von Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz verstoßen wird. Begründet wird dies mit der angeblich notwendigen „Gewaltenverschränkung“: Eine gegenseitige Kontrolle der drei Staatsgewalten sei nicht ausreichend. Jeder Gewalt müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, die andere zur Verantwortung zu ziehen und ihre Fehler zu korrigieren. Doch die Begründung ist in diesem Fall dürftig, denn der Modus für die Wahl von Verfassungsrichtern bietet die Möglichkeit, missliebige Kontrolle von vornherein zu verhindern oder im Vorfeld Absprachen zu treffen. Die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter wird also im Grunde nur dadurch gewährleistet, dass sie nicht wiederwählbar sind und wenigstens das Amt des Bundesverfassungsrichters in den meisten Fällen das letzte vor der Pensionierung ist. „Gewaltenverschränkung ist nichts anderes als ein vornehmerer Begriff für Machtverfilzung“, meint dazu der Münchener Anwalt Bernd Tremml. Er klagt gerade im Auftrag der Opposition gegen den Entschluss der CSU/FDP-Koalition, der CSU durch die ÄÓnderung der Geschäftsordnung eine Blockademehrheit in den Ausschüssen zu verschaffen, obwohl sie selbst nicht mehr die Mehrheit im Landtag stellt.
Die indirekte Wahl eines Teils der Bundesverfassungsrichter durch einen Ausschuss des Bundestages wurde bereits in den 50-er Jahren vom Staatsrechtler Richard Thoma als verfassungswidrig bezeichnet. Karl Wilhelm Geck, Rainer Wahl und Hans Herbert von Arnim zogen denselben Schluss. Die Befürworter dieser Praxis – zumeist Politiker – sind sich der fehlenden Legitimation durchaus bewusst und argumentieren mit einer Art Gewohnheitsrecht oder der „Kraft des Faktischen“. Diese könnten aber nur geltend gemacht werden, wenn diese Praxis anerkannt worden wäre – was die Diskussion an sich bereits widerlegt. Das Bundesjustizministerium sieht allerdings kein Problem: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür“, meint ihr Pressesprecher Thorsten Bauer, „dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Deutschland nicht umgesetzt werden.“
Zudem tagt der Richterwahlausschuss nicht öffentlich und die Mitglieder des Ausschusses sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ein wichtiges Verfassungsorgan wird also unter Ausschluss der Öffentlichkeit besetzt. Doch schon der Richterwahlausschuss ist nur eine Nachstufe: Die notwendigen Absprachen finden bereits in den „Findungskommissionen“ von CDU/CSU und SPD statt. Auch dies sind Gremien, die das Grundgesetz nicht vorsieht.
Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Richterwahl wiegt um so schwerer, je mehr Aufgaben und somit Macht den Richtern zuwachsen. Die jeweilige Opposition begreift die Verfassungsgerichte zunehmend als letzte Möglichkeit, um neue Gesetze noch zu verhindern. Es lässt bei den Bürgern Zweifel an der Kompetenz und Verfassungstreue des Gesetzgebers aufkommen, wenn dies immer wieder gelingt. Politische Auseinandersetzung und Gesetzgebung werden so von den Parlamenten in die Gerichte verlagert. Helmut Schmidt, dessen Reformvorhaben einige Male am Bundesverfassungsgericht gescheitert waren, bezeichnete es verärgert als Ersatzgesetzgeber. Inzwischen hat auch Bundespräsident Köhler das Bundesverfassungsgericht für sich und seine Nachfolger entdeckt. Er verweigerte mehrmals Gesetzen seine Unterschrift wegen verfassungsrechtlicher Bedenken.
Die zusätzliche Arbeit höhlt die rechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts noch weiter aus. Sie ist mit zwei Senaten ohnedies nicht mehr zu bewältigen; die Richter sind gezwungen, sich von Assistenten zuarbeiten zu lassen. Das Problem hierbei ist, dass von Richtern im Rechtsstaat verlangt wird, selbst die Fälle zu überblicken, über die sie urteilen. Aber das ist längst nicht mehr der Fall. Noch eindeutiger ist die Abhängigkeit der Verfassungsrichter in den Ländern. So ließ sich am Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs zu Studiengebühren die Parteizugehörigkeit der Richter ablesen. Sie stimmten so ab, wie ihre Parteifreunde im hessischen Landtag. Auch der Fall in Nordrhein-Westfalen legt zumindest den Verdacht der Beeinflussbarkeit nahe: Das aus dem Amt geschiedene ehrenamtliche Mitglied des Verfassungsgerichts ist SPD-Mitglied und hat ein politisches Amt übernommen.
In Bayern wiederum hatte die von 1962 bis 2008 alleinherrschende Partei CSU keine Kommissionen nötig. Dort genügt eine einfache Mehrheit des Landtages zur Wahl der Verfassungsrichter. Da diese Mehrheit bis dahin von der CSU gestellt wurde, fielen die Urteile entsprechend scharf aus, vor allem in Fragen der direkten Demokratie. Dennoch – oder gerade deswegen – scheiterte 2000 ein Volksbegehren, dass für die Wahl der Verfassungsrichter eine Zweidrittelmehrheit im Landtag durchsetzen wollte, an den hohen Hürden und einer weiteren Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Es hatte beschlossen, dass das Begehren in der vorliegenden Form unzulässig sei und geteilt werden müsse. Hier stellt sich die Frage, wer die Kontrollierenden kontrolliert und ob ein Verfassungsgericht über ein Bürgervotum urteilen darf, wenn es selbst betroffen ist.
Demnächst steht beim bayrischen Verfassungsgerichtshof die Entscheidung darüber an, ob die CSU einfach die Sitzverteilung in den Ausschüssen zu ihren Gunsten hätte ändern dürfen. Sie hat sich selbst eine Blockademehrheit gesichert, obwohl sie im Landtag nicht mehr die Mehrheit der Abgeordneten stellt. Es wird sich herausstellen, inwiefern ein Verfassungsgericht, dessen Richter nur von einer einfachen Mehrheit des Landtages gewählt wurden, dazu geeignet ist, demokratische Prinzipien zu schützen.
Ursprünglich sollte das Bundesverfassungsgericht sogar ganz der Politik unterstellt sein. Dass es nicht eine dem Justizministerium untergeordnete Behörde ist, wurde erst 1953 ist in einem Statusstreit entschieden. Die Gerichte der Länder sind noch stärker von der Politik abhängig und sind immer wieder Vereinnahmungsversuchen ausgesetzt: In Hamburg versuchte 2007 der damalige Justizsenator Carsten-Ludwig Lüdemann (CDU) offenbar, durch eine „Findungskommission“ den Richterwahlausschuss der Hamburger Bürgerschaft auszuhebeln. Er wollte so einem nicht mehr an einem Gericht tätigen CDU-Mitglied zum Richteramt am Hanseatischen Oberlandesgericht verhelfen. Sein Vorgänger Roger Kusch ging unverhohlener zu Werke: Er verlangte, selbst eine Vorauswahl zu treffen.
Richter und Staatsanwälte stehen zudem unter direkter Dienstaufsicht durch Beamte. Denn die Gerichtspräsidenten gehören nicht etwa der Judikative, sondern ebenfalls der Exekutive an. Dies erleichtert es, Richter oder Staatsanwälte wie Winfried Maier, der maßgeblich an der Aufdeckung der CDU-Spendenaffäre beteiligt war, unter Druck zu setzen oder gleich von dem Fall abzuziehen, wie Peter Frey von dem Anlagebetrug der BfI..
Doch dürften diese offenen Methoden in den meisten Fällen nicht notwendig sein. Juristen im öffentlichen Dienst sind sich der Machtverteilung in den Justizbehörden und der damit verbundenen Karrierehindernisse durchaus bewusst. Parteibuch und Achtung der Tabus sind ebenso Karrierefaktoren wie juristische Kompetenz. Hinzu kommt in einigen Bereichen der Einfluss bestimmter Lobbys. So zog Gerd Nobbe, vorsitzender Richter des „Bankrechtssenats“ des Bundesgerichtshofes, heftige Kritik von Fachleuten auf sich, weil er im Fall des Schrottimmobilien-Skandals durch eine fragwürdige Gesetzauslegung die Kredite der Banken von den betrügerischen Immobiliengeschäften trennte. Da der Vertragspartner des Immobiliengeschäfts inzwischen pleite war und den Schaden nicht hätte ersetzen können, hätten die Betrugsopfer die überteuerten Kredite für ihre überteuerten Immobilien selbst tilgen müssen. Dieses Urteil trieb einige Opfer in den Freitod und trug zur Finanzkrise in Deutschland bei. Wohl nicht zufällig hielt Nobbe mehrmals wahrscheinlich gut honorierte Vorträge bei Bankgesellschaften. Andere Richter haben sein Urteil inzwischen korrigiert, doch hatte dies für Nobbe keine Konsequenzen. Mehrere Strafanzeigen gegen ihn wurden ignoriert.
Deutschland gehört zu den letzten Ländern innerhalb der EU, die keine selbstverwaltete und unabhängige Justiz hergestellt haben. Die Stimmen aus Bürgerrechtsvereinen und Juristenverbänden mehren sich, dies endlich nachzuholen. Der Deutsche Richterbund hat einen Plan ausgearbeitet, der aber seit mehr als zwei Jahren ignoriert wird. Erst Ende Februar veröffentlichte auch die Neue Richtervereinigung ein Konzept, das seither ebenfalls ignoriert wird.
Die Erfüllung dieser Forderungen wird Wunschdenken bleiben, solange die politische Klasse selbst darüber entscheiden kann, ob sie einen Teil ihrer Macht abgeben soll oder nicht. Der Fehler liegt im System.
/∗Nico Nissen∗, Jg. 1976, wohnhaft in Ludwigsburg, ist als Lektor, Rechercheur und Journalist tätig. Er schreibt in erster Linie Beiträge zu bürgerrechtlichen Themen für das Onlinemagazin Telepolis und ist Betreiber des Parteienblogs.
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Von „Gewaltenverfilzung“ sprach Roman Herzog (Professor des Öffentlichen Rechts, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Bundespräsident) in seinem Lehrbuch Allgemeine Staatslehre, Athenäum Verlag GmbH Frankfurt am Main 1971 auf Seite 235.
Anmerkung:
Als Instrument zur Erklärung und Rechtfertigung der konkreten Staatsorganisation wird vielfach der Begriff „Gewaltenverschränkung“ verwendet. Er beschreibt indes keine Verfassungsziele, sondern lediglich den tatsächlichen Zustand der Machtverteilung im Staat. Die bildliche oder verbale Darstellung einer bestehenden „Verschränkung“ zeigt nicht auf, ob die Staatsorganisation geeignet ist, Machtmissbrauch zu verhindern. Der Hinweis auf eine „Gewaltenverschränkung“ lässt die entscheidende Frage offen: Ob die innere Struktur der Staatsorganisation wirkungsvoll so gestaltet ist, dass (offene wie subtile) Übergriffe von Amtsträgern einer Staatsgewalt auf die Amtsträger einer anderen Staatsgewalt von vornherein unmöglich sind. Der Begriff „Gewaltenverschränkung“ warnt nicht, er vernebelt.
Udo Hochschild