Gewaltenteilung? – Die deutsche Justiz ist ein staatsorganisatorischer Bestandteil der Regierung (Ausnahme: das selbstverwaltete Bundesverfassungsgericht). Die für die Justiz zuständigen Minister arbeiten in Bund und Ländern als Teil der Regierung, ihren Mehrheitsentscheidungen ausgesetzt und zur Regierungsloyalität verpflichtet. Die deutsche Justiz ist nicht von der Regierung unabhängig. Die Regierungen (Politiker) haben wirksame Mittel zur Einflussnahme auf die Organe der Justiz.
Inhalt:
1. Gewaltenteilung“ – Worum geht es?
2. Woher kommt die Idee der Gewaltenteilung?
3. Was steht zur Gewaltenteilung im Grundgesetz?
4. Die Gewaltenteilung ist in Deutschland nicht staatsorganisatorisch verwirklicht.
5. „Gewaltenteilung“: Verfassungstext und Wirklichkeit sind verschiedene Dinge.
6. Die nicht erfüllte Verfassung.
7. Der Widerstand gegen eine Änderung der deutschen Staatsorganisation.
8. Die Forderung des Europarats nach Gewaltenteilung in Deutschland.
9. Gewaltenteilung in Deutschland – des Kaisers neue Kleider.
10. Gewaltenteilung in Deutschland – Fazit
„G E W A L T E N T E I L U N G „
1. Worum geht es?
Die Gewaltenteilung will Macht beschränken, indem nicht alle Staatsmacht bei einem Staatsorgan – z.B. der Regierung – gebündelt ist. Die Staatsgewalt soll in den Händen verschiedener, einander gleichgeordneter Machtträger liegen. Die wichtigste Sicherung vor einer allmählichen Konzentration der verschiedenen Gewalten in einer Hand besteht darin, den Amtsinhabern der verschiedenen Staatsgewalten die nötigen verfassungsmäßigen Mittel und persönlichen Anreize an die Hand zu geben, Übergriffe der anderen Staatsgewalten abzuwehren.
Dies soll
- die Freiheit der Menschen sichern
und
- zu objektiveren und besseren Sachentscheidungen führen.
Die Gewaltenteilung soll Machtausübung staatsorganisatorisch begrenzen, unabhängig davon, welche Personen gerade Macht haben.
Die Aufteilung der Staatsgewalt soll ein Bollwerk sein – auch und gerade für Zeiten, in denen einmal (wieder) keine klugen und verantwortungsbereiten Menschen Regierungsmacht haben könnten. Der Staat soll so organisiert sein, „daß schlechte oder untüchtige Herrscher (die wir natürlich zu vermeiden suchen, aber trotzdem nur allzu leicht bekommen können) möglichst geringen Schaden anrichten“ (Karl Popper).
(Ein Schiffbruch: Wäre die „Titanic“ so sicher geplant und gebaut gewesen, dass sie mit einem Eisberg hätte kollidieren können ohne gleich zu sinken und wäre sie nicht (wegen behaupteter Unsinkbarkeit?) mit zu wenig Rettungsbooten ausgerüstet gewesen, so hätten die Fehler der Schiffsführung weniger oder gar keine Menschenleben gekostet – Wie sicher ist das Schiff „Bundesrepublik Deutschland“ geplant (=Verfassungstext), – und gebaut und ausgerüstet (=Wirklichkeit)?)
- Der Rechtsstaat ist die Summe der Spielregeln einer Demokratie.
- Die Spielregeln prägen das Gesicht einer Demokratie und rahmen ihre Bedeutung.
- Die Gewaltenteilung ist das Herz des demokratischen Rechtsstaats.
2. Woher kommt die Idee der Gewaltenteilung?
(1748) Der französische Philosoph und Staatstheoretiker Charles de Montesquieu in seinem Buch Vom Geist der Gesetze (11. Buch 4. Kapitel):
„Die politische Freiheit ist nur unter maßvollen Regierungen anzutreffen. Indes besteht sie selbst in maßvollen Staaten nicht immer, sondern nur dann, wenn man die Macht nicht missbraucht. Eine ewige Erfahrung lehrt jedoch, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt. Wer hätte das gedacht: Sogar die Tugend hat Grenzen nötig. Damit die Macht nicht mißbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, daß die Macht die Macht bremse.“
(1787) Der Gründervater und vierte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika James Madison in den Federalist Papers:
„Wenn die Menschen Engel wären, so brauchten sie keine Regierung. Wenn Engel über die Menschen herrschten, dann bedürfte es weder innerer noch äußerer Kontrollen der Regierenden. Entwirft man jedoch ein Regierungssystem, in dem Menschen über Menschen herrschen, dann besteht die große Schwierigkeit darin: es zuerst zur Herrschaft zu befähigen, und es dann darauf zu verpflichten, sich selbst unter Kontrolle zu halten. Die Abhängigkeit vom Volk ist zweifellos das beste Mittel, staatlicher Macht Schranken zu setzen; aber die Menschheit hat aus Erfahrung gelernt, daß zusätzliche Vorkehrungen nötig sind.“
3. Was steht zur Gewaltenteilung im Grundgesetz?
Die Artikel 20 und 92 Grundgesetz nennen drei Staatsgewalten, nämlich a. die Gesetzgebung, b. die vollziehende Gewalt und c. die Rechtsprechung oder rechtsprechende Gewalt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt die im Wortlaut des Grundgesetzes niedergelegte Idee einer Gewaltenteilung in Bund und Ländern wie folgt grafisch dar (Fassung Juli 2020):
Die Dreiteilung der Staatsgewalt ist im Wortlaut des Grundgesetzes festgeschrieben (zentral in Art. 20 GG).
4. Die Gewaltenteilung ist in Deutschland nicht staatsorganisatorisch verwirklicht.
Die nachstehenden Grafiken geben eine Antwort. Sie stellen beispielhaft die Staatsorganisationen Spaniens und Deutschlands einander gegenüber um aufzuzeigen, welche staatlichen Strukturen möglich sind und wie sie konkret aussehen.
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(© Udo Hochschild – gewaltenteilung.de)
Die vorstehenden Bilder verdeutlichen
a. zum einen – am Beispiel Spaniens – die Umsetzung des Gewaltenteilungsprinzips durch
- die rechtliche Aufteilung der Staatsgewalt in Rechtsprechung (Judikative), Gesetzgebung (Legislative) und vollziehende Gewalt (Exekutive) in der Verfassung
und
- ihre tatsächliche Übertragung auf drei verschiedene, einander gleichgeordnete Träger,
b. zum anderen – am Beispiel Deutschlands (auf Länderebene) – die Umsetzung des Gewaltenteilungsprinzips durch die
- rechtliche Aufteilung der Staatsgewalt in Rechtsprechung (Judikative), Gesetzgebung (Legislative) und vollziehende Gewalt (Exekutive) in der Verfassung (zentral in Art 20 Grundgesetz)
unter Verzicht auf
- ihre tatsächliche Übertragung auf drei verschiedene, einander gleichgeordnete Träger.
Darüber hinaus zeigen die Bilder, dass spanische Richter unmittelbarer demokratisch legitimiert sind als ihre deutschen Kollegen.
Zu a.:
Spanien orientierte sich nach dem Ende der Diktatur in seiner Verfassung vom 29. Dezember 1978 an dem Vorbild Italiens, das in seiner Verfassung vom 27. Dezember 1947 aus seiner diktatorischen Vergangenheit Lehren gezogen und die Judikative aus den Fesseln der Exekutive herausgelöst hatte. Bis auf Deutschland, Österreich und die Tschechische Republik sind inzwischen alle Mitgliedsländer der Europäischen Union in jeweils landesspezifischen Modifikationen dem italienischen Vorbild eines organisatorisch dreigliedrigen Staatsaufbaus gefolgt, zuletzt Großbritannien in einer Reihe von Reformen zwischen 2003 und 2008.
In Spanien ist die Gewaltenteilung ein Strukturelement der Staatsorganisation. Die Gerichte unterstehen nicht der Regierung – sie werden von einem eigenständigen dritten Machtträger verwaltet.
Zu b.:
Zwar hat das Grundgesetz eine Dreiteilung der Staatsgewalt vorgesehen, Politik und Rechtswissenschaft verteidigten jedoch die 1949 vorgefundene, aus dem Kaiserreich überkommene organisatorische Abhängigkeit der Justiz. So blieb es zum heutigen Tage.
Deutschland kennt nur zwei organisatorisch voneinander unabhängige Träger der Staatsgewalt, die Legislative und die Exekutive. Die deutsche Judikative ist nach wie vor ein staatsorganisatorischer Bestandteil der Exekutive (Ausnahme: das selbstverwaltete Bundesverfassungsgericht). Die Justizminister arbeiten in Bund und Ländern ‘unter dem Dach einer Regierung, ihren Mehrheitsentscheidungen ausgesetzt und zur Regierungsloyalität verpflichtet’ .Die Gewaltenteilung in Deutschland ist lückenhaft.
Man hat sich daran gewöhnt. Gewohntes fällt nicht auf.
Justiz ist in Deutschland vor allem Ländersache. Weniger als 500 Bundesrichtern stehen mehr als 20.000 Landesrichter gegenüber. Weder im Bund noch in den Ländern ist eine staatsorganisatorische Umsetzung des Gewaltenteilungsprinzips erfolgt.
Beispiel Bayern:
– Eine politische Partei stellt die Mehrheit der Abgeordneten und dominiert das Parlament.
– Dieselbe Partei stellt die Regierung und beherrscht die Exekutive.
– Der Justizapparat untersteht der Regierung:
- Der Justizminister ist für die Auswahl und Ernennung der Staatsanwälte zuständig.
- Die Staatsanwälte sind den Weisungen des Justizministers unterworfen.
- Der Justizminister ist für die Auswahl und Ernennung der Richter und der Gerichtsleiter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständig.
- Der Justizminister bestimmt die Art und Weise der periodischen Überwachung der Richter und Staatsanwälte in Geschäftsprüfungen.
- Der Justizminister bestimmt Art und Weise der Beurteilung von Richtern und Staatsanwälten in Dienstzeugnissen; Richter und Staatsanwälte werden nach ministeriellem Maßstab wie Schüler benotet.
- Der Justizminister entscheidet über die Beförderungen der Richter und Staatsanwälte.
- Die Gerichtsleiter (Präsidenten und Direktoren) sind als Beamte den Weisungen des Justizministers unterworfen.
- Entsprechendes gilt für die Arbeitsgerichtsbarkeit, die Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Bayern der Dienstaufsicht des jeweiligen Fachministers unterstehen.
- Der Innenminister ernennt die Verwaltungsrichter aus den Reihen seiner Verwaltungsbeamten.
- Eine Mitwirkung oder Kontrolle von anderer Seite (z.B. durch einen Landesjustizrat oder Richterwahlausschuss) ist bei alledem (a. bis i.) nicht vorgesehen.
Die deutsche Legislative ist von der Exekutive unabhängig, die Justiz ist es nicht.
Zur Illustration: Welch ein Aufschrei ginge durch die Medienlandschaft, würde man auch die Selbstverwaltung des Bundestages und der Landtage abschaffen, diese Gremien der Verwaltung von „Parlamentsministern“ unterstellen und eine Dienstaufsicht der „Parlamentsminister“ über die einzelnen Abgeordneten in Bund und Ländern einführen!
In Spanien ist eine regierungsamtliche Einflussnahme auf die Richter von vornherein ausgeschlossen, in Deutschland nicht.
Allein das selbstverwaltete Bundesverfassungsgericht ist nicht (mehr) in die Exekutive integriert. Nach seiner Konstituierung unterstand selbst dieses Gericht der Verwaltung und der Aufsicht durch die Exekutive (des Bundesministers der Justiz). In einer Denkschrift (Jahrbuch des öffentlichen Rechts »JöR« Band 6, 1957, Seiten 144 ff.) forderte das Bundesverfassungsgericht seine organisatorische Unabhängigkeit, einen eigenen Etat und für seine Richter einen besonderen Amtsstatus. Unter großem Druck der Öffentlichkeit wurden diese Forderungen schließlich erfüllt.
Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings nicht die im Grundgesetz genannte „rechtsprechende Gewalt“. Am Bundesverfassungsgericht sind nur 16 von insgesamt ca. 20.000 deutschen Richtern tätig.
5. „Gewaltenteilung“: Verfassungstext und Wirklichkeit sind verschiedene Dinge
Art. 20 Grundgesetz spricht von drei Staatsgewalten. Alleine dadurch, dass sie von unserer Verfassung gefordert werden, gibt es sie noch nicht. „Was auf das Blatt Papier geschrieben wird, ist ganz gleichgültig, wenn es der realen Lage der Dinge, den tatsächlichen Machtverhältnissen widerspricht“.
Der Verfassungstext gehört zu der Welt der Ideen und Zielvorstellungen. Ihr gegenüber steht die reale Welt, die Welt der Tatsachen.
Wie wird ein Sollen zum Sein, eine moralische Idee zur Wirklichkeit, eine Verfassung zur gelebtenTatsache?
Nach Artikel 92 Grundgesetz ist die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut. Soweit die Welt der Ideen (das Sollen). Ist sie aber auch in der Welt der Tatsachen (dem Sein) den Richtern anvertraut? Ist sie nicht!
Nach Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Soweit die Welt der Ideen (das Sollen). Aber wie unabhängig sind die Richter in der Welt der Tatsachen (dem Sein)?
Die Gewaltenteilung wurde in Deutschland zu keiner Zeit staatsorganisatorisch verwirklicht.
Leider wird all zu oft in deutschen Schulen und Universitäten und auch von Journalisten von einer Forderung des Grundgesetzes schon auf deren Realisierung geschlossen. Die Realität wird nicht auf den Prüfstand gehoben, im Gegenteil: Wer in Deutschland nach der Verfassungswirklichkeit gefragt wird, pflegt das Grundgesetz aufzuschlagen um dann zu behaupten, dass das Wirklichkeit ist, was nach der Zielvorstellung des Grundgesetzes Wirklichkeit sein soll, allein schon deshalb weil es dort so geschrieben steht. Das ist irreführend.
Ein Beispiel:
Art. 120 Abs. 1 der Verfassung der Russischen Föderation lautet:
„Die Richter sind unabhängig und nur der Verfassung der Russischen Föderation und dem Bundesgesetz unterworfen“.
Führt allein schon der russische Verfassungstext zu der Erkenntnis, dass alle russischen Richter unabhängig und nur an Verfassung und Bundesgesetz orientiert urteilen? Ist das, was nach dem Wortlaut der russischen Verfassung Wirklichkeit sein soll, schon deshalb wirklich, weil es dort so geschrieben steht?
6. Die nicht erfüllte Verfassung
Die anthropologische Erkenntnis Montesquieus liegt auch der Forderung des Grundgesetzes (Art. 20, Art. 92) nach einer Gewaltenteilung zugrunde. Kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs waren sich die Politiker vieler Länder der menschlichen Natur (der eigenen Unvollkommenheit) bewusst. So auch im Parlamentarischen Rat, dem verfassungsgebenden Organ der Bundesrepublik Deutschland.
Die Einsichten und das Wollen der Verfassungsgeber wurden von der deutschen Politik ignoriert. Die Staatsrechtswissenschaft an den Universitäten verharrte in gedanklichen Grundmustern der Vergangenheit. Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung wurden nicht auf „verschiedene, einander gleichgeordnete Träger“ übertragen. Die Organisationsstrukturen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates blieben – verstärkt durch Zuschnitte der deutschen Justizorganisation auf den nationalsozialistischen Führerstaat – bis heute erhalten. Die neue Gewaltenteilung des Grundgesetzes steht nur auf dem Papier. Ihre praktische Umsetzung durch die Neugestaltung der Staatsorganisation hat bis heute nicht stattgefunden.
Als Instrument zur Erklärung und Rechtfertigung dieses Verfassungsdefizits wird vielfach der Begriff „Gewaltenverschränkung“ verwendet. Das Wort „Gewaltenverschränkung“ beschreibt aber keine Verfassungsziele, sondern nur die tatsächliche Verteilung von Macht in einem Staat (selbst eine Diktatur ist irgendwie gewaltenverschränkt). Die bildliche oder verbale Darstellung einer bestehenden „Verschränkung“ zeigt nicht auf, ob diese auch tatsächlich geeignet ist, Machtmissbrauch zu verhindern. Der Hinweis auf eine „Gewaltenverschränkung“ lässt die entscheidende Frage offen: Ob die innere Struktur der Staatsorganisation so gestaltet ist, dass (offene wie subtile) Übergriffe von Amtsträgern einer Staatsgewalt auf die Amtsträger einer anderen Staatsgewalt von vornherein unmöglich sind.
Zur Antwort ein Blick auf den vorstehenden grafischen Vergleich der spanischen mit der deutschen Staatsorganisation: In Spanien ist eine regierungsamtliche Einflussnahme auf die Richter von vornherein ausgeschlossen, in Deutschland nicht.
7. Der Widerstand gegen eine Änderung der deutschen Staatsorganisation.
Einige Gesichtspunkte:
a. Politiker geben die bei ihrem Regierungsantritt vorgefundene Macht ungern aus der Hand. Sie haben nach der Macht gestrebt und wollen sie jetzt behalten um ungehindert das bewirken zu können, was sie jeweils für das Gute halten. Dies gilt auch für eine vorgefundene Macht über den Justizapparat.
b. Das Beharren auf der vom Grundgesetz bereits vorgefundenen – alten – Staatsorganisation mag auch historisch bedingt sein. Über die personellen Kontinuitäten im Bundesministerium der Justiz von der Vorkriegszeit bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts berichtet eine vom Bundesministerium der Justiz im Auftrag gegebene Studie. Möglicherweise sahen in autoritären Vorkriegszeiten geprägte, nach 1949 in maßgeblichen Positionen handelnde Juristen aus eigener Weltanschauung keinen Anlass, das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes durch eine grundlegende Änderung der Staatsstruktur organisatorisch zu verwirklichen, sondern sträubten sich dagegen.
c. Eine Änderung der deutschen Staatsorganisation nach europäischem Vorbild würde zum Verschwinden schon beschrittener Karrierewege im Staatsdienst führen. Manch eine Karriereleiter wäre umsonst bestiegen worden, Jahre der Anpassung an das bei Karrierebeginn vorgefundene System wären vertan. Veränderungsbestrebungen treffen auf vielfältigen Widerstand (Niccolò Machiavelli: „Jeder Neuerer hat alle die zu Feinden, die von der alten Ordnung Vorteile hatten„).
d. Politiker, die sich gegen eine klare rechtliche Begrenzung von Macht sperren, wo sie ohne weiteres möglich wäre, haben bisweilen ein Interesse daran, an eigenen Grenzüberschreitungen nicht gehindert zu sein. Aber auch dort, wo solche Hintergedanken fern liegen, ist auf die Tugend kein Verlass.
Eifrige Pflichterfüllung kennt oftmals kein Maß. Selbst die Tugend hat Grenzen nötig.
→ Zu der Schieflage der Gewaltenteilung in Deutschland im Einzelnen
8. Die Forderung des Europarats nach Gewaltenteilung in Deutschland.
Der Europarat hat die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, ein System der Selbstverwaltung der Justiz einzuführen und die Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister der Staatsanwaltschaft Anweisungen zu einzelnen Fällen geben. Deutschland ignoriert den Europarat.
Es bleibt es bei den staatlichen Organisationsstrukturen des Bismarckreiches: Der Justizbereich ist einem Regierungungsmitglied (Minister) hierarchisch unterstellt. Die Gerichte werden von dem übergeordneten Ministerium als „nachgeordnete Behörden“ bezeichnet und behandelt. Der Justizminister ist weisungsbefugter Vorgesetzter der Staatsanwälte. Er ist als Mitglied des Kabinetts den Kabinettzwängen und der Kabinettdisziplin unterworfen. Der Minister ist Politiker und dient seiner Partei. Nicht zuletzt hat er seine persönliche Karriere im Blick.
9. Gewaltenteilung in Deutschland – des Kaisers neue Kleider
Deutschland in Bund und Ländern:
- Eine politische Partei (oder Parteienkoalition) stellt die Mehrheit der Abgeordneten und dominiert das Parlament.
- Dieselbe politische Partei (oder Parteienkoalition) stellt die Regierung und beherrscht die Exekutive.
- Die Justiz untersteht der Regierung.
10. Gewaltenteilung in Deutschland – Fazit
→ Die Teilung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung und ihre Übertragung auf verschiedene, einander gleichgeordnete Träger ist in Deutschland bis heute nicht staatsorganisatorisch erfolgt. Noch immer haben Regierungen Macht über die deutsche Justiz, entscheiden Minister (Parteipolitiker), wer Richter wird und wer als Richter Karriere macht, verwalten und beaufsichtigen Minister (Parteipolitiker) die Gerichte und die Richter (Ausnahme: Das selbstverwaltete Bundesverfassungsgericht).
→ Die Gewaltenteilung in Deutschland erschöpft sich in wesentlichen Punkten in einem Verfassungsgebot. Ob und in welchem Maße dieses Verfassungsgebot befolgt wird, hängt von dem guten Willen und der Rechtstreue der im Dienst der Öffentlichkeit handelnden Personen ab. Die aus der Bismarckzeit stammende staatliche Organisation versagt nicht nur in verfassungsfeindlichen, sondern auch in ungeeigneten und unfähigen Händen.
→ Die deutsche Staatsorganisation garantiert nicht staatskonstruktiv aus sich selbst heraus die Unabhängigkeit der Justiz. Sie überträgt das Wächteramt für die Unabhängigkeit der Justiz je nach Wahlerfolg wechselnden Parteipolitikern (Ministern). Diese erhalten ihre Ämter nach innerparteilichem Ranking.
→ Deutschland beherzigt nur unzureichend die Mahnung des Gewaltenteilungsprinzips.
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Wäre es klug, den Staat schon in guten Zeiten so zu organisieren, dass er den Stürmen schlechterer Zeiten standhält?
(Ist es dumm, mit der Reparatur des Daches abzuwarten, bis es stürmt und hagelt?)
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Wenn Engel über die Menschen herrschten, dann bedürfte es weder innerer noch äußerer Kontrollen der Regierenden (James Madison).
Wenn
Udo Hochschild (© Udo Hochschild – gewaltenteilung.de)